In der Panzer-Debatte wächst die Kritik an Deutschlands Schweigen. Die Bundesregierung hat bislang weder eine Entscheidung über die Lieferung deutscher Kampfpanzer in die Ukraine getroffen, noch eine klare Liefererlaubnis an andere Länder erteilt. "Wir handeln nur eng abgestimmt", antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag auf die Frage eines Journalisten, wann er anderen Ländern erlauben werde, ihre deutschen Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern.
Außenministerin Annalena Baerbock ging einen Schritt weiter und erklärte, man werde sich nicht gegen die Lieferung von Panzern aus Drittstaaten stellen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte zuvor angekündigt, notfalls auch ohne Zustimmung Deutschlands Leoparden an die Ukraine zu liefern. Und auch innerhalb der Ampelkoalition sorgt die Panzer-Frage für Ärger. FDP und Grüne drängen auf eine schnelle Lieferung, während die Genossen die abwartende Haltung des Kanzlers verteidigen.
In deutschen und internationalen Medien kommt das Schweigen aus Berlin jedenfalls nicht besonders gut an. Die Presseschau im Überblick.
"Olaf Scholz verhindert gemeinsames europäisches Handeln"
"Hannoversche Allgemeine Zeitung": Was von der aktuellen Debatte zurückbleibt, ist der neuerliche Eindruck, dass sich der Kanzler lieber treiben lässt, als selbst Treiber zu sein. Dabei müsste Deutschland, ein Staat mit Führungsanspruch in Europa, eigentlich vorangehen und nicht auf die Amerikaner und ihre etwaige Lieferung von Kampfpanzern warten. Es wäre deshalb zu begrüßen, wenn Scholz und sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius schnellstmöglich Klarheit schaffen würden. Dazu gehört auch, das Verwirrspiel um die Bestände von Leopard-Kampfpanzern zu beenden. Die Behauptung, dass fast ein Jahr nach Kriegsausbruch noch keine Liste mit dem zur Verfügung stehenden Gerät existiert, ist ebenso unverständlich wie unglaubhaft. Sie mutet wie ein Versteckspiel an. Nein, Olaf Scholz verhindert keine deutschen Alleingänge. Er verhindert gemeinsames europäisches Handeln. Damit isoliert er Deutschland.
"Lausitzer Rundschau" (Cottbus): "Deutschland liefert nicht weniger Waffen in die Ukraine als vergleichbare Länder. Aufgrund der erratischen Kommunikation des Kanzlers, die nicht nur in der westlichen Allianz, sondern auch in der eigenen Koalition Verwirrung stiftet, wirkt die Bundesrepublik jedoch zunehmend isoliert. Die Debatte über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern fördert dadurch ein tieferliegendes Defizit zutage: Es gibt in Deutschland keine geostrategische Denkschule und dementsprechend noch immer keine überzeugende Antwort auf die Herausforderung, die Putins imperialer Angriffskrieg und sein Versuch einer Neuordnung Europas für die eigenen Interessen bedeutet. Dem selbst formulierten Anspruch, europäische Führungsmacht zu sein, wird man mit solchen Leerstellen nicht gerecht."
"Rhein-Zeitung" (Koblenz): Natürlich muss Deutschland mit seinen Verbündeten, allen voran den Vereinigten Staaten, der Ukraine nach Kräften gegen den Aggressor Putin helfen. Wahr ist aber auch: Jede neue Waffenlieferung in die Ukraine erhöht das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen den Blöcken. Der Westen muss zwar bereit sein, dieses Risiko zu tragen. Es geht schließlich darum, die Aggression Putins nicht zu belohnen. Gleichzeitig darf sich die Nato aber auch nicht treiben lassen, so verständlich die Erwartungen der Kiewer Führung sind. Die Debatte um die Leoparden muss deshalb nüchterner werden. Zu welchen Offensiven sind die Ukrainer fähig, wenn sie über den Leopard in größerer Stückzahl verfügen? Und wie eskalieren die Russen den Krieg, wenn sie durch die Lieferungen ihrerseits deutlich in die Defensive geraten?
Der Leopard 2 gilt als der beste Kampfpanzer seiner Zeit

"Scholz mag respektable Gründe haben. Aber warum nennt er sie nicht?"
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): Während Liberale und Grüne auf die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern drängen, stehen die Sozialdemokraten auf der Bremse. Dass die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nun den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich als "Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik" bezeichnet, ist eine neue Eskalationsstufe. Sie ist nicht die Einzige: Auch grüne Parlamentarier kritisieren den Kanzler scharf und fordern die Lieferung von Kampfpanzern, etwa im europäischen Verbund. Auch europäische Länder werden ungeduldig: Polen und die Staaten des Baltikums. Schließlich sind sie an der Nato-Ostflanke einer deutlich anderen Bedrohung durch Russland ausgesetzt. Was von der aktuellen Debatte zurück bleibt, ist der neuerliche Eindruck, dass sich der Kanzler lieber treiben lässt, als selbst Treiber zu sein. Es wäre deshalb zu begrüßen, wenn Scholz und sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schnell Klarheit schaffen würden.
"Neue Osnabrücker Zeitung": In den allermeisten Kommentaren und Schlagzeilen ist die Sache entschieden: Dass der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius Kiew in Ramstein "noch" keine Kampfpanzerlieferungen versprach, wird scharf kritisiert und einem zögernden und zaudernden Bundeskanzler Olaf Scholz angelastet. Und aus dem hundertsten Aufruf von FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann, jetzt mal endlich den Leo an die Front zu schicken, wird ein "wachsender Druck" der gesamten Ampel-Regierung auf den Kanzler. Wohl selten war es so einfach, mit der immer gleichen Botschaft maximale Aufmerksamkeit und lauten Beifall zu ernten – und eine echte Diskussion zu vergiften. Denn eine ernsthafte Auseinandersetzung über das Für und Wider wird kaum geführt.
