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"Anne Will" "Hochgejazzte" Panzer-Debatte: Pistorius sorgt mit Prüfauftrag für Verwunderung

Anne Will und Gäste im TV-Studio
Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über das Thema: Schickt Deutschland Leopard-Panzer in die Ukraine oder nicht?
© NDR / Wolfgang Borrs
Bei seinem ersten Auftritt verschob Verteidigungsminister Boris Pistorius die Entscheidung über Panzer-Auslieferungen an die Ukraine. Was steckt wirklich dahinter?

Schickt Deutschland Panzer des Typs "Leopard 2" in die Ukraine oder nicht? Das ist eine der Fragen, die den Amtsantritt des neuen Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) seit Ende vergangener Woche überschattet. Bei seinem ersten großen Auftritt zum Treffen der Ukraine-Unterstützergruppe in Ramstein hatte sich Pistorius am Freitag noch zögerlich gezeigt und eine Entscheidung vertagt. Am Sonntagabend versucht nun Talkshow-Moderatorin Anne Will ihr Glück beim neuen Minister.

Während Pistorius aus Paris zugeschaltet ist, sitzen folgende Gäste bei Will im ARD-Studio: 

  • Lars Klingbeil, Parteivorsitzender der SPD

  • Roderich Kiesewetter (CDU), Bundestagsabgeordneter

  • Sönke Neitzel, Militärhistoriker und Professor für Militärgeschichte

  • Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin

  • Die zuvor angekündigte Verteidigungs- und Sicherheitsexpertin Ulrike Franke musste kurzfristig absagen, weil ihr Flug aus London gestrichen worden war.

Zunächst aber widmet sich die Moderatorin dem neuen Bundesverteidigungsminister im Einzelinterview. Wenig überraschend muss sich Pistorius dabei vor allem den vorwurfsvollen Fragen nach der erneut verschobenen Entscheidung in der "Leopard 2"-Sache stellen. "Geht so Sicherheitspolitik in Krisenzeiten?", fragt Will. Doch sie hat die Rechnung ohne den SPD-Politiker gemacht.

Pistorius bei Anne Will: Verwunderung statt Antworten

Denn Pistorius vergibt an diesem Abend keine klaren Antworten, sondern stiftet weitere Verwirrung: Bevor Panzer ausgeliefert werden können, müsse zuerst ein Prüfauftrag durchgehen, erklärt der Ex-Innenminister Niedersachsens. Nicht nur die Anzahl der Panzer, sondern auch ihre Einsatzfähigkeit und ihren möglichen Einsatzzeitpunkt wolle Pistorius nun in Erfahrung bringen – "falls es losgeht mit der Lieferung", fügt er hinzu. 

Ein merkwürdiger Zeitpunkt für eine solche Prüfung: Immerhin führt Kanzler Olaf Scholz (ebenfalls SPD) seit Monaten Diskussionen über mögliche Lieferungen in die Ukraine. "Sie haben mit diesem Prüfauftrag für Verwunderung gesorgt", bemerkt auch Will. Der "Spiegel" hatte zudem am Freitag berichtet, dass es eine solche Bestandsliste bereits seit Frühsommer gebe. Doch Pistorius antwortet nur knapp: "Das kann man so oder so beurteilen." 

Eins erklärt er dann doch noch: Deutschland habe in diesen Fragen immer gemeinsam und abgestimmt mit seinen Alliierten gehandelt, so Pistorius. "Es gibt keinen Grund, davon abzuweichen." Tatsächlich hatten mehrere Quellen von einem sehr durchwachsenen Stimmungsbild berichtet, als es in Ramstein um die "Leopard 2"-Auslieferung ging. Nur: Lässt die Situation in der Ukraine einen so langen Überlegungsprozess noch zu?

Anne Will: Klingbeil verteidigt den Bundeskanzler

Da ist sich auch die Runde im Studio nicht einig. Während der CDU- und Oppositionspolitiker Roderich Kiesewetter und der Militärhistoriker Sönke Neitzel die phlegmatische Haltung der Bundesregierung als Symbol des "Zögerns" betrachten, nimmt SPD-Chef Lars Klingbeil wenig überraschend die Abwehrhaltung ein. 

