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Tübinger Oberbürgermeister Palmer "Nur Lösungen helfen gegen Pegida"

Wird jede Straftat angemessen bestraft? Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sagt: nein. Und empfiehlt nach der Kölner Silvesternacht, Gesetzeslücken zu schließen. Ein Gespräch.
Von Jan Rosenkranz

Boris Palmer, Grüne, ist seit 2007 Oberbürgermeister der Stadt Tübingen - er regiert dort mit absoluter Mehrheit. Mit seinen kritischen Ansichten zu Migration und Migranten eckt Palmer oft in seiner eigenen Partei an. Der politische Wirkungskreis des 43-jährigen geht weit über Tübingen hinaus: Palmer ist häufig zu Gast in Talkshows und kommuniziert seine Anliegen intensiv auf Facebook. Zuletzt hat er sich dort in mehreren Postings mit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht auseinandergesetzt.

Herr Palmer, Sie haben auf Facebook geschrieben, die Debatte über die Kölner Silvesternacht laufe aus dem Ruder. Was stört Sie?

Vorgefertigte Urteile. Die eine Seite will von vornherein unterbinden, dass überhaupt danach gefragt wird, welche Herkunft die Täter von Köln haben. Die andere Seite weiß seit Neujahr Null Uhr, dass die Täter kriminelle Asylbewerber sind.  Beides ist absurd falsch. Wir brauchen dringend eine nüchterne Analyse, die nichts weg lässt, aber auch nichts hinzu dichtet.

Sind die Kölner Übergriffe und Überfälle nur  hässliche Einzelfälle, verursacht durch Polizeiversagen, oder handelt es sich um die Kehrseite der Willkommenskultur?

Für ein Urteil über den Einsatz der Polizei fehlt mir jede Kenntnis. Es ist bestimmt nicht die Kehrseite der Willkommenskultur.  Allerdings werden wir nach der Euphorie im letzten Herbst jetzt ganz bitter auf den Boden der Tatsachen geworfen. Es ist seit einiger Zeit bekannt, dass unter den Flüchtlingen sehr viele junge Männer sind, die bei uns ganz alleine ankommen. Die Gewalt unter den Flüchtlingen und die sexuellen Übergriffe auf Flüchtlingsfrauen ging von dieser Gruppe aus. Offenbar hat diese Gruppe auch in Köln eine unschöne Rolle gespielt. 

Manche Menschen befürchten, Köln ist ein Menetekel für die Probleme, die der Zustrom vornehmlich junger männlicher Flüchtlinge auf lange Sicht mit sich bringt. Ist das schon Pegida-Argumentation?

Nein, eine solche Entwicklung kann man nicht ausschließen und daher muss man die Gefahr benennen und ihr entgegentreten. Wir müssen uns der Frage stellen, wie mehrere hunderttausend junge Männer bei uns schnell eine Perspektive und ein soziales Umfeld bekommen, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Nur Lösungen helfen gegen Pegida. 

Offensichtlich ignoriert zumindest ein Teil junger männlicher Flüchtinge oder Migranten die Regeln des Rechtsstaates. Wie sollte die Gesellschaft darauf reagieren? 

Zunächst gelassen, denn es sind wenige schlimme Ausnahmen. Es zeigt sich aber, dass einige Regeln unseres Rechtsstaats nicht mehr greifen, zum Beispiel wenn sich Täter in einer Menge verstecken können oder keine spürbare Strafe möglich ist, weil finanzielle Sanktionen nicht greifen und die Tat nicht ausreicht, das Asylverfahren zu beeinflussen. Hier müssen Lücken im System identifiziert und geschlossen werden. 

Hat die Gesellschaft, der Rechtsstaat zulange weggesehen? Und wenn ja, warum - womöglich aus  falsch verstandener politischer Korrektheit?

Nein, das denke ich nicht. Wir haben den extremen Anstieg der Flüchtlingszahlen ja erst seit einem halben Jahr. Die Verhältnisse ändern sich so rasant, dass es kaum noch möglich ist, schnell genug zu reagieren. 

Die Täter möge die "volle Härte des Rechtsstaates" treffen, heißt es nun von Politikern aller Parteien. Wieso muss man das eigentlich fordern?

Das verstehe ich auch nicht. Das muss ja immer gelten. 

Was halten Sie von der Forderung, straffällig gewordene Asylbewerber auszuweisen beziehungsweise abzuschieben?

Ob das die richtige Antwort ist, müssen Juristen bewerten. Auf jeden Fall muss es für jede Straftat eine angemessene Strafe geben. Das ist derzeit nicht immer gegeben. Und wenn einige der in Köln von der Polizei Kontrollierten schon rufen "Ihr könnt mir gar nichts" und ihre Asylpapiere zerreißen, dann gibt es schwarze Schafe, die diese Lücke erkannt haben. 

Welche konkreten Erfahrungen haben Sie in Ihrer Stadt gemacht?

Tübingen ist nach wie vor sehr sicher, wir haben nirgendwo Probleme wie in Köln. Allerdings haben wir letztes Jahr auch frustrierende Erfahrungen mit einer Gruppe von etwa 20 schwarzafrikanischen Drogendealern im Stadtpark gemacht. Sie achten darauf, kein Strafmaß zu riskieren, das für das Asylverfahren relevant wird. Geldstrafen sind nicht eintreibbar. Sanktionen bei den Leistungen sind im Vergleich zum Verdienst im kleinen Drogenhandel wirkungslos. Wenn die Polizei an einem Tag die Leute aus dem Park verweist, stehen sie am nächsten einfach wieder da. Die einzige Lösung des Problems waren verdeckte Ermittler und eine massiver Kontrolldruck. Man muss so viel Ware konfiszieren, dass es sich nicht mehr lohnt. Die Bürger verstehen aber nicht, warum der Staat fast ein Jahr braucht, um ein so offensichtliches Problem zu lösen. Dafür brauchen wir wirksamere Instrumente. 

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