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Bundestags-Rechtsausschuss AfD nach Abwahl Brandners wieder in der Opferrolle: "Jämmerlich und erbärmlich!"

Nach der bisher beispiellosen Abwahl von Stephan Brandner als Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses hat die AfD den Vorgang verächtlich als Aktion der "Altparteien" kommentiert. In der Tagespresse wird die Demission einhellig begrüßt.

Der Rechtsausschuss des Bundestages hat den umstrittenen AfD-Abgeordneten Stephan Brandner als seinen Vorsitzenden abgewählt. Es handelt sich um einen einmaligen Vorgang in der 70-jährigen Geschichte des Parlaments. Alle Ausschussmitglieder mit Ausnahme der AfD-Abgeordneten stimmten für die Abberufung. Sie zogen damit die Konsequenzen aus mehreren Eklats, die Brandner ausgelöst hatte. Zuletzt hatte der AfD-Politiker aus Thüringen für Wirbel gesorgt, als er auf Twitter die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg mit der Bemerkung "Judaslohn" kommentiert hatte.

Die Kommentatoren der Tagespresse halten die Abwahl des AfD-Mannes weitgehend für gerechtfertigt:

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Die Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestages ist ein einmaliger und notwendiger Akt. (...) Brandner hat sich durch sein Verhalten als unwürdig und ungeeignet für dieses Amt erwiesen, das zwar keine politische Neutralität, aber politische Mäßigung verlangt. (...) Gerade der Vorsitzende des Rechtsausschusses sollte den Rechtsstaat hochhalten - und ihn und dessen Repräsentanten nicht mit Dreck bewerfen."

"Die Welt" (Berlin):

"Es ist zu begrüßen, dass ein differenzierender Realismus im Bundestag Raum greift. Die anderen Fraktionen akzeptieren es, dass die Vorsitzenden des Haushalts- und des Tourismusausschusses - Peter Boehringer und Sebastian Münzenmaier - von der AfD gestellt werden. Beide geben bei der Erledigung ihrer Aufgaben keinen Grund zur Klage. Anders der bisherige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner. Er meinte, sein Amt mit öffentlichen Pöbeleien, Unflätigkeiten und Hass-Botschaften kombinieren zu müssen. Nun aber sollten die anderen Fraktionen der AfD das ihr zustehende Amt eines Bundestagsvizepräsidenten zukommen lassen. Wer Brandner richtigerweise abwählt, muss fähig sein, in gebotener Differenzierung akzeptable AfD-Abgeordnete zu wählen."

"Rhein-Zeitung" (Koblenz):

"Es stellt sich die Frage, ob Brandner von der AfD für den Rechtsausschuss ausgewählt worden war, weil dieser in besonderer Weise die Bürde dieses Amtes als parlamentarischer Repräsentant des Rechtsstaates würde tragen können. Oder weil sie darauf setzte, dass Brandner weiter Brandner sein würde. Zuvor war er jedenfalls im Thüringer Landtag trotz seines Vorsitzes im Migrationsausschuss durch besonders ruppige Polarisierungen und Dutzende Ordnungsrufe aufgefallen. Vieles spricht dafür, dass Brandner als ständiger Vertreter des Flügels um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke eine eigene Rolle bei der Jagd auf die sogenannten Altparteien hatte. Schließlich gehört auch er zu jenen, die für den Fall einer AfD-Regierung ankündigen, dass dann "kein Stein auf dem anderen" bleiben werde. Diesem Treiben musste dringend ein Stoppzeichen in den Weg gestellt werden. Deshalb war die Entscheidung des Bundestages richtig."

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle):

"So einmalig der Vorgang ist, so bitter nötig war er. Gewiss gibt  es in der AfD Menschen, die man gemäßigt nennen kann. Brandner und die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel sowie Alexander Gauland gehören nicht dazu. Und sie repräsentieren die Partei auf Bundesebene. Nicht ein Tweet gegen den AfD-Kritiker Udo Lindenberg hat die Absetzung Brandners erforderlich gemacht, sondern unablässige, gezielte Grenzverletzungen."

"Allgemeine Zeitung" (Mainz):

"Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Der AfD-Mann Stephan Brandner hetzte so lange, bis der Bundestags-Rechtsausschuss ihn als  Vorsitzenden abwählte. Die Märtyrer-Nummer werden Brandner nur seine Fans  abnehmen. Sonst niemand. Erstaunlich, dass der Abgewählte sagt, er sei sich  vorgekommen "wie in einem FDJ-Tribunal". Brandner wurde im Ruhrgebiet geboren; als die Mauer fiel begann er seine Berufslaufbahn. Die führte ihn bis Mitte der neunziger Jahre vor allem - durch Bayern. Freie Deutsche Jugend, nur in der DDR  als Massenorganisation von Bedeutung, im vereinten Deutschland faktisch nur noch auf dem Papier existent? Da hat der Herr Brandner die Klappe wohl zu weit aufgerissen. Bezeichnend."

