Zwischenruf Rost auf der Südschiene

Die einstigen Bastionen der Union in Süddeutschland sind zu Krisengebieten geworden. Angela Merkel muss handeln, wo sie noch handeln kann, will sie nicht bei der Bundestagswahl in eine Niederlage laufen.

Der Machtverfall war schleichend, fast geräuschlos - und er frisst sich immer weiter voran. Die Klugen in der Parteiführung verfolgen ihn genau, aufs Höchste alarmiert, doch sie beschweigen ihn, um die Schwäche nicht zum Thema zu machen. Und ein öffentliches Thema, ein Gegenstand der Medien, ist die Erosion noch nicht. Man schaut nach Wiesbaden und nach Berlin. Die hessische Katastrophe ist ein Zipfel, ein wesentlicher Teil des Problems - aber längst nicht alles. Um es vollständig zu erkennen, muss der Blick nach München und nach Stuttgart gehen, nach Dresden und nach Erfurt, ja selbst nach Saarbrücken und nach Mainz: Der Süden, wo die Macht von CDU und CSU ihre Wurzeln hatte, ist ein einziges Notstandsgebiet der Konservativen geworden. Rost frisst sich voran auf der Südschiene. Wird er nicht gestoppt, verliert die Union die Wahl 2009 exakt da, wo sie Wahlen stets gewonnen hat. Wo sie siegen muss.

Die Ursachen der Malaise liegen in der Bundespolitik, im verwaschenen Profil der Union, mehr noch aber in landespolitischen Ausfällen und Affären, die sich zu einem einzigen Krisenbild verdichten. Die Faustformel schwarzen Machtkalküls besagt, dass die Union im Bund über 40 Prozent kommen muss, wenn sie mit der FDP regieren will - statt nur auf 36, wie aktuell. Das aber bedingt, dass sie in Bayern mehr als 50 und in Baden-Württemberg über 40 Prozent holt - jeweils deutlich. Pure Illusion unter den gegebenen Bedingungen.

Hilflosigkeit offenbart

Denn in den Zitadellen schwarzer Herrlichkeit machen sich Ratlosigkeit und Depression breit. In München haben Günther Beckstein und Erwin Huber, seit Edmund Stoibers Sturz zwangsvereinigte Diadochen, keine Kontur gewonnen. Ihre Hilflosigkeit haben sie am Aschermittwoch in Passau, einst Hochamt christsozialer Kraftmeierei, schockierend offenbart. Politisch setzt die CSU weder in München noch in Berlin Akzente. Also dümpelt sie in den Umfragen, sieben Monate vor der Landtagswahl, bei 52 Prozent. Nach den historischen Erfahrungen aber heißt das: um die fünf Prozentpunkte weniger bei der Bundestagswahl. Und das hieße: Niederlage.

Eine Katastrophe für Angela Merkel verspricht auch der dramatische Gesichtsverlust Günther Oettingers in Stuttgart. Seit seiner Skandalrede auf den gnadenlosen Marinerichter Hans Filbinger ist Oettinger völlig von der Rolle, zutiefst verunsichert und verstrickt in eine Kette zermürbender Affären und Stillosigkeiten. Verzweiflung macht sich breit in den Traditionskohorten der Konservativen, in Industrie und Mittelstand. Denn nichts deutet auf Einsicht oder Besserung hin.

Ähnlich marode ist der Rest des Südens. In Sachsen ist Georg Milbradt dabei, Kurt Biedenkopfs gewaltiges Erbe zu verspielen. Schon im vergangenen Sommer ermittelte eine Umfrage, erstmals in Deutschland, dass CDU und SPD gemeinsam keine Mehrheit mehr hätten für eine Große Koalition. Seither haben Milliardenverluste der Landesbank, vom Steuerzahler zu berappen, das Ansehen des kraftlos agierenden Regierungschefs zusätzlich ramponiert. Er hat die letzte unabhängige Landesbank des Ostens an den Westen verzockt. Im benachbarten Thüringen wiederum deutet alles darauf hin, dass Dieter Althaus bei der Landtagswahl im Sommer 2009 die Macht an SPD und Linke verliert. So wie Peter Müller im darauffolgenden Herbst im Saarland. Hessen ist in Wahrheit schon verloren. Und Rheinland-Pfalz wird von Kurt Beck souverän gehalten für die SPD.

Die stolze Riege schwarzer Regionalfürsten ist zerfleddert.

Die Ursache der Malaise liegt im verwaschenen Profil der Union, mehr noch aber in Ausfällen und Affären

Die einstmals stolze, unschlagbar wirkende Riege der schwarzen Regionalfürsten ist bis zur Unkenntlichkeit zerfleddert. Bleiben als Figuren von nationaler Ausstrahlung im Norden und Westen nur noch Christian Wulff, Ole von Beust und Jürgen Rüttgers. Doch Wulff und Rüttgers tun nichts zur Stärkung Merkels. Sie, die immer allein herrschen wollte, muss plötzlich fürchten, alleinzustehen bei der Wahl im kommenden Jahr. Und dass sie erneut so übel einbricht wie 2005, als die Union in Bayern nur 49,2 und in Baden-Württemberg 39,2 Prozent geholt hatte. Im Osten wie im Westen, ohne Bayern, war die SPD sogar stärkste Partei.

Die Krise auszusitzen wäre halsbrecherisch - die Kanzlerin muss ihre Südschiene polieren, wo sie noch kann. Indem sie etwa Erwin Huber als Wirtschaftsminister in ihrem Kabinett rasch eine Bühne zur Profilierung als CSU-Chef verschafft. Indem sie ihren baden-württembergischen Fraktionschef Volker Kauder freigibt zur Bindung der Konservativen im Südwesten. Indem sie ihren Kanzleramtsminister Thomas de Maizière nach Dresden schickt - und Georg Milbradt in die Wüste. Und indem sie Roland Koch als EU-Kommissar in Brüssel eine neue tragende Rolle zuweist - und seiner unstrittigen Wirtschaftskompetenz ein Aktionsfeld.

Hat sie so viel Kühnheit, Kraft und Kaltschnäuzigkeit?

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Hans-Ulrich Jörges