Steuercheck Versprechen die Parteien zu viel?

  • von Sebastian Christ
Mehr Netto vom Brutto: Je näher die Wahl rückt, desto mehr versprechen die Parteien den Bürgern. Für stern.de analysieren zwei angesehene Wirtschaftswissenschaftler die Steuerkonzepte der Bundestagsparteien. Mit manch überraschendem Ergebnis.

Kaum eine Steuer ist so einfach zu erklären wie die Einkommenssteuer: Sie macht einen großen Teil dessen aus, was der arbeitenden Bevölkerung nachher vom Bruttogehalt fehlt. Sie tut weh. Aber sie muss sein. Denn dem Staat beschert sie dringend benötigte Milliardeneinnahmen.

Aber gerade weil fast jeder Beschäftigte sie kennt und verschmerzen muss, hat die Einkommenssteuer in jedem Wahlkampf exzellente Karrierechancen als Stimmenfänger. Zwischen dem ehrlichen Versuch, das Steuerdickicht abzuflämmen und einer populistischen Weihnachtsmann-Mentalität liegt dann nur noch der Weg zwischen zwei Wahlständen.

Zwei anerkannte Wirtschaftswissenschaftler beziehen bei stern.de Stellung und bewerten die Einkommenssteuerkonzepte der Parteien: Sind sie gerecht? Finanzierbar? Oder nur unrealistische Wahlkampfversprechen, die später wie Seifenblasen platzen müssen?

Gustav Horn, 53, ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Michael Hüther, 46, ist Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, das als arbeitgebernah gilt.

SPD

Die SPD hat bisher kein eigenes Steuerkonzept vorgelegt. Ende Mai präsentierte die Parteispitze ein Papier mit "Orientierungspunkten" für eine künftige Steuerpolitik. Darin werden die vergangenen Erfolge sozialdemokratischer Finanzpolitik betont, zum Beispiel bei der Vereinfachung des Steuerrechts und der Senkung des Eingangssteuersatzes. Einer weiteren Steuersenkung steht die SPD mit Verweis auf die Haushaltslage eher kritisch gegenüber. Eine Veränderung ist nur bei der Bemessungsgrenze für die so genannte Reichensteuer geplant. Dringenden Handlungsbedarf sieht die SPD bei den Sozialabgaben - hier sei noch Senkungspotenzial vorhanden. So soll die Quote im kommenden Jahrzehnt um drei Prozent sinken.

Professor Gustav Horn: "Der Weg ist nicht schlecht, aber die Schritte sind unklar und entziehen sich daher einer Beurteilung."

Professor Michael Hüther: "Es bleibt offen, wie die Senkung der Sozialabgaben erreicht werden soll. Spielraum ist nur noch bei der Arbeitslosenversicherung, in allen anderen Zweigen haben die Entscheidungen der Großen Koalition das Gegenteil bewirkt. Die SPD setzt wohl auf willkürliche Steuerzuschüsse an die Sozialversicherung. Von einem Konzept weit entfernt versucht dieser Vorschlag, Verteilungsprosa durch vordergründig Richtiges zu ergänzen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

CDU

Nach Angaben einer Parteisprecherin gibt es zum Steuerkonzept Beschlüsse von 2003 und 2007, die aber nicht mehr "tagesaktuell" seien. Deshalb wolle die CDU im Frühjahr 2009 ein neues Steuerkonzept präsentieren, das mit dem der CSU "zusammengeführt" wird.

Professor Gustav Horn: "Angesichts der Unklarheiten, auch weil die alten Vorschläge wirklich veraltet sind, ist derzeit noch keine Beurteilung möglich."

Professor Michael Hüther: "Denkpausen können im schnellen Strukturwandel zu Hilf- und Orientierungslosigkeit führen. Offenbar ist man arg überrascht. Perspektiven für eine mittelfristige Entlastung der Leistungseinkommen fehlen."

CSU

Die Christsozialen haben im Mai ein neues Konzept zur Einkommenssteuer vorgelegt. Der Eingangssteuersatz soll bis 2012 um drei auf dann zwölf Prozent sinken. Der Grundfreibetrag beträgt 8004 Euro. Ab einem Jahreseinkommen von 15.000 Euro wird jeder darüber hinaus verdiente Cent mit 23 Prozent versteuert. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll ab Einkünften greifen, die über 60.000 Euro im Jahr liegen. Für Spitzenverdiener plant die CSU einen Zuschlag von drei Prozent - 45 Prozent Einkommenssteuer ab 250.000 Euro Jahresverdienst. Die Pendlerpauschale soll zudem wieder ab dem ersten Kilometer gelten.

Gustav Horn: "Das Ganze kostet rund 28 Milliarden Euro und ist gleichfalls haushaltspolitisch bedenklich. Auch bei diesem Konzept besteht die Gefahr, dass neue Defizite im Haushalt entstehen. Im Übrigen, und dies gilt für alle Vorschläge, würde mehr Wohlstand erzeugt, wenn die Ausgaben für Bildung und Energie sparende Investitionen erhöht würden, statt die Steuern zu senken."

