SPD-Parteitag Münte rockt das Haus

Eineinhalb Tage lang saß Franz Müntefering stumm und verschattet auf dem Podium. Die SPD-Delegierten hatten sich in Sachen Arbeitslosengeld gegen ihn entschieden. Dann endlich trat er ans Mikro - und zeigte Beck, wie man den Parteitag rockt.

Der Schock über die Streitereien um die Bahnprivatisierung saß den Delegierten noch in den Knochen. Mit Müh’ und Not hatten sich Parteichef Kurt Beck und der Vorstand in die Verlängerung gerettet und die endgültige Entscheidung vertagt. Auf den Fluren im Hamburger Kongreßzentrum wurde das Problem gewälzt, leere Stühle im Saal und auf dem Podium. Dann trat Franz Müntefering an das Mikrofon.

"Ich bin nicht ausgetrocknet"

Der Vizekanzler. Der Arbeitsminister. Jener Mann, der im Konflikt um das Arbeitslosengeld I seinem Widersacher Kurt Beck so eindeutig unterlegen war. Der Parteitag hatte am Freitag Becks Vorschlag, das ALG I zu verlängern, ohne Diskussion abgenickt. Müntefering hatte auf dem Podium gesessen, stumm und verschattet, und wie ein Verlierer ausgesehen. Hatte die SPD ihr wichtigstes Regierungsmitglied in die Resignation getrieben?

Als er in den Bundestag einzog, erzählte Müntefering am Ende seiner Rede, sei er beim legendären Herbert Wehner vorstellig geworden und habe ihm berichtet, wie er die Welt verändern wolle. Wehner habe still zugehört und gesagt, er solle mal anfangen, aber aufpassen, dass er nicht austrockne. Müntefering legte an dieser Stelle eine winzige Kunstpause ein. "Ich will Euch nur sagen: Ich bin nicht ausgetrocknet, es ist noch was da!" rief er in die Kongresshalle. Stürmischer Applaus. Standing ovations. Die Delegierten bekamen sich nicht mehr ein. Hätte sich die Parteiführung auf dem Podium nicht auf ein Zeichen hin wieder hingesetzt und damit "Ruhe" signalisiert, Münte hätte Beck in der Applaus-Statistik geschlagen.

Zuvor hatte Müntefering eine Rede gehalten, wie sie Beck wohl gerne halten können würde - präzise, klar, witzig, kämpferisch. Müntefering ließ alle Streitpunkte mit Beck aus, natürlich nicht, ohne schlitzohrig darauf hinzuweisen ("Ich habe ja geschworen, nichts dazu zu sagen"). Stattdessen legte er sich einen Ball nach dem anderen vor das Tor und zog mit voller Wucht ab. Ein Investitionsprogramm für die Infrastruktur muss her. Toooor! Dumpinglöhne müssen weg. Tooor! Der Mindestlohn muss her. Tooor! Bei der Post fangen wir damit an. Tooor! Wir haben eine Million Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Toooor! Und eine Million offene Stellen. Tooor! Das Publikum jubelte, Müntefering sprach ihm aus der Seele. Er signalisierte mit jeder Faser: Ich bin bei Euch. Ich bleibe bei Euch. Und ich werfe Euch nichts vor. Ich bin ein Kämpfer.

Applaus für Müntefering und Beck

Die verrückteste Szene spielte sich direkt nach der Rede ab. Müntefering ging zu Beck, nahm ihn sanft am Arm und geleitete ihn nach vorne. So standen sie beide im Applaus, eine symbolische Inszenierung, die möglich war, weil Müntefering sie so wollte. Das war smart und abgezockt und hinterließ Beck wohl mit gemischten Gefühlen.

Egal: Das Bild zählt. Ute Vogt, die vom Podium aus den Ablauf des Parteitags leitete, war entzückt. "Das ist das, was wir uns wünschen", sagte sie. "Ein starker Vizekanzler, ein starker Parteivorsitzender, Seit' an Seit'." Fortsetzung folgt.