"Der Wahlkampf beginnt nicht heute", sagte Olaf Scholz, als er als frischgebackener SPD-Kanzlerkandidat für die kommende Bundestagswahl am Montagnachmittag vor der versammelten Hauptstadtpresse stand. Mit Blick auf die mehr als zwölf Monate, die noch vor seiner Partei als Juniorpartner in der Großen Koalition liegen, versprach er, der Verantwortung weiter gerecht werden zu wollen. "Wir haben noch viel zu tun."
Und doch darf man getrost annehmen, dass Scholz wusste, dass der Wahlkampf mit der Personalentscheidung der SPD eben doch begonnen hat. Und so nutzte er die Scheinwerfer auch gleich, um eines zu sagen: "Ich will gewinnen."
Olaf Scholz setzt auf Respekt, Zukunft und Europa
Wie er das anstellen will? Scholz skizzierte in seinem Statement, das zeitweilig beinahe wie eine Parteitagsrede wirkte, die Grundsätze seiner Politik, sollte er im kommenden Herbst tatsächlich ins Kanzleramt einziehen – und besann sich auf drei ur-sozialdemokratische Ideale:
Unter ihm soll die SPD wieder zur Partei der "kleinen Leute" werden, daran ließ Scholz keinen Zweifel. Respekt und Anerkennung seien "die zentralen Kategorien des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft". Wer den Laden aufrecht erhalte, soll davon auch im Portemonnaie etwas spüren, gab sich der Finanzminister überzeugt, aber nicht nur: "Respekt und Anerkennung haben etwas mit stabilen Arbeitsverhältnissen zu tun und mit einem Sozialstaat, auf den man sich verlassen kann." Unter einer SPD-Bundesregierung soll Hartz-IV überwunden werden, obgleich Scholz das System jahrelang verteidigt hatte.
Der 62-Jährige versprach überdies ein "Zukunftsprogramm", dass sich mit Fragen des Klimawandels, der Digitalisierung und des Umbaus der Industrie auseinandersetze – Ziel sei ein "technologischer Aufbruch" im Land, der sozial und demokratisch gestaltet werde.
Zum dritten Markenkern eines möglichen Bundeskanzlers Olaf Scholz soll die Europapolitik werden – "Das ist die Zukunft für unser Land." Die Bundesrepublik sei gefragt, den Weg für Europa mitzuformulieren und dieser solle solidarisch sein, betonte Scholz.

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Respekt, Fortschrittsglaube, Europa – das soll das Rezept für eine erfolgreiche Bundestagswahl der SPD sein. Aber nicht nur. "Es wird nicht das Programm eines Kandidaten sein, es wird auch nicht das Programm einer SPD sein, das einem Kandidaten aufgestülpt wird, sondern es wird ein sozialdemokratisches Programm sein, das wir gemeinsam erarbeiten, auch mit den Mitgliedern der SPD", versprach Parteichef Walter-Borjans zwar, aber er ließ mit seiner Co-Chefin Saskia Esken auch deutlich durchblicken, dass es einen Personenwahlkampf geben wird.
Mit wem will die SPD koalieren?
In den kommenden zwölf Monaten wird es vor allem auch um die Person Olaf Scholz gehen wird. Eigentlich klar, denn der frühere Hamburger Bürgermeister ist der SPD-Politiker, der laut Umfragen in der Bevölkerung das höchste Ansehen genießt, nicht zuletzt seit er die "Bazooka" und den "Wumms" ausgepackt hat, um Deutschland durch die Coronakrise zu lotsen. Olaf, der versierte Krisenmanager, Olaf, der überzeugte Europäer, Olaf, der soziale Visionär – Esken und Walter-Borjans sprühten regelrecht vor Begeisterung für ihren neuen Kanzlerkandidaten.
Vorbei scheinen die Zeiten, in denen sich Sozialdemokraten öffentlich halb zerfleischten. Die SPD will auch mit einer neuen demonstrativen Geschlossenheit überzeugen. Man wolle "Treiber sozialdemokratischer Politik und nicht nur Rechtfertiger errungener Kompromisse" sein, erklärte Esken – und Walter-Borjans sagte über Scholz: "Er ist der richtige Kanzler in dieser Zeit."
Die SPD ist offenbar von sich, ihren Zielen und ihrem Kandidaten überzeugt, nun müssen nur noch die Wählerinnen und Wähler mitziehen – und die möglichen Koalitionspartner. Denn dass die Sozialdemokraten ab dem kommenden Jahr alleine regieren könnten, gilt trotz aller Euphorie als ausgeschlossen. Nur mit wem? Einer Neuauflage der Großen Koalition jedenfalls erteilte Scholz eine Absage. Die Union müsse die Möglichkeit zur Erneuerung in der Opposition bekommen.
Also rot-rot-grün? Offen aussprechen wollte dies auf dem Podium niemand und doch dürfte klar sein, das Saskia Esken genau dieses Bündnis meinte, als sie von einer "anderen, progressiven Mehrheit" sprach.
Der Kampf um die besten Ideen für die kommenden Jahre hat an diesem Montag in Berlin begonnen – und zumindest Olaf Scholz war sich sicher, was die Bundestagswahl 2021 für sich, seine Partei und das Land bedeutet: "Es beginnt eine neue Ära."