Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, sieht die US-Diplomatie nach der Veröffentlichung teils geheimer Dokumente durch die Internetplattform Wikileaks in einer schweren Krise. Diplomatie funktioniere auf der Basis von Vertrauen und dieses sei nun gebrochen, sagte er am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Nun müsse man wieder bei Null anfangen.
Die schwerwiegendste Konsequenz für die US-Diplomatie sei, dass Verbündete in Zukunft zwei Mal überlegen müssten, welche Informationen sie mit den Amerikanern teilen", sagte Kornblum. Diplomaten müssten daher in Zukunft anders vorgehen und weniger Einzeldaten sammeln, stattdessen analytischer arbeiten. Die Ära des vertraulichen Miteinander-Sprechens jedenfalls sei laut Kornblum vorüber.
"Ein Spionagedienst macht das etwas verdeckter"
Er sei schockiert, wie einfach es sei, dass solche Daten an die Öffentlichkeit gelangten. Als Konsequenz aus den Terrorangriffen vom 11. September 2001 habe man das Informationssystem geändert, um für eine bessere Kommunikation mehr Stellen Zugang zu verschaffen, erklärte der Ex-Botschafter. Geheime Daten seien nun von sehr vielen Menschen zu lesen. Viele Leute könnten diese Daten herunterladen. Dies sei die Schwäche in diesem System.
Es sei niederschmetternd, dass geheime Daten an die Öffentlichkeit gelangt seien. Er wies aber die Kritik zurück, US-Diplomaten arbeiteten wie Nachrichtendienste. "Wenn man einen Informanten hat, bedeutet das nicht, dass das geheimdienstlich ist." Wie Journalisten zehrten auch Diplomaten von den Informationen der Politiker. Anders als bei Geheimdiensten werde in der Diplomatie unter klaren Bedingungen gesprochen. Der Gefragte wisse immer, dass Diplomaten Daten an ihr Heimatland weitergeben. "Ein Spionagedienst macht das etwas verdeckter."
Offene Worte von den Verbündeten
Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sieht die US-Diplomatie vor einer schwierigen Aufgabe. "Ich denke schon, dass der Flurschaden beträchtlich ist", sagte der CDU-Politiker ebenfalls im ZDF-"Morgenmagazin". Die Amerikaner müssten nun Zweifel an ihrer Vertrauenswürdigkeit zerstreuen. "Sonst bekommen sie offene Worte von ihren Verbündeten nicht mehr so oft zu hören."
Größtes Problem, so Polenz, seien nicht die wenig schmeichelhaften Urteile der Amerikaner über Politiker in aller Welt. Gefährlich sei dagegen die Veröffentlichung von Papieren über US-Strategien etwa im Nahen Osten. Noch wisse man aber nicht, was genau in den Dokumenten stehe. Ihre Brisanz sei deshalb noch nicht völlig zu übersehen.
Berlusconi angeblich amüsiert
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi dagegen soll sich über die von Wikileaks enthüllten Berichte, die den italienischen Regierungschef auch wegen seines ausschweifenden Lebensstils kritisieren, angeblich amüsiert haben. Berlusconi habe "gut gelacht", als er vom Inhalt der Depeschen erfahren habe, berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Vertraute Berlusconis. In den veröffentlichten Dokumenten wird Berlusconi unter anderem als "inkompetent, aufgeblasen und ineffektiv" beschrieben.
Australien hat der US-Regierung Unterstützung bei einer möglichen Strafverfolgung zugesagt: Sein Land werde alle rechtlichen Schritte der USA gegen Wikileaks und dessen australischen Mitbegründer Julian Assange unterstützen, sagte Justizminister Robert McClelland. "Die USA werden die führende Regierung in dieser Angelegenheit sein, aber sicherlich werden die australischen Behörden behilflich sein", fügte der Minister hinzu. Er habe die australische Polizei beauftragt, zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Geheimdokumente durch Wikileaks gegen australisches Recht verstoße. Auch ein Untersuchungsausschuss der Regierung werde sich mit den Dokumenten beschäftigen.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Auf dem Weg zur "Megafon-Diplomatie"
Schwedens Außenminister Carl Bildt hat die Wikileaks-Veröffentlichung als "gefährlich für die Lösung von Konflikten" bezeichnet. "In kritischen Situationen müssten Regierungen die Möglichkeit zu vertraulichen Konsultationen haben, sonst bekommen wir eine Megafon-Diplomatie, die zu mehr Konflikten und neuen Problemen führen kann", sagte Bildt. "Es werde lange dauern, den Schaden durch die Veröffentlichungen zu reparieren. "Unterminiert man die Diplomatie so, wie das jetzt passiert, unterminiert man auch deren Rolle bei der Vorbeugung von Konflikten."
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Veröffentlichungen der US-Dokumente als fragwürdig bezeichnet. Seine Regierung werde die Unterlagen aber prüfen, sagte Erdogan. "Wir werden warten, was von Wikileaks kommt, dann können wir es bewerten und uns dazu äußern", sagte Erdogan. Den Dokumenten zufolge werden Erdogan und seine islamisch-konservative Regierung von US-Diplomaten höchst skeptisch bewertet, weil sie die Türkei in eine islamistische Zukunft führten.
Die Internetplattform Wikileaks hat mehr als 250.000 teils geheime Dokumente aus dem US-Außenministerium veröffentlicht, die verschiedenen Medien zufolge unter anderem belegen, dass Washington Mitarbeiter der Vereinten Nationen ausspionieren lässt und arabische Staaten eine Zerstörung des iranischen Atomprogramms gefordert haben. Die Dokumente stammen zum größten Teil aus der Zeit von 2003 bis Ende Februar 2010, wie der "Spiegel" berichtet.