Gerichtsurteil zum Heizungsgesetz Karlsruhe rügt die Ampel-Koalition: Warum der richtige Hammer erst noch kommen könnte

Von links: Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 
Von links: Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 
© Michael Kappeler
Karlsruhe hat gesprochen: Das Heizungsgesetz kann nicht, wie von der Ampel-Koalition geplant, am Freitag verabschiedet werden. Es ist eine bittere Klatsche für die Regierung – und bald schon könnte die nächste folgen.

So viel ist sicher: Das Urteil hat die Ampel-Koalition kalt erwischt. Keine 48 Stunden vor dem eigentlich geplanten Parlamentsbeschluss zum Heizungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben im Eilverfahren gestoppt. Damit ist ein Last-Minute-Beschluss vor der Sommerpause vom Tisch.  

Das Gerichtsurteil ist eine Klatsche für die Koalition, die das Reiz- und Streitthema möglichst schnell abräumen wollte. Nun soll es zwei Monate länger dauern: Die Ampel-Fraktionen wollen das Heizungsgesetz, das eigentlich Gebäudeenergiegesetz (GEG) heißt, Anfang September ins Ziel bringen, wie die Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP mitteilten.

Aber was bedeutet die Entscheidung von Deutschlands höchstem Gericht eigentlich für künftige Gesetzgebungsverfahren? Viele wichtige Fragen bleiben nach der Ansage aus Karlsruhe offen, sagt der Verfassungsrechtler Alexander Thiele von der Business & Law School in Berlin zum stern. 

"Genau das wurde gestern eben nicht entschieden"

Wie würden Sie einem Laien erklären, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat? Die ein oder andere Boulevardzeitung vermeldete sogar den Stopp des Heizungsgesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern lediglich entschieden, dass über das Heizungsgesetz nicht in dieser Woche entschieden werden darf. Es hat sich dabei aber weder zum Heizungsgesetz selbst noch abschließend dazu verhalten, ob das verkürzte Erlassverfahren tatsächlich Abgeordnetenrechte verletzt hat.

Warum?

Weil der Bundestag die Möglichkeit gehabt hätte, über das GEG auch noch in einer Sondersitzung mit etwas mehr Zeit zu entscheiden, hat das Gericht dem Bundestag vorgegeben, genau das zu tun, um nicht zu riskieren, dass es im späteren Hauptverfahren eine Verletzung von Abgeordnetenrechten feststellt, das Gesetz dann aber schon längst beschlossen ist. Mit anderen Worten: Das GEG hätte noch in diesem Monat beschlossen werden können – wenn der Bundestag eine Sondersitzung angesetzt hätte. Die Ampel-Fraktionsvorsitzenden haben sich nun dagegen entschieden. Ob die Verkürzung des Erlassverfahrens wirklich Rechte des Abgeordneten Heilmann verletzt hat, ist weiterhin völlig offen – genau das wurde gestern eben nicht entschieden. 

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann hatte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil er seine Rechte als Abgeordneter durch das rasche Gesetzgebungsverfahren verletzt sah. Er stellte Antrag auf eine einstweilige Anordnung. Dieser Antrag hatte "überwiegend" und "in der Sache" Erfolg, schreibt das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung. Wo liegt der Erfolg – und wo hat Heilmann nicht Recht bekommen?

Der Erfolg Heilmanns liegt darin, dass der vorgesehene Beschluss zum GEG jedenfalls an diesem Freitag nicht getroffen werden kann. Heilmann hatte zudem beantragt, dass das Bundesverfassungsgericht außerdem vorgibt, dass eine endgültige Abstimmung erst 14 Tage nach Übermittlung des Gesetzestextes stattfinden kann, damit die Abgeordneten die Chance haben, sich ausführlich mit dem Gesetz zu beschäftigen. Diesen zweiten Teil des Antrags hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen und damit also keine explizite Vorgabe für die notwendige Befassungszeit gemacht.

Was bedeutet das Urteil für die Zukunft des Parlamentarismus; welche Folgen hat der Richterspruch für künftige Gesetzgebungsverfahren im Bundestag?

Da wird man die Entscheidung in der Hauptsache abwarten müssen, denn über die Frage einer möglichen Verletzung von Abgeordnetenrechten hat das Gericht ja noch nicht entschieden. Als problematisch würde ich es jedoch ansehen, wenn das Gericht gerade im Hinblick auf eine Art Mindestbefassungszeit allzu strikte Vorgaben machen würde. Auch hier muss man ja sagen: Das Vorgehen entsprach insgesamt den Vorgaben der Geschäftsordnung, die sich der Bundestag einstimmig selbst gegeben hat. Insofern würde ich auch an dieser Stelle raten: Mehr Politik wagen.

Es gibt also noch offene Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen? In der Urteilsbegründung heißt es zum Beispiel, dass es noch "näherer Prüfung" bedarf, ob etwa die Verfahrensgestaltung der Ampel "rechtsmissbräuchlich" gewesen sei.

Tatsächlich hat das Gericht in der Sache noch keine Entscheidung getroffen und markiert in der einstweiligen Anordnung lediglich die Punkte, die es dann in der späteren umfassenden Entscheidung ausführlich wird klären müssen. Dazu gehört eben auch und gerade die Frage unter welchen Voraussetzungen eine gewisse Verkürzung der Befassungszeiten möglich ist. Das ist bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt und wird daher alsbald erstmals ausführlich besprochen werden.

Dass die Klage erfolgreich sein würde, wurde von den wenigsten erwartet – sogar die Unionsfraktion nahm wohl auch vor diesem Hintergrund anfangs Abstand zu dem Eilantrag ihres eigenen Abgeordneten. Auch Sie hat das Urteil überrascht, haben Sie kurz nach der Entscheidung getwittert. Warum?

Das Bundesverfassungsgericht greift hier mit der einstweiligen Anordnung tief in die Parlamentsautonomie und damit in hochpolitische Prozess ein. Das tut es zwar zum Schutz der Abgeordnetenrechte. Gleichzeitig werden dabei aber aus meiner Sicht politische Rationalitäten nicht hinreichend berücksichtigt – der politische Prozess wird als völlig rational steuerbar interpretiert.

Wie meinen Sie das? 

Gerade in einem parlamentarischen Regierungssystem mit einem Arbeitsparlament ist es generell nicht vorgesehen, dass jeder und jede Abgeordnete sich zu allen Fragen umfassend einliest. Wie sollte das auch gehen? Und welche Bearbeitungszeit hält man dann eigentlich für angemessen, wenn es auch mal schnell gehen muss? Insofern stellen sich hier doch sehr schwierige Fragen, sodass mir auch die vorgenommene Abwägung etwas einseitig scheint – nicht zuletzt die Frage der Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf ein Gesetz, das am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll, kommt in dem Beschluss etwas zu kurz. Angeboten hätte sich daher ein Kompromiss: Absehen von einer einstweiligen Anordnung und Behandlung der Frage des möglicherweise problematischen Erlassverfahrens in der späteren Hauptsache. Der politische Raum hätte sich dann in zukünftigen Fällen nach den darin enthaltenen Vorgaben richten können.