Nach dem ersten Spieltag schon über Trainer diskutieren? Wie absurd ist das denn? Stimmt. Deshalb wollen wir uns am Krisengerede gar nicht erst beteiligen, sondern stellen Ihnen lieber den neuen sportal.de-Trainer-Index vor, mit dem wir während der kommenden Saison die 18 Bundesligacoaches bewerten wollen.
Warum gibt es den Index? Die Debatten um Trainer und ihre Jobsicherheit wird in den deutschen Medien gerne und ausdauernd geführt. Gerne wird dabei ein einziges Spiel zum Maßstab der Kompetenz eines Trainers genommen. Oder in Boulevardmedien geschürte Stimmungen dienen den gleichen Medien dann als Beleg dafür, dass "der Trainer wackelt". Wir haben uns zwar in der Vergangenheit mehrfach als Anhänger der langfristigen Arbeit von Clubs positioniert, sind aber keineswegs der Meinung, eine Trainerentlassung sei in jedem Fall das falsche Mittel.
Nur ist die Trainerentlassung leider oft das falsche Mittel, oder sie erfolgt zum falschen Zeitpunkt - gerne, um aufgebrachten Fans oder Medien gegenüber nicht als untätig da zu stehen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und den Bedingungen nicht immer professionell arbeitender Führungsgremien in den Clubs geraten die rational wichtigen Fragen meist in den Hintergrund:
1) Was wollen wir mit diesem Trainer erreichen?
2) Ist das ein unter den gegebenen Umständen realistisches Ziel?
3) Handelt es sich bei der aktuellen Erfolglosigkeit um ein kurzfristiges oder ein strukturelles Problem?
4) Welche Alternativen bestehen, und ist es wahrscheinlich, dass wir mit einer Alternativlösung unsere Ziele mittelfristig eher erreichen?
Beispiele für den verpassten Zeitpunkt einer richtigen Trainerentlassung in den letzten Jahren wären etwa Thomas Dolls spätes Aus in Hamburg 2007, als der HSV trotz massiver Erfolglosigkeit in allen Wettbewerben (ein Sieg in 23 Pflichtspielen) am Trainer festhielt, ihn dann aber direkt nach der Winterpause doch feuerte.
Oder der Umgang von Borussia Mönchengladbach mit Michael Frontzeck in der Vorsaison. Aufgrund einer desolaten Hinrunde mit zehn Punkten aus 17 Spielen hätte es allen Grund gegeben, sich vom Trainer zu trennen. Als es dann nach Weihnachten gerade besser lief (sechs Punkte aus den ersten drei Rückrundenspielen) reichte ein schwaches Spiel auf St. Pauli, um zum Rausschmiss Frontzecks zu führen.
Noch weniger nachvollziehbar der Umgang des VfL Wolfsburg mit Steve McClaren: Als sieben sieglosen Punktspielen in Folge auch noch das Pokalaus gegen Cottbus zu Hause folgte, hielten die Verantwortlichen immer noch am Engländer fest. Ende Januar wurden ihm sogar fünf neue Spieler gakauft. Diese durfte er aber nur ein einziges Spiel testen, bevor McClaren nach der Niederlage in Hannover dann doch entlassen wurde.
Worum es geht
Was wollen wir nun mit unserem Index besser beurteilen? Vor allem sollen die Trainer der Bundesligisten daran gemessen werden, wie sie die realistischen Ziele ihrer Clubs erreichen oder verfehlen. Das können konkrete Ziele sein (Klassenerhalt, Europa League-Platz etc.) oder allgemeinere Anforderungen (Entwicklung des Kaders, Einbau junger Spieler). In jedem Fall aber sollen die sportlichen Faktoren im Vordergrund stehen und das Image, das ein Trainer in den Medien genießt, nur nachrangige Bedeutung für unsere Beurteilung haben.
Wie eingangs betont, wäre es nun absurd, bereits nach einem Punktspiel Urteile über die Arbeit der Trainer zu fällen. Was sich aber zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison anbietet, ist, die Anforderungen fest zu halten, die wir an die einzelnen Trainer stellen werden. Kurzfristige Änderungen wie Verletzungspech können die Situation zu einem späteren Zeitpunkt natürlich modifizieren, aber es ist durchaus möglich, das jeweilige langfristige Projekt zu benennen, das vor jedem Trainer liegt.