Zum einen liefere Deutschland bereits an die Ukraine – unter anderem Panzerhaubitzen und Panzer des Typs "Marder". Zum anderen würden die heutigen Entscheidungen beeinflussen, wie die Welt in 20 bis 30 Jahren aussehe, so Klingbeil. Er spielt damit darauf an, dass die "Leopard 2"-Panzer auch für Offensiv-Angriffe missbraucht werden könnten.

"Wir müssen immer auch die Tragweite in Zeiten von Krieg und Frieden abwägen", so Klingbeil. Auch deshalb müsse sich Scholz Zeit lassen. 

Expertin bei Anne Will: Scholz’ Kommunikation "verheerend"

Genau hier setzt allerdings die Kritik an. Denn warum genau sich Scholz in dieser Sache so viel Zeit nimmt, weiß auch nach Monaten niemand. Argumente, wonach die Lieferung von 50 Panzern einen Atomkrieg auslösen könnten, hält Militärexperte Neitzel für "Blödsinn". 

Die Lieferung der "Leopard 2" entscheide den Krieg nicht, sagt Neiztel. Allein, dass sich die Regierung jetzt erst die Zeit nehme, Entscheidungen abzuwägen, sei viel zu spät. "Wir wissen alle nicht, wie der Krieg weitergeht", so der Militärexperte. "Aber wir müssen vorbereitet sein." CDU-Politiker Kiesewetter befürchtet gar, dass sich Russland nach dem Angriff auf die Ukraine auch Moldau und das Baltikum vornimmt. 

Die Tatsache, dass Scholz’ in seinem Regierungsstil immer auch den Kopf in den Sand steckt, dürfte der Debatte nur wenig helfen: Die Kommunikation des Kanzlers sei "verheerend", urteilt die Politikwissenschaftlerin und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff: "Da könnte man mehr machen." 

Da legt auch Will noch einmal nach: Man verstehe die Handlungen und Überlegungen des Kanzlers nicht, so die Moderatorin. "Die vornehmste Aufgabe eines Politikers ist, sich zu erklären", belehrt sie leicht süffisant in Richtung Klingbeil.

Will entlarvt Debatte: "Braucht es diese Panzer überhaupt?"

Die Zuschauenden ahnen: Die Debatte um den "Leopard 2" entwickelt sich immer mehr zur Stellvertreterdebatte für grundsätzliche Probleme in der Bundesregierung. Tatsächlich scheint auch die Bevölkerung keine klare Haltung zu der Thematik zu haben: In einer Umfrage des ARD-"Deutschlandtrend" positionierten sich 46 Prozent für die Auslieferung der Panzer und 43 Prozent dagegen. 

"Die Debatte um die Panzer hat sich hochgejazzt", findet Militärhistoriker Neitzel. Weder er noch Deitelhoff halten es für wahrscheinlich, dass Putin den Krieg bei einer Panzer-Lieferung weiter eskalieren lasse. Das gibt sogar Klingbeil zu. Dennoch plädiert er weiterhin für eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik. "In unterschiedlichen Szenarien zu denken halte ich für sehr wichtig", so Klingbeil.  

Am Ende ist es Will, die die Strohmann-Debatte entlarvt: "Braucht es diese Panzer überhaupt?", fragt sie. Die Antworten: dünn. Kiesewetter bewertet die Lieferung vor allem als "psychologisches Signal", mit dem sich Deutschland positioniere. Neitzel dagegen bringt ein pragmatischeres Argument an: "Wir müssen allmählich sowieso das sowjetische Material der Ukraine mit westlichem ersetzen", erklärt er. "Da kommen wir nicht drum rum."

Scholz selbst äußerte sich am Sonntag übrigens zum 60. Jubiläums des Elysée-Vertrags gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Ukraine-Krieg: Europa unterstütze die Ukraine finanziell und humanitär und stehe an seiner Seite, heißt es in einem Gastbeitrag der beiden Staatsoberhäupter. Allein zu konkreten Punkten wie den "Leopard 2" -Panzern fehlt noch immer eine klare Antwort.

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