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Wowereits Vermächtnis Der Urknall in der Queer-Szene

Die Rücktritts-Ankündigung von Klaus Wowereit überrascht. Über seine Politik lässt sich streiten. Doch ohne sein Outing wäre Homosexualität längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Von Maren Christoffer und Lisa Ksienrzyk

Nach 13 Jahren ist Schluss für Klaus Wowereit. Er kündigte an, sein Amt als Bürgermeister im Dezember niederzulegen. Nun beginnen die Fragen nach seinem politischen Vermächtnis. Zuletzt war er in die Kritik geraten, beispielsweise für den schleppenden Bau der Hauptstadtflughafens. Ein Rückzug war daher nicht vollkommen überraschend. "Ich finde es ehrenwert, nach so langer Zeit zu sagen 'ich trete ab, bevor ich selber getreten werde'", sagt Arne Platzbecker, Landesvorsitzender der Schwusos Hamburg (Arbeitsgemeinschaft Lesben und Schwule in der SPD). Dem Punkt stimmt auch die Arbeitsgemeinschaft Lesben und Schwule in der Union (LSU) zu. "Ich finde es immer besser, wenn Politiker zum geeigneten Zeitpunkt sagen 'Ich trete zurück'“, sagt Bundesvorsitzender Alexander Vogt:

Politisch mag man den Berliner Noch-Bürgermeister kritisieren. Doch in den Köpfen der meisten Bundesbürger ist Klaus Wowereit besonders deshalb präsent, weil er sich als erster Spitzenpolitiker als homosexuell geoutet hat. Im Jahr 2001 war das ein großer Schritt. In diesem Jahr wurde nach jahrelangem Ringen das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt, was rechtlich gesehen eine Partnerschaft von Schwulen und Lesben erlaubt. "Es hat Mut erfordert, damals das Outing politisch öffentlich zu vollziehen. Dafür gebührt ihm Respekt", sagt Klaus Lederer Landesvorsitzender der Linken in Berlin. Michael Melter, Queer-Politiker der Piratenpartei, beschreibt das Outing Wowereits als "Urknall für die Queerszene." Damals habe Wowereit das Thema in die Öffentlichkeit getragen. "Er hat gezeigt, dass man auch als Schwuler etwas erreichen kann - wie zum Beispiel Bürgermeister einer Hauptstadt zu werden", sagt Melter. Von Wowereits Schritt profitieren Politiker aller Parteien. Ein schwuler Außenminister wäre wohl ohne das Outing des Berliner Bürgermeisters kaum denkbar gewesen.

Er hat der Homophobie den Kampf angesagt

Selten hat man die politischen Parteien so einig erlebt – die Person Wowereit scheint sie zu einen. Mitglieder aller Parteien und auch des Lesben - und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) sind der Meinung, dass Berlins Bürgermeister viel zum Kampf gegen Homophobie beigetragen hat. "Klaus Wowereit hat mit dem Statement 'Ich bin schwul und das ist gut so' Geschichte geschrieben. Er hat viel dazu beigetragen die Homosexualität, Antidiskriminierung, Respekt und Vielfalt in die Mitte der Gesellschaft zu bringen", sagt eine Sprecherin des LSVD. Er habe vielen Homosexuellen zu Mut verholfen, sagt sie. Brigitte Lösch, Vizepräsidentin des Landtags Baden-Württemberg, geht noch einen Schritt weiter: "Ich glaube, dass er mit seinem Outing etwas verändert hat. Ein Outing sagt immer der Gesellschaft und der Homophobie den Kampf an, und das ist seinerzeit dringend notwendig gewesen."

Nicht nur sein Outing hat etwas bewirkt. Klaus Wowereit hat sich auch stark für die schwul-lesbische Bewegung eingesetzt. "Wir haben durch ihn auch so Punkte wie Öffnung der Ehe im Parteiprogramm festschreiben können. Er hat quasi der schwul-lesbischen Politik ein Gesicht gegeben", so Platzbecker über seinen Parteikollegen. Berlins Bürgermeister habe nicht die Politik, aber "viel mehr das politische Reden über Homosexualität revolutioniert", sagt die Sprecherin des LSVD. Und das hat großen Anklang gefunden. Im Gespräch beschreibt sie eine Aufklärungsveranstaltung, bei der nach dem typischen Beruf von "Schwulen" gefragt worden sei. "Da kam als erste Antwort nicht etwa Friseur, sondern Bürgermeister."

Wir hätten uns einen wie Wowereit gewünscht

Sein Engagement konnten besonders die Berliner spüren. Dort hat er das Projekt "Zentrum im Kiez", eine Betreuungsstätte für drogenabhängige homosexuelle Menschen unterstützt. Piraten-Politiker Michael Melter hätte sich schon eher einen Klaus Wowereit gewünscht, der für die Queerszene und den Christopher Street Day einsteht. "Als wir damals in Köln den CSD mit aufgebaut haben, haben wir uns gewünscht, dass es so jemanden wie Wowereit gegeben hätte. Das hat gefehlt, und nachher fand ich es ganz großartig, dass es für ihn funktioniert hat." Für ihn habe das Outing Wowereits bewirkt, dass die Öffentlichkeit bemerkt habe, dass auch ein ganz normaler Mann schwul sein könne. "Sonst wird in den Medien ja immer die Tuntenpalette bedient."

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