Jürgen Klopp (Borussia Dortmund)
Angesichts der großen Erfolge und der beeindruckenden Spielweise muss Dortmunds Trainer vor allem das fortsetzen, was er in den letzten Jahren angefangen hat. Die Verteidigung des Meistertitels ist dafür keineswegs Pflicht, aber ein Platz unter den ersten Drei oder Vier der Tabelle sollte mit dem bestehenden Kader herausspringen. In der Champions League muss der BVB zudem das Ziel haben, die Gruppenphase zu überstehen - fast egal, was die Auslosung sagt. Alles nach dem Achtelfinale wäre dann Bonus.
Robin Dutt (Bayer Leverkusen)
Als neuer Trainer in Leverkusen braucht Robin Dutt sicherlich etwas Zeit, um die Mannschaft da zu haben, wo er sie sehen möchte. Der Meistertitel ist das faktische Ziel des Vereins, aber angesichts der Konkurrenz wäre es vermessen, diesen sicher zu erwarten. Um sein Projekt fortzuführen, in das Bayer 04 viel Geld investiert hat, ist das Erreichen der Champions League jedoch essentiell. In der Königsklasse selbst gut abzuschneiden, ist demgegenüber fast nachrangig.
Jupp Heynckes (Bayern München)
Den Vorteil der Rückendeckung durch Uli Hoeneß genießt Jupp Heynckes immerhin. Außerdem hat er eine hochklassige Mannschaft zur Verfügung. Sein Vorgänger Louis van Gaal konnte sich vom Double und dem Erreichen des Champions League-Finals nicht viel kaufen, als er im Frühjahr entlassen wurde. Auch Heynckes muss kurzfristig Erfolg haben. In der Bundesliga sowieso, aber auch in Europa, wo München als Gastgeber des Champions League-Finals fungieren wird. Ein frühes Aus in der Königsklasse ist also indiskutabel. Von den konkreten Zielen abgesehen, steht Heynckes auch vor der Aufgabe, das Spielsystem der Bayern zu modernisieren und eine Antwort auf Dortmunds Power-Fußball zu finden.
Mirko Slomka (Hannover 96)
Niemand wird von Slomka erwarten können, dass die Roten erneut in die Europa League einziehen. Aber der Kader ist im Wesentlichen zusammengeblieben, sodass jetzt zumindest kein erneutes Abtauchen in den Abstiegskampf folgen darf. Ein Platz in der oberen Tabellenhälfte wäre sportlich ok. Vom Spielsystem her besteht die Aufgabe darin, größere taktische Flexibilität zu erzielen, damit das Hannoveraner System nicht auf Dauer ausrechenbar wird. In der Europa League ist alles Kür, da gegen Sevilla nicht zwingend der Einzug in die Gruppenphase gefordert werden kann.
Thomas Tuchel (Mainz 05)
Ganz anders als für Slomka stellt sich die Situation für den Europa League-Kollegen Tuchel dar. Nach dem Verlust von drei Leistungsträgern kann es nur darum gehen, den Club auf einem Niveau zu stabilisieren, das oberhalb der Abstiegszone liegt. Früh gerettet zu sein, ist ein realistisches Ziel, nachdem das Abenteuer Europa schon auf blamable Weise zu Ende gegangen ist. Spielerisch muss es Tuchels Ziel sein, so schnell wie möglich die Tugenden seines Spiels auch mit dem neuen Personal umzusetzen.
Dieter Hecking (FC Nürnberg)
Auch der Club musste einen starken Aderlass hinnehmen. So wäre eine Forderung, die obere Tabellenhälfte zu erreichen, fast vermessen. Der Klassenerhalt müsste es natürlich schon sein, und nebenbei das erreicht werden, was Hecking in den letzten Jahren immer wieder gelang: junge Spieler aus dem Nachwuchs ins kalte Wasser zu werfen. Ob es ihm auch abzuverlangen ist, die Mannschaft perspektivisch so weiter zu entwickeln, dass eine strukturelle Verbesserung möglich ist, lässt sich schwer sagen. Das könnte auch eher die Aufgabe von Martin Bader sein.
Marco Kurz (FC Kaiserslautern)
Warum Marco Kurz nach seiner famosen Saison mit dem FCK nicht zu den großen deutschen Trainertalenten gezählt wird, ist nicht ganz klar. Was müsste der Lauterer Coach tun, um das zu ändern? Wenn man sich den Kader ansieht und die Abgänge von Srdjan Lakic und Jan Moravek bedenkt, dann kann das Ziel eigentlich nur der Klassenerhalt sein. Möglichst früh.
