PDS und WASG West-Mann aus der zweiten Klasse

Nirgendwo sind PDS und WASG so verfeindet wie in Berlin. Mit aller Macht hat die PDS versucht, dem ungeliebten Partner ein Bundestagsmandat zu verwehren. Der WASG-Mann Ralf Krämer hat dennoch eine kleine Sensation geschafft. Ein Wochen-Rückblick in zwei Teilen.

Es ist Dienstag. Am Mittag. Das Hauptquartier der Gewerkschaft Verdi liegt am Berliner Paula-Thiede-Ufer, einem Spree-Kanal. Ralf Krämer hat sein Büro im fünften Stock. Vielleicht 500 Meter sind es von hier zum Ostbahnhof, vielleicht 400 Meter zum Energieforum. Dort entscheiden am Samstag die Delegierten. Darum dreht sich nun alles. Es ist ein kleines Büro. Schmucklos. Nur ein Porträt von Karl Marx hat Krämer aufgehängt, gleich neben der Tür. Ein Geschenk sagt er. Und links von dem Computer hängt ein DIN-A-4-Papier mit bunter Kindermalerei. Vielleicht ist es von seiner Tochter.

Krämer hält es nicht in dem Büro. Er will weg. Raus, denn diesmal geht es, darauf legt er Wert, nicht um seinen Job, nicht um seine Arbeit als Verdi-Gewerkschaftssekretär, als Experte für Wirtschaftspolitik. Es geht um seine Freizeit-Beschäftigung. Krämer will in den Bundestag. Für die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit – für die WASG.

Die Drei-Klassen-Gesellschaft der WASG

Seit dem 24. Mai, jenem Tag, an dem Oskar Lafontaine die SPD verließ, erleben die deutschen Linken einen Boom ohnegleichen. Oskar, Gregor, Linksbündnis, Linkspartei, elf, zwölf, dreizehn, tausend Prozent. Binnen kürzester Zeit haben sich Linkspartei plus WASG zum Synonym für den deutschen Widerstand aufgeschwungen – wider den Neoliberalismus, wider Hartz-IV, wider die soziale Kälte, wider den Krieg. Nur, wer ist diese WASG? Was für Leute stecken dahinter? Was können sie? Was wollen sie?

Die Struktur der Partei ist mittlerweile bekannt. Es herrscht ein Drei-Klassen-System. Lafontaine ist ganz oben. Er ist eine Klasse für sich. Er hat diese Partei veredelt, sie hoffähig, für viele wählbar gemacht. Oskar ist der Profi. Die zweite Klasse, das sind die Halb-Profis, jene, die bei der SPD oder in den Gewerkschaften schon in der zweiten Reihe saßen. Es sind jene, die schon mal ein Interview gegeben, ein Programm geschrieben oder einen Geschäftsordnungsantrag gestellt haben. Es sind Enttäuschte, von SPD und PDS, von Verdi oder GEW, Linke aus dem Westen des Landes. Es sind Amateure, die jetzt noch einmal die große Chance wittern.

"Das sind die bekannten Nörgler, die bei der SPD genörgelt haben, die bei den Grünen genörgelt haben, die bei den Gewerkschaften genörgelt haben. Die brauchen jetzt ein Forum, auf dem sie wieder nörgeln können", befand Meinungsforscher Manfred Güllner noch im Juni. Aber auch in der WASG, der vermeintlichen Partei der Entrechteten, gibt es eine Unterschicht. Es sind die Hartz-IV-Empfänger, die Arbeitslosen, die Betroffenen, die Montagsdemonstranten. Handwerklich gesehen sind sie Politik-Dilettanten, naive, freundliche, manchmal auch erzürnte Anfänger. Menschen, die plötzlich glauben, mit der WASG könnte ihnen der ganz große Coup gelingen, manche haben sogar auf einen Sitz im Bundestag spekuliert - bis es ernst wurde zumindest.

Biografie eines strammen West-Linken

Ralf Krämer ist einer dieser "Nörgler" aus der zweiten Klasse des WASG-Systems. Er kennt das politische Geschäft, er hat die Biografie eines strammen westdeutschen Linken: Geboren in Dortmund, Friedensbewegung, Ostermärsche, Juso-Chef in Nordrhein-Westfalen, Mitglied des Landesvorstands der SPD, Diplom-Sozialwissenschaftler. Irgendwann jedoch hat es nicht mehr geklappt, mit ihm und der SPD.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die "Rechtsentwicklung" der SPD ab Mitte der neunziger Jahre habe ihn gestört, sagt er und meint, dass die SPD nach rechts gedriftet sei. Auch die sozialpolitische Kälte habe ihn befremdet. Als Linker fühlte er sich dort nicht mehr heimisch. Krämer ist ein ernsthafter Mann, ein ruhiger Mann, der fast ein bisschen schüchtern wirkt. Er ist kein Polterer, weit entfernt von den kalkulierten Ausfälligkeiten Lafontaines, ebenso weit entfernt aber auch von den hilflosen Ausfälligkeiten der Anfänger. Auch in der PDS fand er keine Heimat, vor allem, weil sie nach seiner Auffassung in der rot-roten Regierung Inhalte verriet. "Ich bin zunehmend zu der Auffassung gelangt, dass die PDS allein nicht in der Lage ist, die notwendige politische Alternative gegen den Neoliberalismus darzustellen", sagt er. Irgendwann erhielt er den Job bei Verdi, zog nach Berlin – und engagierte sich dort für die neue entstehende WASG. "Ich bin einer der Gründer der Wahlalternative gewesen," sagt der 45-Jährige. Am wirtschaftspolitischen Teil des WASG-Programms hat er maßgeblich mitformuliert. Die PDS hatte er da schon längst verlassen - wie viele Berliner Linke.

