In der Bundesregierung hält der Streit über rasche Steuerentlastungen für die Bürger an. Wenn es in diesem und im nächsten Jahr Lohnerhöhungen gebe, dann wolle die Regierung durchsetzen, dass diese auch wirklich beim Arbeitnehmer landeten und nicht gleich wieder in großen Teilen "vom Steuerstaat" vereinnahmt würden, sagte Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle am Sonntag im Deutschlandfunk. Dies solle etwa dadurch geschehen, dass die Regierung das Thema der sogenannten kalten Progression anpacke. "Das sind Prioritäten, die setzen wir auch durch", sagte der Außenminister. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle betonte, die Einkommensteuer werde noch in dieser Legislaturperiode gesenkt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dagegen, sie sehe im Augenblick keine Spielräume für Eingriffe in die Steuertarife. Das Thema bleibe aber für die Zukunft auf der Tagesordnung. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus sagte, derzeit seien Steuerentlastungen nicht zu verantworten. "Das wird in diesem Jahr nicht gehen. Das wird im nächsten Jahr nicht gehen, vielleicht im übernächsten Jahr, eher nicht", sagte der CDU-Regierungschef. Merkel sagte, bei allem Stolz und aller Freude über den Aufschwung gelte: "Auch wenn wir weniger als 50 Milliarde Euro neue Schulden machen heißt das nicht, dass wir mehr Geld haben", sagte sie in Karlsruhe vor Beratungen zum CDU-Parteitag unter Hinweis auf den ursprünglichen Haushaltsansatz von 80 Milliarden Euro Neuverschuldung.
Die FDP will mit Steuerentlastungen bei der kalten Progression ansetzen. Auch die CSU macht hier Druck. Beide Parteien hatten im Wahlkampf massiv Steuersenkungen versprochen und stehen bei ihren Wählern in der Pflicht. Beflügelt werden die Forderungen durch die jüngste Steuerschätzung, die bis 2012 Mehreinnahmen von 61 Milliarden Euro voraussagt.
Unter kalter Progression wird eine Steuermehrbelastung verstanden, die entsteht, wenn Lohnsteigerungen lediglich zum Inflationsausgleich führen und gleichzeitig die Einkommensteuersätze nicht der Inflationsrate angepasst werden. Dadurch kommt es zu einem scharfen Anstieg der prozentualen Steuerlast im Einkommensbereich weit unterhalb von 100.000 Euro im Jahr.
Merkel grenzte sich vom Koalitionspartner ab. "CDU/CSU und FDP eint, dass wir ein einfaches und gerechtes Steuersystem wollen. Was darüber hinausgeht, darin haben sich schon unsere Wahlprogramme deutlich unterschieden", sagte die CDU-Vorsitzende der "Welt am Sonntag". Es sei eine deutliche Steuerereinfachung mit einem Entlastungsvolumen von etwa einer halben Milliarde Euro geplant. Ansonsten habe die Haushaltskonsolidierung absoluten Vorrang. Mit Westerwelle sei sie einig, dass die Haushaltssanierung die Hauptaufgabe sei.
Auch Brüderle sagte, mit Rücksicht auf den Haushalt sei das gemeinsame Ziel, die Steuern zu senken, auf der Zeitachse etwas verschoben worden. Merkel schließe dies für 2011 aus, und die FDP trage dies aus Überzeugung mit, sagte der Parteivize dem "Tagesspiegel am Sonntag". Im Koalitionsvertrag seien allerdings Steuersenkungen für diese Wahlperiode bis Herbst 2013 vorgesehen. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich auch CDU und CSU an das halten werden, was sie unterschrieben haben."