Opposition will klagen Bundesregierung beschließt längere Atomlaufzeiten

Atomkraft, ja bitte: Die Koalition zieht ihr Laufzeit-Plus für Deutschlands Meiler durch. Unsicher bleibt, ob das Verfassungsgericht die geplante Ausschaltung des Bundesrats absegnet. Umweltschützer warnen: Schwarz-Gelb wisse nicht, wohin mit dem Atommüll.

Die Bundesregierung hat trotz heftiger Proteste ihr Energiekonzept mit den längeren Atomlaufzeiten beschlossen. Die 17 Kernkraftwerke sollen im Schnitt 12 Jahre länger am Netz bleiben. Das Bundeskabinett verabschiedete am Dienstag ein Gesetzespaket, um bis 2050 vor allem auf Ökostrom zu setzen.

"Das ist ein Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes", sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Berlin. Für das Laufzeitplus will der Staat im Gegenzug mehr als die Hälfte der Milliarden-Zusatzgewinne der Konzerne abschöpfen. Opposition und Länder wollen den Atomdeal vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, das Atompaket stehe auf einem soliden finanziellen Fundament. Zwischen 2011 und 2016 kassiert der Bund mit der neuen Atomsteuer jährlich 2,3 Milliarden Euro. Die Verhandlungen mit Eon, RWE, EnBW und Vattenfall über den Atomvertrag seien abgeschlossen, betonte Schäuble. Die Vereinbarung werde mit Inkrafttreten des Gesetzes unterschrieben.

Die Konzerne haben sich weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen, falls künftige Regierungen die Atombeschlüsse verändern. Auch sichern sich die Versorger gegen aus ihrer Sicht zu teure Nachrüstungen ihrer Meiler ab. Übersteigen die Kosten je Reaktor 500 Millionen Euro, müssen sie weniger Geld in den staatlichen Öko-Fonds einzahlen.

Nach Angaben von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gibt es bei der Sicherheit keine Abstriche: "Da wird kein Wörtchen und kein Komma weggenommen." Die Behörden könnten künftig sogar neue Vorschriften schneller durchsetzen. Röttgen sagte, das moderate Laufzeitplus von im Schnitt 12 Jahren müsse nicht dem Bundesrat vorgelegt werden, weil sich damit qualitativ bei der Atomaufsicht durch die Länder nichts ändere. Schwarz-Gelb hat in der Länderkammer keine Mehrheit mehr.

SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte, alle klugen Maßnahmen zum Energiesparen seien weitgehend gestrichen worden. "Wenn der Atomstrom weiter läuft, dann können sie erneuerbare Energien nicht fördern, weil sie den Strom gar nicht ins Netz kriegen." Auch Grünen- Fraktionschef Jürgen Trittin sieht die Ökostrombranche mit vielen Jobs in Gefahr. Die Grünen würden den Kniefall vor der Atomlobby sofort rückgängig machen, wenn sie wieder an der Macht seien, sagte er.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) betonte dagegen, die längeren Atomlaufzeiten würden zu sicherem und bezahlbarem Strom führen. Jetzt müsse der Ausbau der Stromnetze vorangetrieben werden. "Die schönsten Windparks nutzen nichts, wenn der Strom nicht in Berlin ankommt."

Nach Angaben von Bauminister Peter Ramsauer (CSU) müssen Deutschlands Häuser fit für den Klimaschutz gemacht werden. Zwei Drittel der 18 Millionen Gebäude entsprächen nicht dem neuesten Stand. Die Regierung schwächte ihre Vorgaben aber ab: "Es wird kein Zwang ausgeübt zur Gebäudesanierung, sondern wir wollen Sanieren erreichen durch finanzielle Anreize."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nach dem Willen von Union und FDP sollen die sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler acht Jahre länger laufen; die übrigen zehn Atomkraftwerke bekommen 14 Jahre mehr. Damit würde der letzte Atommeiler nicht vor dem Jahr 2036 vom Netz gehen. Wird ein Akw früher abgeschaltet, dürfen dessen Reststrommengen auf jüngere Anlagen übertragen werden. SPD und Grüne hatten vor acht Jahren im Atomgesetz den Ausstieg bis 2022 vereinbart.

Der Atomkompromiss ist Teil des Energiekonzeptes, das eine weitgehende Umstellung auf Öko-Energien bis 2050 vorsieht. Der Ökostrom-Anteil soll von heute 16 auf 80 Prozent steigen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht das Konzept als Revolution, weil damit erstmals eine langfristige Energiestrategie festgelegt werde.

Von den zusätzlichen Gewinnen der Betreiber will die Regierung insgesamt rund 30 Milliarden Euro kassieren. Knapp die Hälfte soll in den Haushalt und zur Sanierung des maroden Atomlagers Asse fließen, der Rest in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Regierung setzt dabei weniger auf Solarkraft, sondern vor allem auf Windparks in Nord- und Ostsee. Hier sollen etwa 75 Milliarden Euro investiert werden. Im Straßenverkehr sollen bis 2020 eine Million Elektroautos unterwegs sein.

An allen zwölf Standorten der Atomkraftwerke projizierten Greenpeace-Aktivisten den Slogan "Atomkraft schadet Deutschland" auf die Reaktoren und Kühltürme. Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer sagte: "Die Gefahr der radioaktiven Verseuchung durch einen schweren Reaktorunfall ist nicht gebannt." Das Energiekonzept sei "nicht mehr als die Verpackung für ein milliardenschweres Geldgeschenk an die Atomkonzerne". Ein geeignetes Endlager für den Atommüll fehle.

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Georg Ismar und Tim Braune, DPA