Michael Hüther: "Sinnvoll ist der Blick auf den gesamten Tarifverlauf, der zu einem gebotenen Heraufsetzen der oberen Tarifzone führt. Mutlos bleibt die Beibehaltung des so genannten Tarifknicks, zumal der geringere Eingangssteuersatz den Tarif dann im unteren Bereich noch steiler ansteigen lässt. Grundsätzlich wäre die Rückkehr zum linear-progressiven Tarif geboten. Steuersystematisch nicht (wohl aber landtagswahltaktisch) zu begründen ist die Wiedereinführung der Pendlerpauschale."

FDP

Die Liberalen wollen ein Drei-Stufen-Modell einführen. Dabei hat jeder Bürger einen Grundfreibetrag von 7700 Euro. Wer weniger verdient, muss nichts zahlen. Für den Einkommsteil bis 15.000 Euro werden 15 Prozent an Steuern fällig, für die Einkünfte zwischen 15.000 und 40.000 Euro werden 25 Prozent an Steuern erhoben. Jeder Cent oberhalb von 40.000 Euro wird mit 35 Prozent versteuert. Die FDP will "konsequent" Ausnahmen abschaffen und somit alle Bürger "entsprechend ihrer individuellen Leistungsfähigkeit gleichmäßig und gerecht" zur Besteuerung heranziehen. Familien sollen dabei entlastet werden.

Gustav Horn: "Völlig unfinanzierbar. Nach unseren Berechnungen kostet dieses Modell brutto rund 60 Milliarden Euro. Unter Berücksichtigung der Gegenfinanzierung bleiben immer noch über 30 Milliarden Euro Einnahmenausfälle für die öffentliche Hand übrig. Dies ist ein Programm zur Erzeugung künftiger Haushaltsdefizite."

Michael Hüther: "Der Charme der Einfachheit hat viel für sich. Allerdings ergeben sich an den Tarifgrenzen für die drei Steuersätze starke Belastungssprünge. Es ist der Versuch, zwischen dem Kirchhoff-Modell und der allgemein geforderten stärkeren Progression einen Ausgleich zu finden."

Die Grünen

Auch die Grünen haben kein fertiges Konzept in der Schublade, lediglich "Eckpunkte" einer grünen Steuerpolitik. Demnach soll der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent bleiben, der Grundfreibetrag jedoch auf 8500 Euro angehoben werden. Die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz soll ansteigen, wobei die Grünen offen lassen, wie hoch. Begründung: "Wir wollen nicht, dass ein gut bezahlter Facharbeiter und der Deutsche Bank Chef, Josef Ackermann, denselben Spitzensteuersatz bezahlen." Außerdem sollen kleine und mittlere Einkommensgruppen weniger Sozialabgaben zahlen. Die Grünen wenden sich gegen die Weidereinführung der Vermögenssteuer und setzen sich für eine Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Individualbesteuerung ein.

Gustav Horn: "Wenn schon Steuersenkungen, dann entlang dieser Linie, wobei die Finanzierung noch unklar und daher ein abschleißendes Urteil noch nicht möglich ist.

Michael Hüther: "Diffuses Steuerkonzept, dass keine systematische Weiterentwicklung des Steuersystems erkennen lässt. Mit dem offen gehaltenen Niveau des Spitzensteuersatzes werden verteilungspolitische Phantasien geweckt. Die einkommensgruppenbezogene Minderung der Sozialabgaben impliziert eine sachlich nicht zu begründende Diskriminierung."

Die Linke

Der Eingangssteuersatz bei den Linken beträgt 15 Prozent - wobei sämtliche Einkünfte bis zu einem Einkommen von 12.000 Euro steuerfrei bleiben. Danach soll der Steuersatz "linear-progressiv" ansteigen - ohne feste Stufengrenzen, dem Einkommen entsprechend. Oberhalb eines Jahreseinkommens von 60.000 Euro werden 50 Prozent Spitzensteuersatz fällig. Auch die Linke will spezielle Ausnahmen streichen, zum Beispiel bei außerordentlichen Einkünften und haushaltsnahen Beschäftigungen. Ferner möchte die Linke die Wiedereinführung der Pendlerpauschale. Ab der Haustür sollen 40 Cent pro Kilometer absetzbar sein. Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit sowie für Nachtschichten sind im Konzept der Linken weiterhin steuerfrei.

Gustav Horn: "Ebenfalls unfinanzierbar. Die Anhebung des Freibetrages, die im Prinzip richtig ist, fällt unrealistisch hoch aus. Das ist besonders teuer und daher reines Wunschdenken. Dagegen bringt die Anhebung des Spitzensteuersatzes, auch wenn sie in der Tendenz gerechtfertigt ist, nur relativ geringe zusätzliche Einnahmen. Die Streichung der Steuervorteile für haushaltsnahe Dienstleitungen ist sogar kontraproduktiv, da damit entweder Beschäftigung verloren geht oder Schwarzarbeit gefördert wird."

Michael Hüther: "Positiv ist der linear-progressive Tarifverlauf, negativ die Rückkehr zum hohen Spitzensteuersatz. Dies verkennt, dass die oberen zehn Prozent der Einkommensteuerzahler über 50 Prozent der gesamten Steuerschuld tragen. Die Wiedereinführung der Pendlerpauschale ist systematisch nicht zu begründen."