"In Berlin wäre dieses Bündnis nie zustande gekommen"

In der Hauptstadt ist die WASG eine Art Gegen-PDS, eine Protestpartei jener, die glauben, die PDS habe in der rot-rot Regierung linke Positionen verraten. Im vergangenen Jahr beteiligten sich WASG-Mitglieder an einer Unterschriftenaktion, die das Ziel hatte, den rot-roten Senat zu kippen. Und damit nicht genug. Die WASG hat noch einen draufgesetzt. Laut Beschlusslage will sie 2006 bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus gegen die PDS antreten. Im Gegenzug schimpfte Stefan Liebich, der junge Berliner PDS-Chef, die WASG eine "Gurkentruppe". Am liebsten würde er die WASG ohnehin alleine mit der schieren Mitgliederzahl zermalmen. 10.400 hat die PDS, 580 die WASG. Liebich wird nicht müde, auf dieses Verhältnis hinzuweisen.

Das alles hinterlässt verbrannte Erde. Das alles macht es PDS und WASG in der Bundes-Hauptstadt so schwer, sich der bundesweiten Bündnis-Euphorie hinzugeben, einander wirklich die Hand zu reichen. "Gäbe es nur Berlin, wäre dieses Bündnis nie zustande gekommen", sagt Krämer.

Aber es gibt das Bündnis. Und es boomt. Einerlei, ob eine neue Linke beschworen wird, eine historische Chance oder lediglich eine andere Politik - die Beschwörungsformeln werden immer bedeutungsschwerer, selbst den schärfsten Bündnisgegnern in beiden Parteien ist es unmöglich, sich dem Sog der Umfrage-Erfolge zu entziehen. Was im großen Ganzen wunderbar zu sein scheint, muss doch auch im Kleinen hinzukriegen sein. Berlin darf den anderen, den Gegnern, nicht als Menetekel für die Zukunft des linken Bündnisses herhalten, schon gar nicht als Omen für die geplante Fusion. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Schon jetzt. Deshalb müssen sie sich zusammenraufen. Irgendwie. Die Nagelprobe steht am Samstag an. Im "Energieforum" am Ostbahnhof. Dann wählt die Delegiertenkonferenz der PDS ihre Kandidatenliste für den 18. September.

"Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt etwas bewegen kann"

Die WASG hat ihre Wahl schon getroffen. Sie hat eine Vorschlagsliste mit ihren Wunschkandidaten gewählt. Eine Frau, Renate Herranen, ist die Nummer eins, Krämer steht an zweiter Stelle. Am Anfang, sagt er, habe er sich in der WASG nicht exponieren wollen. Es sollte der Eindruck vermieden werden, die Gewerkschafter würden die WASG übernehmen. Jetzt, sagt er, habe sich etwas geändert. "Ich habe den Eindruck, dass ich in der Wirtschaftspolitik etwas bewegen kann". Deshalb versucht er es nun, das mit dem Bundestag. An der PDS kommt er dabei nicht vorbei, er braucht sie. Die WASG hat weder eine eigene Liste, noch eigene Delegierte. Sie tritt nicht einmal offiziell an. Wie in allen anderen Bundesländern auch sollen WASG-Kandidaten in Berlin auf der offenen Landesliste untergebracht werden. Die PDS hat das Sagen, denn der Bundeswahlleiter verbietet offizielle Abmachungen. In Berlin entsteht eine absurde Situation. Es ist etwa so, als würde Oskar Lafontaine Franz Müntefering bitten, ihm doch den SPD-Vorsitz anzubieten. Als Dank dafür, dass er das Amt 1999 einfach hingeworfen hat, und den Jobs des Finanzministers, und sein Bundestagsmandat.

Die PDS-Spitze hat deshalb auch geblockt. Vier halbwegs sichere Listenplätze gibt es, Platz fünf gilt als aussichtsreich - und Platz sechs hat, wenn es wirklich grandios laufen sollte am 18. September, auch noch eine klitzekleine Chance. Platz sieben, hat PDS-Chef Liebich die WASG-Leute wissen lassen, den biete er Krämer an. Herranen hat die PDS schlicht ignoriert. In Reinickendorf war sie vor Jahren in das dortige Bezirksparlament eingezogen. Dann verließ sie die Partei mit viel Krach, behielt aber ihr Mandat. Aber auch Krämer ist unzufrieden. "Platz sieben ist unrealistisch", sagt Krämer. Er will mehr.

Bittsteller in Marzahn-Hellersdorf

Liebich juckt das wenig. Er sagt offen, dass er Probleme hat mit der WASG. Und dass es zwar eine Zone des guten Willens gibt, aber eben auch eine befestigte Grenze, eine Mauer. An der ist dann einfach Schluss. Die Grenze liegt für Liebich bei Platz sieben. Am Mittwoch präsentiert er den Listenvorschlag des Parteivorstands. Auf Platz eins kommt Gysi, der Superstar der Linken, auf Platz sieben kommt Krämer - als erster WASG-Kandidat. Es sei kaum nachvollziehbar, weshalb die Delegierten Leute mit einem Bundestagsmandat belohnen sollten, die die Politik der PDS ausdrücklich falsch fänden, so Liebich. Basta.

Lesen Sie im zweiten Teil: Kulturschock im Osten - Arbeiter sind der PDS eher fremd, die WASG-Wessis unwillkommen. Ralf Krämer aber wirft seine Pläne über Bord und schafft ein kleines Wunder