"Thüringer Allgemeine" (Erfurt):

"Der AfD ist nicht an Sachpolitik gelegen. Mit dem Vorsitz im Rechtsausschuss des Bundestages hatte die Partei die Chance, den parlamentarischen Betrieb inhaltlich mitzugestalten und zu beweisen, dass sie an ernsthafter Politik im Sinne ihrer Wähler interessiert ist. Doch das ist sie nicht. Fast scheint es so, als wurde die Abwahl forciert - von der AfD im Ganzen, die im Wissen um das Auftreten des im rhetorischen Grenzbereich und darüber hinaus zündelnden Brandners den Ausschussvorsitz besetzte. Alexander Gauland stellte nach der Thüringer Landtagswahl in der Bundespressekonferenz fest, "dass Björn Höcke in der Mitte der AfD steht" - als Gründer des rechtsnationalen Flügels. Und gestern stärkte er gemeinsam mit Alice Weidel Brandner den Rücken. Nach Grenzüberschreitungen oder Fehlverhalten wurden in nicht allzu ferner Vergangenheit AfD-Mitglieder von der Parteispitze immerhin noch pseudo-gerügt. Diese Zeiten sind vorbei. Das Bild wird klarer."

"Ludwigsburger Kreizeitung"

"Nach außen mimen sie die guten Demokraten und fordern gleiche Rechte ein. In ihren Echokammern bei Twitter und Facebook oder auf Versammlungen, auf denen sie sich unbeobachtet wähnen, testen sie gleichzeitig immer weiter die Grenzen des Sagbaren aus. Gegen Flüchtlinge und Ausländer generell, gegen die Aufarbeitung der deutschen Geschichte und gegen die demokratischen Institutionen, von den "Systemparteien" bis zur "Lügenpresse". Und die angeblich nur besorgten Bürger in der AfD widersprechen nicht. So lange das so ist, werden die anderen Parteien nicht nur gegen Leute wie Brandner vorgehen, sondern zu Recht auch keinen AfD-Kandidaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten wählen. Das Parlament muss ja nicht den Kakao auch noch trinken, durch den es gezogen werden soll."

"Westfälische Nachrichten" (Münster):

"Brandner ist nach demokratischen Spielregeln entmachtet worden. Wer gewählt worden ist, der darf auch wieder abgewählt werden. So funktioniert nun mal Demokratie. Für die Riege der Rechtspopulisten um Alexander Gauland und Alice Weidel bietet dieser Vorgang die willkommene Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit einmal mehr in der Opferrolle zu präsentieren - unter mitleidsheischendem Gejaule. Das wirkt jämmerlich und ist nachgerade erbärmlich. Mit Politfiguren wie dem Höcke-Vertrauten Brandner lässt sich prima provozieren. Politische Gestaltung zum Gemeinwohl bleibt dabei aber auf der Strecke. Mit Rassismus und Hetze ist kein Staat zu machen - vor allem nicht in Deutschland."

"Stuttgarter Nachrichten":

"Brandner, der sich seiner Nähe zum Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke rühmt, war für seine Tabubrüche schon im Erfurter Landtag bekannt, kassierte Ordnungsruf um Ordnungsruf. Gegner und Migranten beleidigt er in widerwärtiger Sprache. Bei der Wahl der Kanzlerin fotografierte er seinen Stimmzettel in der Toilette des Parlaments. Man hätte schon damals wissen können, dass ein Mann, der seine politische Gegenposition nicht anders ausdrücken möchte als in solch einer peinlichen und geschmacklosen Geste der Demokratieverachtung, für die Spitze des Rechtsausschusses nicht geeignet ist. Denn dieses Gremium schützt den Rechtsstaat, die Verfassung und deren Werte."

"Volksstimme" (Magdeburg):

"Der Rechtsausschuss des Bundestags hat den AfD-Politiker Brandner als Vorsitzenden abgewählt. Und schon wieder sieht sich die AfD in der Opferrolle. Was für ein Blödsinn! Jeder, der wie Brandner ungehemmt herumpöbelt und in unsäglicher Art und Weise provoziert, hat sich als Ausschuss-Chef selbst disqualifiziert. Ja, er ist in einem bislang einmaligen Verfahren abberufen worden. Doch auch seine Entgleisungen sind einmalig. Die gereizten Reaktionen von AfD-Spitzenpolitikern auf die Abwahl Brandners sind einfach nur lächerlich. Sie kritisieren einen "Tabubruch" - ausgerechnet gegenüber einem Mann, der gezielt Tabus bricht."

"Neue Westfälische" (Bielefeld):

"Der AfD-Abgeordnete Stephan  Brandner hat schon gleich nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des  Rechtsausschusses angekündigt, für Skandale sorgen zu wollen. Das hat er getan.  Er hat den Moderator und Publizisten Michel Friedman, Bundespräsident  Frank-Walter Steinmeier und den Rockmusiker Udo Lindenberg in einer Weise  verhöhnt und herabgewürdigt, die unerträglich ist. Auch das ist in einer  Demokratie erlaubt. Aber: Es gibt kein Verfahren gegen Brandner wegen Hass oder  Hetze. Er hat keine Verfolgung zu befürchten. Er kann auch Mitglied im  Rechtsausschuss des Bundestages bleiben und wird seinerseits nicht  herabgewürdigt. Das gebietet die Meinungsfreiheit. Aber völlig zu Recht hat der  Ausschuss ihn als Vorsitzenden abgewählt. Die Mehrheit des Rechtsausschusses  will sich nicht länger von Brandner vereinnahmen und repräsentieren lassen."

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