Ja, nein, jein: Christian Lindner könnte beispielhaft für das Schwanken und Schlingern stehen, das die Auseinandersetzung um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für viele in der Politik momentan darstellt. Braucht es sie wirklich, und wenn ja, wie könnte sie aussehen? Insbesondere die FDP erscheint auf der Suche nach Antworten mindestens uneins.
"Der Liberalismus kennt keine Glaubenskongregation", also nicht die eine richtige Losung, versuchte Lindner in der "Welt am Sonntag" einen Erklärungsversuch. Der FDP-Chef skizzierte die "unterschiedlichen Abwägungen", zu denen ein Liberaler kommen könne: "Einerseits wäre eine Impfpflicht ein empfindlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Andererseits nehmen Geimpfte momentan Einschränkungen ihrer Freiheit hin, weil sie auf die Ungeimpften Rücksicht nehmen müssen, um eine Überforderung des Gesundheitswesens zu verhindern." Beide Positionen genießen "Respekt" in der FDP, versicherte ihr Vorsitzender.
Für eine Partei, die die Eigenverantwortung der Menschen als ihren Markenkern versteht, ist das durchaus ein Dilemma. Auch Lindner hat noch keine endgültige Haltung angenommen: So sprach er sich im Wahlkampf gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht aus, zeigte sich später offen dafür und zuletzt unentschieden in der Frage.
Dabei gibt es auch innerhalb der FDP durchaus Befürworter für einen verpflichtenden Piks: Die Ampel-Koalitionäre beschlossen Anfang Dezember eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal, die Liberalen votierten ebenso dafür wie SPD und Grüne. Doch ob die obligatorische Spritze auch auf die Gesamtbevölkerung ausgeweitet werden soll, ist in der 92-köpfigen Bundestagsfraktion umstritten.
Das (innere) Ringen um die Corona-Impfpflicht
Ihr Vorsitzender, Christian Dürr, riet nun dazu, sich ausreichend Zeit für eine Entscheidung zu nehmen. "Natürlich nicht zu lange dauernd, klar", sagte er am Samstag im Deutschlandfunk. Wenn es zu einer Entscheidung komme, wolle man diese "auch sicherlich im ersten Quartal treffen." Aber gebe es eben noch zu viele praktische Fragen zu klären, etwa zur Wirksamkeit und Ausgestaltung. "Das ist ein Grund, warum ich sehr entschlossen sage, dass ich noch nicht festgelegt bin", sagte der FDP-Fraktionschef.
Das (auch innere) Ringen um die allgemeine Impfpflicht setzt die Ampel-Koalition zunehmend unter Druck. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von Ende November, eine Impfpflicht gegen das Coronavirus solle bis "Anfang Februar, Anfang März" in Deutschland gelten, lässt sich kaum noch in die Tat umsetzen. Der Zeitplan dürfte nicht mehr einzuhalten sein. Und die Union, nunmehr größte Oppositionspartei, weist schon genüsslich darauf hin.
Zwar unterstrich Scholz in seinem ersten Kanzler-Kreuzverhör sein klares Ja zur Impfpflicht, aber auch, dass er als Abgeordneter für einen entsprechenden Gruppenantrag stimmen werde und keinen eigenen vorlegen wird. Auch Karl Lauterbach, sein Gesundheitsminister – und ebenso Befürworter der Impfpflicht –, erklärte, keinen Antrag vorzubereiten. Was die Union unlängst als ein Wegducken der Regierung kritisiert (etwa hier und hier), ist offenbar Scholz' Versuch, den Koalitionsfrieden zu wahren: Die FDP hatte darauf bestanden, die Entscheidung den Abgeordneten im Bundestag zu überlassen und auf Gruppenanträge zu setzen.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki legte den ersten Antragsentwurf vor – der sich gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ausspricht. Nach eigenen Angaben unterstützen inzwischen über 30 Parlamentarier den Antrag, wie er zum "Cicero" sagte, darunter auch Abgeordnete der Union. Es sei "kein Verbrechen, sich nicht impfen zu lassen", sagte er nun dem "Spiegel" und verteidigte seinen Kurs. Er halte die "überbordende Ausgrenzung" von Ungeimpften für "völlig unverhältnismäßig".
Kein gemeinsamer Kurs
Gerhart Baum ist anderer Meinung. Der frühere Bundesinnenminister unter Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) kritisierte in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" den Kurs seiner Partei – und die "einseitige Interpretation" von Kubickis Freiheitsbegriff. Kubicki begebe sich "auf das Gebiet der Demagogie, wenn er behauptet, die Mehrheitsgesellschaft übe an den Ungeimpften 'Rache und Vergeltung'." Der FDP-Vize hatte Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht scharf kritisiert und ihnen "Rache" an Ungeimpften als Motiv unterstellt. "Wir brauchen das Instrument einer Impfpflicht, die an die Verhältnismäßigkeit gebunden ist", forderte Baum, der jedoch nicht mehr im Bundestag sitzt und somit keinen Antrag einbringen könnte.
Dafür will der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann einen fraktionsübergreifenden Antrag für eine gestaffelte Impfpflicht auf den Weg bringen. "Mein Ziel ist es, einen Antrag in den Deutschen Bundestag einzubringen, der eine verpflichtende Impfaufklärung und gegebenenfalls eine abgestufte Impfpflicht beinhaltet", erklärte Ullmann am Freitag in der "Augsburger Allgemeinen".

Er befinde sich dazu mit verschiedenen Abgeordneten im Austausch. Ullmann schlage demnach eine Impfpflicht für Ältere vor, als Richtwert halte er eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahre für überlegenswert. In Italien hatte die Regierung eine weitgehende Impfpflicht für über 50-Jährige eingeführt, die schon nach kurzer Zeit offenbar Wirkung zeigt.
Ja, nein, jein: In der FDP-Fraktion zeichnen sich also drei Positionen ab – für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, dagegen und für eine gestaffelte Impfpflicht. Aber kein klarer, gemeinsamer Kurs.