Angesichts des Umfragetiefs der großen Koalition ist der Richtungsstreit in der CDU in eine neue Runde gegangen. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat seine Partei zur besseren Profilierung innerhalb der großen Koalition aufgerufen. "Wir werden weiter daran arbeiten müssen, dass wir das Vertrauen in die CDU in der großen Koalition weiter schärfen, und das ist möglich", sagte Pofalla am Montag im Deutschlandfunk. Dies mache man aber nicht durch einen permanenten Hickhack mit der SPD, sondern "indem wir unsere Handschrift in der Arbeit der großen Koalition deutlich machen". Pofalla verwies auf beschlossene Projekte wie die Anhebung des Renteneintrittsalters und die Föderalismusreform.
"CDU-Wähler sind enttäuscht"
Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm hatte am Wochenende kritisiert, viele CDU-Wähler seien enttäuscht und hätten den Eindruck, die CDU sei nicht mehr die Partei, die sie bei der Bundestagswahl gewählt haben. "Viele CDU-Wähler sind enttäuscht über den politischen Kurs", sagte er. Es sei für die Menschen offenbar nicht sichtbar, ob die Partei einer Linie und Überzeugung folge.
Berlins CDU-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im September, Friedbert Pflüger, beklagte: "Wir haben derzeit Gegenwind von Seiten der Bundespolitik." Nach dem letzten ARD-Deutschlandtrend ist die Zustimmung in der Bevölkerung für Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den schlechtesten Wert seit ihrem Amtsantritt gesunken. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister, Dietrich Austermann (CDU), forderte eine Generalrevision der Gesundheitsreform. Die Eckpunkte seien nach der Devise "nur niemandem wehtun" entstanden.
Der Vorsitzende der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion, David McAllister, hat die Bundespartei aufgefordert, ihre Positionen in der Berliner großen Koalition besser darzustellen. "Es wäre gut, wenn es in der Unionsfraktion Politiker aus der zweiten oder dritten Reihe gäbe, die pointierter CDU-Positionen vertreten würden", sagte McAllister der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". In der Bundestagsfraktion solle es Spielraum geben, sich abweichend von der offiziellen Koalitionslinie äußern zu können. Außerdem müsse die Regierung ihre Kommunikation verbessern: "Die Erfolge müssen besser herausgestellt und den Leuten erklärt werden", sagte der CDU-Politiker.
Rüttgers will neue Standortbestimmung
Der stellvertretende Parteichef Jürgen Rüttgers verlangte erneut eine neue Standortbestimmung und wiederholte seine Kritik an der Ausrichtung der CDU. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sagte dem "Handelsblatt", die CDU müsse sich über ihre wirtschaftspolitischen Prioritäten klar werden, damit die Wähler wieder wüssten, für was die Partei stehe.
Wie schon gegenüber dem stern in der vergangenen Woche, sagte Rüttgers, eine "Lebenslüge" sei die in der CDU und der Wirtschaft verbreitete These, niedrige Steuern führten automatisch zu mehr Investitionen und damit zu neuen Arbeitsplätzen. In seinem Bundesland sei der Effekt nicht eingetreten. Obwohl die Steuersätze seit 1998 kontinuierlich gesunken seien, sei die Zahl der Arbeitslosen um rund 150.000 gestiegen.
In der Grünen-Spitze offenbarte sich am Wochenende ein Dissens über den Sinn von Koalitionsdebatten: Die Parteivorsitzende Claudia Roth nannte sie schädlich für die Partei. Fraktionschef Fritz Kuhn sagte, Koalitionsoptionen mit SPD/FDP und mit Union/FDP seien für die Grünen gleichrangig. Roth erklärte, obwohl die große Koalition zur Zeit mies dastehe, sei ihr Ende nicht abzusehen. Deshalb seien Koalitionsdebatten zur Zeit "reine Sandkastenfarbenspiele". Sie "werden weder von unseren Wählerinnen und Wählern noch der Partei unterstützt". Roth zeigte dennoch ihre Präferenz für die SPD.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Kuhn sagte, die Grünen müssten sich für den Fall vorbereiten, dass die große Koalition kollabiere. Ein Dreierbündnis unter Führung der Union werde von den Grünen als gleichrangig mit einer SPD-geführten Dreierkoalition betrachtet. Ein Bündnis mit den Linken schloss er aus. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte in einem ARD-Interview: "Nach der nächsten Bundestagswahl, und die kommt vor 2009 im Herbst, werden wir regieren." Eine Koalition aus Union, FDP und Grünen sei letztes Jahr nicht ernsthaft sondiert worden. Das habe an den Grünen und der CSU gelegen. Jetzt beobachte er "mit gewissem Interesse" die Diskussionen bei den Grünen. Ein Bündnis mit der SPD und den Grünen werde es aus heutiger Sicht auf keinen Fall geben.