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Staatsanwaltschaft ermittelt Der rätselhafte Fall Edathy

Warum gibt ein Politiker sein Mandat auf - und macht damit eine Hausdurchsuchung möglich? Der Fall Edathy, gegen den offenbar in Sachen Kinderpornographie ermittelt wird, wirft zahlreiche Fragen auf.
Von Lutz Kinkel

Der Tag begann schon merkwürdig. Christine Lambrecht, die neue parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, hatte zur Journalistenrunde geladen, um einen Ausblick auf die Sitzungswoche zu geben. Im Marie-Juchacz-Saal im dritten Stock des Berliner Reichstags gab sie zu Beginn um 10.15 Uhr ein einleitendes Statement ab. Gegen den ehemaligen Abgeordneten Sebastian Edathy werde wegen "Verdacht auf Kinderpornografie" ermittelt, sagte sie. "Ich bin zutiefst bestürzt." Mehr könne sie aufgrund des laufenden Verfahrens nicht sagen. Auf die Rückfrage, wie sie von den Vorwürfen erfahren habe, ob sie sich auf eigene Quellen oder auf die Medien stütze, sagte Lambrecht, sie beziehe ihre Kenntnisse aus der Presse.

Lambrecht ist Juristin, drei Jahre lang hat sie ausweislich ihres Lebenslaufs als Rechtsanwältin gearbeitet. Und sie macht sich ohne Not eine noch unbestätigte Information aus Edathys Heimatzeitung "Die Harke" aus Nienburg zu Eigen?

Karriereknick nach Bundestagswahl

Edathy - der sich laut NDR im europäischen Ausland aufhält - konterte prompt auf seiner Facebookseite. Um 11.18 Uhr postete er die Erklärung: "Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornografischer Schriften bzw. hätte mir diese verschafft, ist unwahr." Die Durchsuchung seiner Privatwohnung beruhe allein auf Mutmaßungen. Zum Abschluss notiert Edathy eine Art Ehrenwort in eigener Sache: "Ein strafbares Verhalten liegt nicht vor." Damit suggeriert Edathy auch, die Staatsanwaltschaft in Hannover ermittle ohne hinreichenden Anfangsverdacht. Dabei ist Staatsanwälten durchaus bewusst, dass schon Ermittlungen - wenn sie bekannt werden - eine Welle von Vorverurteilungen auslösen, die in einen später schwer zu korrigierenden Ehrverlust münden. Deswegen sind sie bei Prominenten und Politikern normalerweise eher vorsichtig. Theoretisch möglich auch, dass Edathy etwas untergejubelt wurde. Mit seinem Engagement für ein NPD-Verbot hat er sich nicht nur Freunde gemacht.

Und dieser Mann ist ja nicht irgendwer: Edathy, 44, studierter Soziologe und Sohn eines aus Indien stammenden Pastors und einer deutschen Mutter, saß seit 1998 im deutschen Bundestag. Er stand nie der ersten Reihe der SPD-Fraktion, profilierte sich aber als konservativer Innenpolitiker. Zuletzt erwarb er sich Respekt für die Leitung des NSU-Untersuchungsausschusses. Nach der Bundestagswahl im September 2013 knickte seine politische Karriere überraschend ein. Edathy erhielt keinen Posten, wurde nicht in den Fraktionsvorstand gewählt, auch nicht ins Amt eines fachpolitischen Sprechers, im Innenausschuss des Bundestages war er nur einfaches Mitglied. Kurz gesagt: Edathy ging beim großen Postengeschacher leer aus.

Keine Reden, kein Votum

Wer mit Fraktionsmitgliedern telefoniert, kann auch Gründe dafür hören: Edathy sei nicht gut vernetzt, heißt es, Typ Einzelgänger, sozial schwierig. Zudem hätten die Frauenquote und der Regionalproporz seinen Aufstieg verhindert. Tatsächlich sind die niedersächsischen Sozialdemokraten prominent vertreten: Sigmar Gabriel ist Vizekanzler, Thomas Oppermann Fraktionschef, Hubertus Heil Fraktionsvize, Yasmin Fahimi Generalsekretärin, Edelgard Bulmahn sitzt im Bundestagspräsidium. Für Edathy gab es nichts zu holen, obwohl er als erfahrener, eloquenter Politiker mit Migrationshintergrund eigentlich gut zur Außendarstellung einer modernisierten SPD passt. Möglich ist aber auch, dass sich Edathy gar nicht mehr intensiv um Posten bewarb. Weil er vielleicht schon ahnte, dass 2014 nicht sein Jahr werden würde. In einem kryptischen Text für die "taz" schrieb er kurz vor Weihnachten: "Ich muss mich ändern!"

Ausweislich der Plenarprotokolle des Bundestags hat Edathy nach der Bundestagswahl keine Rede mehr gehalten. Bei den namentlichen Abstimmungen im Bundestag hat er sein Votum nicht abgegeben, in der Fraktion wurde er nur selten gesehen. Offenbar hatte er sich schon ziemlich weit zurückgezogen. Das zeigen auch seine Facebook-Einträge: Im neuen Jahr schrieb er einen Kommentar zum NPD-Verbot, besuchte ein Gymnasium in seinem Wahlkreis … und postete am 17. Januar seine Krankmeldung - die bis "voraussichtlich" 28. Februar gelten sollte. Auch das ist höchst ungewöhnlich: Politiker verschweigen Krankheiten normalerweise, simulieren Normalität - und berichten schon gar nicht von sich aus darüber.

Krankmeldung gepostet

Am vergangenen Samstag gab Edathy dann sein Mandat ab: aus "gesundheitlichen Gründen". Die SPD-Fraktion war völlig überrumpelt, zumal dieser drastische Schritt eigentlich immer nur der letzte ist. Kein Parlamentarier wirft seine Existenzgrundlage weg, es sei denn, er hat einen neuen lukrativen Job (Eckart von Klaeden), ist wegen eines Skandals nicht mehr satisfaktionsfähig (Karl Theodor zu Guttenberg) oder wirklich so schwer erkrankt, dass er langfristig völlig außer Gefecht gesetzt ist. Bei Edathy stand der Rücktritt vom Mandat offenbar in Zusammenhang mit den Ermittlungen: Er machte damit juristisch den Weg frei für die kurz darauf erfolgte Hausdurchsuchung. In der Regel läuft es genau andersherum: Politiker halten bis zuletzt an ihrem Mandat fest, weil es ihnen Immunität garantiert.

Warum also schied er abrupt und freiwillig aus? Eine Übersprungshandlung wegen anhaltender Frustration? Oder wusste Edathy, dass er den Vorwürfen, ob berechtigt oder nicht, nichts hätte entgegensetzen können und zog deshalb die Reißleine? Die Indizien sprechen dafür, dass er seinen Abgang zumindest vorbereitete. Die Mitarbeiter seines Bundestagsbüros seien bereits auf anderen Positionen untergebracht, heißt es aus der Fraktion. Sowas lässt sich nicht in Stunden klären, sondern bedarf eines längeren Vorlaufs.

Edathy selbst ist derzeit nicht zu erreichen. Die Pressestelle der SPD-Fraktion gab auf stern.de-Nachfrage keine weiteren Auskünfte.

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