Kein Thema dominiert an diesem Donnerstagmorgen die Kommentarspalten deutscher Medien so sehr wie die Verabschiedung des neuen Bevölkerungsschutzgesetzes. Einigkeit herrscht unter den Kommentierenden vor allem bei der Beurteilung der Art und Weise, wie Gegner des Gesetzes vorm und im Reichstagsgebäude protestiert haben. Die Presseschau:

"Zeit Online" (Berlin): "Der Gesetzentwurf, der zu Recht von mehreren Verfassungsrechtlern kritisiert wurde, war schlampig formuliert. Dabei hätten die Abgeordneten und Ministerien den ganzen Sommer Zeit gehabt, ohne den Druck der im Herbst wieder angestiegenen Infektionszahlen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die politische Öffentlichkeit sie nicht gerade dazu angetrieben hat. Teile der Opposition, der Medien und der Bürger selbst interessierten sich monatelang kaum dafür, wie die Corona-Regeln eigentlich zustande kommen und was das für die Demokratie bedeutet. Gemeinsam starrte man auf die Verkündungspressekonferenzen der Regierenden, wägte vielleicht die Wirksamkeit der Maßnahmen ab, aber selten ihre handstreichartige Entstehung. Seriöse Kritik am Verfahren, die es schon früh gab, wurde durch die schrilleren und dümmeren 'Querdenker'-Auftritte von der öffentlichen Bühne verdrängt. So bleibt am Ende eine halbherzige Reform, die die Schwäche des Parlaments in der Corona-Politik eher offenlegt als behebt."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die Debatte im Bundestag und das Geschehen vor dem Brandenburger Tor zeigten (...), dass der Vorwurf, das Parlament und die Verfassung seien 'ausgeschaltet' worden, begierig aufgegriffen wird, um eine Merkel-Monarchie zu kritisieren, wo keine ist. Den Kräften, die dahinterstehen, geht es nicht um Differenzierung, auch nicht um Corona, sondern darum, die demokratische Welt auf den Kopf zu stellen (...) Statt sich in diese Falle locken zu lassen, sollte sich die Politik mit einer Corona-Zweiklassengesellschaft beschäftigen: (...) Es überrascht (...) nicht, dass die Unzufriedenheit sich auf zwei große Minderheiten verteilt: Den einen sind die Maßnahmen zu hart, den anderen nicht hart genug. Beiden gerecht zu werden ist schier unmöglich. Das Joch der Corona-Politik ist es, sich damit nicht zufriedengeben zu dürfen."
"Frankfurter Rundschau": "Die AfD spielt sich als Verteidigerin des Grundgesetzes auf, und ihr rechtes Umfeld faselt von 'Ermächtigungsgesetz' - kann es überhaupt noch vernünftige Kritik an einem Vorhaben geben, das solch verlogene Gegner hat? Ja, denn wer den extrem Rechten das Feld überließe, täte ihnen nur einen Gefallen. Gerade jetzt müssen Demokratinnen und Demokraten laut und deutlich sagen: Der deutsche Parlamentarismus hat ein Stück Demokratie aufgegeben. Mit der Zustimmung zum überarbeiteten Infektionsschutzgesetz hat er sich selbst gefährlich geschwächt. Corona-Verordnungen der Regierung unterliegen zwar jetzt strengeren Vorgaben. Aber eine echte Parlamentsbeteiligung wird es nicht geben. Wenn der Bundestag die Regierung ausbremsen wollte, müsste er im Zweifel die Feststellung der epidemischen Notlage ganz zurücknehmen, auch wenn das nicht angemessen wäre."
"Süddeutsche Zeitung" (München): "Das Gesetz, das Bundestag und Bundesrat verabschiedet haben, ist ein Fortschritt. Es regelt detaillierter als bisher, wann und wie bei der Seuchenbekämpfung in Grundrechte eingegriffen werden darf. Es nennt konkrete Inzidenzwerte und Abwehrmaßnahmen, von der Maskenpflicht bis zur Schließung von Lokalen. Es verpflichtet die Landesregierungen, ihre Rechtsverordnungen zu begründen und zu befristen. Und es macht es schwieriger, Demonstrationen zu verbieten. Von wegen 'Ermächtigungsgesetz'. Dennoch tut Kritik not. CDU, CSU und SPD haben dieses Gesetz viel zu spät auf den Weg gebracht und zu hastig umgesetzt. So kam die Diskussion im Parlament zu kurz. Zudem sind die Regelungen noch immer nicht konkret genug, etwa wenn Begriffe wie 'schwerwiegende Maßnahmen' verwendet werden. Und die für die junge Generation entscheidende Frage bleibt unbeantwortet, inwieweit der Präsenzunterricht besonders bewahrt werden muss. Ja, die Regeln sind besser als der Status quo. Aber sie sind nicht gut genug."
"Münchner Merkur": "Man braucht nicht mit dem historisch schwer belasteten Begriff 'Ermächtigungsgesetz' hausieren zu gehen, um festzustellen: Der gestrige Tag war kein guter für die parlamentarische Demokratie. In unangemessener Hast haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ein Infektionsschutzgesetz über die parlamentarischen Hürden gehievt, das der Regierung bei ihren Coronamaßnahmen tiefe Eingriffsrechte in Grundfreiheiten gewährt und die Position der Parlamente nicht stärkt. Am Ende wird sich dieses Persilschein-Gesetz noch als Steilvorlage für die selbst ernannten 'Querdenker' erweisen, die damit um die Häuser ziehen und das Gesetz und sein Zustandekommen im Schnellverfahren als Beleg für angeblich sinistre Absichten von Politikern ins Feld führen."
"Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung": "Das ist infam und geschichtsvergessen: Da wird ausgerechnet eine Gesetzesnovelle, die die Kritik am Zustandekommen der Anti-Corona-Maßnahmen aufnimmt und der Legislative mehr Gewicht gegenüber der Exekutive gibt, in die Nähe des Ermächtigungsgesetzes von 1933 gerückt, das den Weg für die Machtergreifung der Nazis ebnete. Was am Mittwoch von Bundestag und vom Bundesrat beschlossen wurde, hat nichts mit einer 'Corona-Diktatur' zu tun, von der unter anderem die AfD in verantwortungsloser Weise schwadroniert. Es ist vielmehr eine überfällige Klarstellung, mit der Anti-Corona-Maßnahmen auf eine stabilere rechtliche Grundlage gestellt werden."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Man muss in der Tat äußerst quer denken, wenn man selbst auf einer Demonstration mit Absicht gegen staatliche Auflagen verstößt, und dann mit ebendieser Demonstration dem Staat vorwirft, er wolle die Meinungsfreiheit und andere Rechte der Bürger beschränken. Das Gegenteil ist der Fall. Erklärungsbedürftig bleibt die Eile, mit der das Gesetz beschlossen wird. Diese feuert nur die Kritiker in ihrem unsäglichen Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis an. Und aufklärungsbedürftig bleibt, von welcher Fraktion einige Kritiker ihre Gästeausweise für das Reichstagsgebäude bekommen haben, wo sie Abgeordnete und den Wirtschaftsminister bedrängt und gefilmt haben. Diese Aggression ist ein tatsächlicher und tätlicher Angriff auf das Parlament, das Herzstück der Demokratie."
"Stuttgarter Nachrichten": "Wenn vor dem Reichstagsgebäude Wasserwerfer der Polizei auffahren müssen, um mit weiträumigen Absperrungen eine störungsfreie Sitzung des Parlaments zu gewährleisten, wenn Demonstrationen verboten und aufgelöst werden, wenn in den Bundestag eingeschleuste Personen frei gewählte Abgeordnete bedrängen, dann ist das eine schwarze Stunde für das ganze Land. Wenn sich Demokratiefeinde im Verbund mit ideologisch verblendeten Dreckschleudern und maskenlosen Provokateuren aufgerufen fühlen, die Abgeordneten des Bundestags auf eine Stufe mit jenen nationalsozialistischen Kräften zu stellen, die 1933 den Beginn der braunen kriegstreibenden und massenmörderischen Diktatur den Weg frei stimmten, dann ist das ein Tag der Scham."
"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): "Gemessen an den fast hysterischen Protesten ist dies wichtig festzuhalten: Mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes geht nicht die Welt unter und nicht die Demokratie. (...) Alle Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und bleiben anfechtbar. Bislang haben sich die Verwaltungsrichter nicht als willige Vollstrecker der Pandemie-Politik hervorgetan. Und so soll es bleiben. Das heißt nicht, dass nicht viel mehr drin gewesen wäre. (...) Es macht einen Unterschied, ob der gesellschaftliche Ausnahmezustand immer wieder aufs Neue beschlossen werden muss – oder ob er bis zu seiner aktiven Aufhebung einfach fortbesteht. Dennoch: Völlig überzogene Vergleiche mit dem Ermächtigungsgesetz 1933 schützen nicht die Demokratie. Sie verunglimpfen sie, bewusst. Kein Wunder, dass sie ausgerechnet aus der Ecke derer kommen, die vor wenigen Wochen den Reichstag stürmen wollten."
"Augsburger Allgemeine": "Von Diktatur und Verschwörung war einmal wieder die Rede, als die Demonstranten durch Berlin marschierten. Dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten stellten sie das neue Infektionsschutzgesetz gleich. Bei allem Respekt vor einem Unbehagen gegenüber der Corona-Politik: Das ist gefährlicher Unsinn! Wer solche Vergleiche anstellt, beschädigt die Demokratie, indem er an einer wichtigen Säule sägt: dem Vertrauen. Sie ist es, auf die die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bauen. Kontrollieren lassen sich viele Anordnungen, gerade wenn sie weit ins Private reichen, kaum – es braucht den Willen der Bevölkerung."
"Ostfriesen-Zeitung" (Leer): "Das neue Infektionsschutzgesetz ist ein Schritt zurück zur demokratischen Grundordnung und zur Gewaltenteilung. Endlich! Das Ergebnis ist ein Kompromiss, wie das so ist in der Demokratie. Die Mehrheit hat entschieden. Dass die Opposition großteils gegen das Gesetz gestimmt hat, ist Teil des Spiels. Die Vergleiche aus der AfD mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 sind allerdings schamlos."
"Der neue Tag" (Weiden): "Die Fundamentalkritik der sogenannten Querdenker ist substanzlos. Gesetze haben oft die Tendenz, Rechte einzuschränken, um die Rechte Dritter zu schützen: Geschwindigkeitskontrollen genauso wie die Durchsuchung von Wohnungen bei Tatverdacht. Eine Demokratie ohne Kontrollrechte der Polizei wäre handlungsunfähig."