Auf dieses "besondere Geschenk" hätte Otto Fricke sicher verzichten können. Der FDP-Haushaltspolitiker hat heute Geburtstag, einen Grund zu feiern hat er nicht.
Im Haushalt klafft ein kolossales Milliardenloch, das möglicherweise noch größer wird. Der diesjährige Haushalt könnte in seiner jetzigen Form auf der Kippe stehen, der für 2024 hängt in der Schwebe. Und die "so schöne Anhörung" zu all diesen Ampel-Albträumen, die der Vorsitzende des Haushaltsausschusses Helge Braun (CDU) am Geburtstag des Kollegen als "Geschenk" darreicht, bietet wahrlich keinen Anlass zu neuer Gelassenheit.
"Was nicht alles so getan wird, um einen Geburtstag schöner zu machen", versucht Fricke einen Scherz. "Aber Spaß bei Seite."
Zehn Sachverständige schildern am Dienstagvormittag dem Haushaltsausschuss ihre Sicht der Dinge. Zehn verschiedene Meinungen, mit einer Gemeinsamkeit: Die Lage ist ernst.
Gutachter 1: "Die Beschlussreife des Haushalts 2024 liegt nicht vor".
Gutachter 2: "Es wird zu neuen Priorisierungen im Haushalt kommen müssen".
Gutachter 3: "Um den Haushalt für 2023 rechtssicher zu gestalten, bedarf es wahrscheinlich einer nachträglichen Feststellung einer Notlage".
Gutachter 4: "Wir laufen in eine hartnäckige Investitionskrise hinein."

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Die Ampel-Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang: weggepustet wie die Kerzen auf einer Geburtstagstorte.
Seit das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch den sogenannten Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt hat, fehlen der Regierung von Olaf Scholz mit einem Schlag 60 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) soll offenbar bis Ende des Jahres geschlossen werden, wodurch geplante Milliardenausgaben für das kommende Jahr wegfallen würden. Kann der Haushalt 2024 trotz der finanziellen Unwägbarkeiten wie geplant verabschiedet werden? Ist eigentlich der Haushalt 2023 verfassungsrechtlich unanfechtbar? Und überhaupt: Wie geht es weiter? Mit den Klimaprojekten? Mit dieser Koalition?
Schon Kleinigkeiten werden auf einmal zur Zerreißprobe
Fieberhaft werden in der Ampel Antworten gesucht. Der Kanzler und seine Koalition durchleben regelrechte Chaos-Tage, geprägt von Ungewissheiten, Spekulationen, Mutmaßungen. Am späten Montagabend weitet Christian Lindner, der FDP-Bundesfinanzminister die Haushaltssperre für den KTF auf nahezu den gesamten aktuellen Etat 2023 aus. Die Regierung weiß nach dem Richterspruch offenbar nicht, welche Ausgaben künftig noch drin sind. Die Devise: Abwarten, erstmal Zeit gewinnen, nicht gleich den nächsten Fehler machen.
Einen "Plan B", wie ihn Finanzminister Lindner einen Tag vor dem Richterspruch noch angekündigt hatte, gibt es offenkundig nicht. Der Knall aus Karlsruhe hat die Koalitionäre kalt erwischt. Welche konkreten Folgen das Urteil auf die Haushaltsplanung hat, wird immer noch geprüft. Sicher ist nur, dass die Nerven blank liegen.
Selbst vermeintliche Kleinigkeiten, wie die Gastro-Steuererhöhung, werden auf einmal zur Zerreißprobe. Christian Lindner und SPD und Grüne schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist öffentlich schwer gereizt: Für die Misere könne man sich bei Oppositionsführer Friedrich Merz bedanken, schimpft er. Als hätte die Union aus reiner Konfliktfreude in Karlsruhe geklagt.
Die Verunsicherung wird von Tag zu Tag größer, natürlich auch in der Kanzlerpartei. Was passiert mit den Strompreisen? Was mit den Hilfen für energieintensive Firmen? Es gibt unzählige Fragen – nur leider wenige Antworten.
