Bei manch einem Abgeordneten des Bundestages hört es sich in der eilig einberufenen Debatte um die Telekom-Bespitzelung ein wenig nach Pflichtübung an, den Daten-Missbrauch bei der Telekom zu verurteilen. Da fällt zwar schon das Wort Skandal beim Unions-Redner Jürgen Gehb, in Anlehnung an die "Spiegel-Affäre" der 1960er-Jahre sieht der SPD-Abgeordnete Michael Bürsch "einen Abgrund von Datenverrat" und schwere kriminelle Handlungen mit System.
Doch das ist es in ein paar Varianten dann fast schon, was den Abgeordneten der Großen Koalition zu den Vorfällen aus den Jahren 2005 und 2006 einfällt. Nun müsse erst einmal die Staatsanwaltschaft ermitteln und der weitere Verlauf der Affäre abgewartet werden - so ist in etwa die Linie.
CDU-Mann Gehb meint, dass es die Gefahr von Datenmissbrauch durch deren bloßes Vorhandensein immer gebe und die Forderung nach neuen Gesetzen unsinnig sei. * Vielmehr müssten die bestehenden Gesetze eingehalten werden. Das Fehlverhalten Einzelner stelle diese Gesetze nicht in Frage. Man würde ja auch nicht die Abschaffung der Mammografie (Brustkrebsuntersuchung) fordern, wenn ein Arzt einer Frau dabei in sexistischer Absicht an die die Brust gegriffen habe.*
Schwere Geschütze
Es ist also durchaus schweres Geschütz, das vor allem die Union auffährt, weil sie eine Debatte über die Vorratsdatenspeicherung vermeiden will. Diesen Gefallen tut ihr die Opposition natürlich nicht. Ganz bestimmt sei der Skandal eine Sache für die Politik, sagt die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz, weil in den vergangenen Jahren eine grundrechtsfeindliche Politik betrieben worden sei. Linkspartei-Rednerin Petra Pau, die vom "vorsätzlichen Verfassungsbruch" spricht, bringt es auf die Formel: "Das eigentliche Problem ist nicht der Datenmissbrauch, sondern die Datenspeicherung selbst. Weil dadurch Datenberge wachsen, wächst die kriminelle Begehrlichkeit."
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte als eine der wenigen Rednerinnen immerhin halbwegs konkret, das Grundrecht auf Privatheit ins Grundgesetz zu schreiben. Auch sie verlangte: "Die Vorratsdatenspeicherung muss weg, weil sie die Gelegenheit für Diebe ist." Von der SPD forderte Michael Bürsch, die Bundesnetzagentur und vor allem den Datenschutzbeauftragten mehr Befugnisse zu geben. Sein SPD-Kollege Sebastian Edathy regte an, letzteres schon für den Haushalt des kommenden Jahres im Konsens aller Fraktionen zu beschließen. Die Idee, Zugriffe auf Daten automatisch zu protokollieren und dann einen Hinweis an die Datenschutzbeauftragten des Unternehmens zu senden, fanden viele Abgeordnete gut.
Warnung vor Generalverdacht
Sichtlich bemüht, die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung möglichst klein zu halten, warnte die CDU-Abgeordnete Martina Krogmann aber doch lieber vor einem Generalverdacht gegen alle Unternehmen. Es sei wichtig darauf hinzuweisen, dass es einzelne gewesen seien, die Daten missbraucht hätten. Ihr Fraktionskollege Laurenz Meyer mahnte, in der Folge der Affäre nicht die gesamte deutsche Wirtschaft mit "einem System der Kontrolle zu überziehen".
Trotz der vielen Hinweise der Redner auf den von stern und stern.de aufgedeckten Video-Bespitzelungs-Skandal bei Lidl, den Fall Zumwinkel, Bestechung bei Siemens oder die Sex-Affäre bei VW, Hinweisen auf erheblichen Ansehensverlust der Wirtschaft also, blieb die Debatte seltsam zahm. Vielleicht lag das auch an den üblichen kleinen rhetorischen Spielchen, die sich die Redner im Gegensatz zur behaupteten Bedeutung des Themas nicht verkniffen. So wies etwa Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit Hilfe des FDP-Abgeordneten Jörg van Essen Grünen Fraktionschefin Künast nach, dass sie für die Bezeichnung vom "Wolf im Schafspelz" fälschlicherweise den Gebrüdern Grimm zugeschrieben hatte.
Nach dem scharfen Dementi der Bahn von, ebenfalls in einen Bespitzelungs-Skandal verwickelt zu sein, blieb dieses Thema dagegen weitestgehend unbeachtet. Am Rande einer Ausschusssitzung zeigte sich allerdings der FDP-Abgeordnete Patrick Döring gegenüber stern.de leicht skeptisch über das scharfe Dementi der Bahn. "Wenn die Bahn so ein reines Gewissen hat, kann sie sicher bestätigen, dass Mitglieder des Bundestages nicht bespitzelt wurden." Mehrdeutig grinsend fügte er hinzu: "Diese Bestätigung hätte ich dann gerne auch schriftlich."
* Die zwischen den beiden Sternen stehenden Sätze wurden nachträglich anhand des Prokolls der Bundestagssitzung korrigiert. Die zuvor verwendete Formulierung war fehlerhaft. Wir bitten dies zu entschuldigen (Red.)