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NSA-Spionage in Deutschland Wie uns die Regierung zum Narren hält

700 Meter sind es von der US-Botschaft bis zum Kanzleramt. Und tausend Kilometer vom Grundgesetz bis zur Realität des Abhörskandals. Dafür tragen Merkel, Pofalla und Friedrich eine Mitverantwortung.
Ein Kommentar von Lutz Kinkel

Schockschwerenot! Die NSA hat das Handy der Kanzlerin abgehört. Und nun ist plötzlich Action. Ein Bundeswehr-Hubschrauber kreiste über dem US-Konsulat in Frankfurt am Main, eine "show of force", wie es die Amerikaner nennen würden. Von der US-Botschaft in Berlin zirkulieren Detailaufnahmen und Wärmebilder, die zeigen sollen, wo "das Nest" steht, die Abhöreinrichtungen auf dem Dach. Das fühlt sich an wie ein Agentenfilm, ach was: wie der Kalte Krieg, nur mit vertauschten Gegnern.

Und nun treten unsere schwarz-gelben Politiker nochmal an, aufgepumpt, Zähne fletschend und nach Gerechtigkeit schreiend. Außenminister Guido Westerwelle bestellt den US-Botschafter ein. Kanzlerin Angela Merkel faltet am Telefon den US-Präsidenten zusammen. Und Hans-Peter Friedrich (CSU), der Mann, der den Abhörskandal vor der Bundestagswahl zur Nichtigkeit heruntergespielt hat, verlangt nun bullig eine Entschuldigung der Amerikaner.

Die Zweiklassenjustiz

Es ist beschämend. Wer hätte jemals gedacht, dass eine deutsche Regierung derart unverhohlen eine Zweiklassenjustiz proklamiert. Frei nach dem Motto: Wenn Eure Rechte, blödes Wahlvolk, verletzt werden, ist das ohne Bedeutung. Wenn unsere Rechte verletzt werden, also die der Minister und Spitzenpolitiker, hat das Konsequenzen. Daraus spricht eine Verachtung für die Bevölkerung und den Rechtsstaat, die beispiellos ist.

Zumal sie sich mit einer Heuchelei paart, die ihresgleichen sucht. Der Historiker Josef Foschepoth hat jüngst in einem Interview zum wiederholten Mal die Rechtslage dargestellt. Über das Abhören von Merkels Handy sagt er: "Es gibt Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten, die eine solche Überwachung erlauben." Dagegen hat sich bislang keine deutsche Regierung gewehrt, weder vor noch nach der Wende. Der unumschränkte Zugriff der NSA sei somit legal. Aber was die National Security Agency konkret treibt, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Foschepoth: "Faktisch gibt es im Rechtsstaat Bundesrepublik keine Kontrolle der geheimen Dienste."

Nackt auf der Bühne

Das ist der Zustand, in dem sich Deutschland im Jahr 2013 befindet. Und es spricht viel dafür, dass er politisch gewollt ist. Die deutschen Geheimdienste sind so etwas wie der Juniorpartner der amerikanischen, sie lassen sich Erkenntnisse und Hinweise zuflüstern, die sie selbst nie hätten erlangen können. Das mag dabei geholfen haben, Attentate hierzulande zu verhindern. Aber es hat auch dazu geführt, dass die NSA sich bis zum Wahn des "full take" versteigen konnte, also der Gesamterhebung der elektronischen Kommunikation, die alles möglich macht: von der Terrorismusfahndung über die Wirtschaftsspionage bis zur Enthüllung staatspolitischer Geheimnisse. Und die uns, den Bürgern, die Privatsphäre nimmt, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jeder ist erpressbar geworden, Big Brother is watching you.

Wenn niemand etwas davon geahnt hat, weder die Kanzlerin, ihr Kanzleramtsminister Ronald Pofalla noch Innenminister Friedrich, müssten sie wegen Inkompetenz ihren Posten räumen. Wenn sie das alles wussten, aber dem Wähler verschwiegen, haben sie sich daran mitschuldig gemacht, das Grundgesetz auszuhebeln. So oder so: Die noch amtierende schwarz-gelbe Regierung steht im NSA-Skandal nackt auf der Bühne. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt.

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