Bei den Sozialdemokraten wurden intern alle angehalten, sich öffentlich möglichst zurückzuhalten. Und so dreht sich die Debatte seit Tagen vor allem um die Zukunft der Schuldenbremse. Die einen wollen eine Reform, andere wollen sie temporär aussetzen, wieder andere sogar langfristig. Letztere Option brachte Fraktionschef Rolf Mützenich im stern ins Spiel. Das Kalkül dahinter: Würde jetzt die Bremse ausgehebelt, wären wieder mehr Kredite möglich. Das Problem ist, dass niemand weiß, ob dann nicht gleich die nächste Klage in Karlsruhe eingereicht würde. Alles steht gerade auf tönernen Füßen.
Olaf Scholz kann nicht auf die KI hoffen
Einer schweigt weitgehend – ausgerechnet der Kanzler. Seit seinem Auftritt unmittelbar nach dem Urteil aus Karlsruhe hat sich Olaf Scholz nicht mehr weiterführend zur Frage eingelassen, wie die Regierung nun die fehlenden Milliarden aufbringen will. Am Dienstagnachmittag sagte er auf dem Digitalgipfel des Wirtschaftsministeriums lediglich, dass die Antwort "nicht von irgendeiner KI" gegeben werden könne. Die müsse man sich "mühsam" erarbeiten. Ah ja.
Er wolle nicht noch mehr Aufregung verursachen, heißt es aus seinem Lager. Aber selbst in seiner Partei wächst die Irritation über sein Agieren. Sein Schweigen vergrößere erst noch die Verunsicherung, meinen Kritiker. Ziehen der Kanzler und Lindner noch an einem Strang? Oder halten sie sich öffentlich vor allem deshalb zurück, weil beide in ganz unterschiedliche Richtungen wollen? Weil sie sich hinter den Kulissen streiten?
Manche in der SPD sprechen schon von einem laufenden Machtkampf zwischen den beiden. Was stimmt: Für Lindner steht seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Monatelang predigte er, wie wichtig es sei, zur Schuldenbremse zurückzukehren. Beantragt er mit der Ampel nun erneut eine Ausnahme, steht er blamiert da. Für Scholz hingegen geht es um die Kanzlerschaft. Auch er gilt als Anhänger der Schuldenbremse. Noch größerer Anhänger aber dürfte er davon sein, halbwegs reibungslos weiterregieren zu können.
Es muss schnell eine Lösung her, ein Zeichen, dass die Lage unter Kontrolle ist. Ansonsten wächst der Vertrauensverlust, außerhalb der Koalition wie innerhalb.
Die Grünen kommen Ende der Woche zum Parteitag zusammen, die Stimmung war intern schon vor dem Schuldenbremsen-Urteil schlecht. Jetzt könnte das Treffen bei Karlsruhe noch unangenehmer für die Parteiführung werden. Gut möglich jedenfalls, dass die Basis der Parteispitze ein paar rote Linien mit auf den Weg gibt für die anstehenden Verhandlungen in der Ampel-Regierung. Wirtschaftsminister Habeck malt die Lage schonmal in äußerst düsteren Farben: Er sieht den vorgesehenen Umbau hin zur klimaneutralen Wirtschaft gefährdet, ebenso die Energiepreisbremsen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger– sofern kein neues Geld aufgetrieben wird. Auch die SPD hält am zweiten Dezemberwochenende einen Parteitag ab.
Wie sieht das weitere Vorgehen aus? Zum Schluss der Expertenanhörung im Haushaltsausschuss kommt auch Florian Toncar zu Wort, der Parlamentarische Staatssekretär in Lindners Finanzministerium. Die internen Bewertungen seien "selbstverständlich" fortgeschritten, sagt er, die Expertenanhörung wolle man nun in die Analyse des Hauses miteinbeziehen. Dann werde man einen "eigenen Vorschlag" zum weiteren Vorgehen präsentieren, "rechtzeitig" vor dem finalen Beschluss des Haushaltsausschusses zum Bundesetat 2024 an diesem Donnerstag.
Wann, könne Toncar aber "nicht auf die Stunde genau" sagen. Nicht nur die Gutachter dürften gespannt sein.