"Südkurier" (Konstanz): Man muss Agnes Strack-Zimmermann nicht in allem zustimmen. In einem Punkt trifft die Wehrexpertin der FDP jedoch die wundeste Stelle der deutschen Ukraine-Politik: Die Kommunikation des Bundeskanzlers ist eine Katastrophe. In Ramstein warteten die Nato-Verbündeten darauf, dass sich die Bundesregierung in der Panzerfrage endlich einen Ruck gibt. Stattdessen kommen ein weiteres Mal nur vertröstende Worte. Der neue Verteidigungsminister druckst herum, und der Kanzler schweigt mal wieder. Diese Hinhaltetaktik ist immer schwerer zu vermitteln. Scholz mag respektable Gründe haben, den Leopard 2 nicht zu liefern. Aber warum nennt er sie nicht? Warum erklärt er nicht klipp und klar, was ihn bremst? Vor allem: Wie will der Kanzler Kremlchef Putin an den Verhandlungstisch zwingen, wenn Kampfpanzer nicht infrage kommen? Die Menschen in der ums Überleben kämpfenden Ukraine warten auf eine Antwort, ebenso die Verbündeten – und nicht zuletzt die Bundesbürger.
"Volksstimme" (Magdeburg): Täuschen, Tricksen, Tarnen (TTT ). Die drei Grundregeln des militärischen Geschäfts gelten vom ersten Tag an auch für den neuen Verteidigungsminister. Im Zentrum steht das Gezerre um Lieferungen von Leopard 2-Kampfpanzern an die Ukraine. Präsident Selenskyi sowie die Nato-Verbündeten wollen von Deutschland endlich Taten sehen. Olaf Scholz, als Bundeskanzler direkter Chef von Boris Pistorius bleibt bei seiner Zöger-Taktik. Pistorius’ erstes TTT-Manöver bestand im Ankündigen von Taten und dem gleichzeitigen Verzögern derselben. Er versprach, mit Hochdruck eine Liste zu liefernder Kampfpanzer zu erstellen – obwohl die bereits existierte. Für die heute geplanten Gespräche mit Bundeswehr und Industrie muss Pistorius sich einen neuen Trick einfallen lassen, um allen, auch seinem Chef und dessen Wählern, zu verkünden, was sie hören möchten. Und gleichzeitig niemanden zu düpieren. TTT für Fortgeschrittene.
Internationale Presse zur Panzer-Debatte: "Deutschlands Widerstand wird als temporär betrachtet"
"NZZ" (Schweiz): "Polen droht nun, 14 Leopard-2-Panzer zur Not auch ohne die dafür notwendige deutsche Genehmigung in die Ukraine zu verschicken. Es will dafür eine Koalition gleichgesinnter Staaten zimmern, die ebenfalls über Bestände verfügen. Dies wäre ein präzedenzloser Schritt und würde zukünftige deutsche Exporte in diese Länder verunmöglichen. (...) Es ist allerdings davon auszugehen, dass keine Seite ein wirkliches Interesse daran hat, den Konflikt eskalieren zu lassen. So machte Pistorius am Freitag klar, dass Deutschland keine Einwände habe, wenn Abnehmerländer des Leopard-2-Panzers ukrainische Soldaten an ihnen ausbildeten. Polen hat diesen Schritt bereits angekündet. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass man Deutschlands Widerstand als temporär betrachtet und sich wohl auch Berlin mit der Perspektive einer Lieferung abgefunden hat."
"De Telegraaf" (Niederlande): "Inzwischen dauert dieser Krieg schon elf Monate, und Militärexperten erwarten im Frühjahr eine neue russische Offensive. Um auch diesem erneuten Angriff standhalten zu können, ist die Ukraine auf die Unterstützung des Westens angewiesen. (...) Unsere Regierung hat mit der Bereitstellung von zwei modernen Patriot-Flugabwehrsystemen einen großen Schritt zur Unterstützung der Ukraine getan. Und da Deutschland die Lieferung von polnischen Leopard-Panzern wohl nicht mehr blockieren wird, wächst die westliche Unterstützung für die Ukraine immer weiter. Angesichts der bevorstehenden russischen Frühjahrsoffensive kann diese Unterstützung nicht früh genug kommen, denn Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen."
"The Sunday Times" (Großbritannien): "Bundeskanzler Olaf Scholz hat erklärt, Deutschland werde nur gemeinsam mit Amerika handeln. Die Regierung von Präsident Joe Biden hat zwar weitere 2,5 Milliarden Dollar an Militärhilfe für die Ukraine genehmigt, doch er beharrt darauf, dass Abrams-Panzer aufgrund des Geländes und der Probleme beim Auftanken nicht für die Ukraine geeignet sind. (...) Großbritannien steht zu Recht weiterhin an der Spitze, wenn es darum geht, dem Gegenwind und den russischen Drohungen standzuhalten. Wir müssen den Druck auf Deutschland und Amerika aufrechterhalten, damit sie das Richtige tun und der Ukraine die benötigte Ausrüstung schicken. Es gibt keinen guten Ausgang dieses Konflikts. Das Schlimmste wäre jedoch, wenn ein verwundeter, aber trotziger Putin die Ukraine einnehmen und den nächsten Schritt in seinem wahnwitzigen Plan angehen würde, die Landkarte Europas neu zu zeichnen."