Michael Oenning (Hamburger SV)
Eine Sonderrolle unter den Bundesligatrainern kommt dem Hamburger Michael Oenning zu. Für die anstehende Übergangssaison ist er auf den ersten Blick eine Übergangslösung. Einen konkreten Tabellenplatz als Ziel zu nennen, geht an den Erfordernissen vorbei. Aber in Abstiegsgefahr geraten darf man als HSV-Trainer nicht. Zumindest nicht über Monate hinweg. Viele der jungen, neuen Spieler einbauen, dabei einen Mittelfeldplatz halten - das wäre im Wesentlichen Oennings Mission.
Marcus Sorg (SC Freiburg)
Als Nachfolger des erfolgreichen Robin Dutt hat Marcus Sorg keine dankbare Aufgabe übernommen. Sollte auch noch Goalgetter Papiss Demba Cissé den Verein verlassen, dann ist der Klassenerhalt das einzige, was man von ihm verlangen kann.
Stale Solbakken (FC Köln)
Im schwierigen Kölner Umfeld bekommt der neue FC-Coach schon für seine Nominierung eines neuen Kapitäns viel Gegenwind. Diese Dinge drohen, das Sportliche zu überlagern. Was das angeht, kann man sagen: Ein Mittelfeldplatz sollte drin sein, mit idealerweise so viel Abstand nach unten, dass die mittelfristige Weiterentwicklung des Clubs in Angriff genommen werden kann. Denn jedes Jahr darf Köln nicht gegen den Abstieg spielen.
Holger Stanislawski (1899 Hoffenheim)
Angesichts des Sparkurses in Hoffenheim ist es nicht einfach, zu bestimmen, was genau das objektive Ziel für Neucoach Stanislawski sein sollte. Der Kader ist gut, aber nicht so gut, dass man zwingend einen Platz in der oberen Tabellenhälfte erwarten muss. Abstiegsgefahr sollte nicht sein, und nebenbei wird man hoffen, dass Stanislawski dem Team seinen eigenen Stempel aufdrücken kann. Dann kann man in der kommenden Saison weitersehen, was mit dem Projekt Hoffenheim eigentlich passieren soll.
Bruno Labbadia (VfB Stuttgart)
Wie wir schon an anderer Stelle geschrieben haben, steht Bruno Labbadia vor einer Schlüsselsaison in seiner Trainerkarriere. Denn in Stuttgart hat er die Chance, zum ersten Mal überhaupt im Profifußball über eine Saison hinaus erfolgreich zu arbeiten. Gelänge es ausgerechnet ihm bei dem Club, der in den letzten Jahren mindestens einen Trainer pro Jahr gefeuert hat, wäre das eine nette Ironie der Geschichte. So ist auch schon die Haupterrungenschaft beschrieben, die Labbadia in der kommenden Saison gelingen könnte: Kontinuität. Soll heißen: Kein übermäßiger Abstiegskampf. Viel mehr wird man von seinem Kader nicht fordern können.
Thomas Schaaf (Werder Bremen)
Der dienstälteste Bundesligatrainer musste seine Ansprüche inzwischen etwas herunterschrauben. Nicht mehr die Champions League ist das Ziel, schon ein Platz in der oberen Tabellenhälfte könnte als Fortschritt gelten. Das allerdings nur, wenn es den Bremern gelingt, wieder ein belastbares Spielsystem zu etablieren, und nebenbei vielleicht auch mal wieder selbst junge Spieler hervorzubringen, die internationale Klasse besitzen.
Ralf Rangnick (Schalke 04)
Nach den Turbulenzen der vergangenen Saison um Felix Magath beginnt Rangnick nun seine hoffentlich erste ganze Saison in Gelsenkirchen. In dieser muss sein gut besetzter Kader einen Platz unter den ersten Sechs erreichen und sich wieder zumindest für die Europa League zu qualifizieren, damit man von einer gelungenen Spielzeit sprechen kann. Nebenbei kann es nicht schaden, in der Europa League etwas Geld zu verdienen, aber das Hauptaugenmerk liegt klar auf der Bundesliga.
Felix Magath (VfL Wolfsburg)
Der erneute Meistertitel muss es natürlich nicht sein. Aber Wolfsburgs Kader ist so stark, dass ein erfahrener Klassetrainer wie Magath damit einen Europacupplatz holen muss. Alles andere wäre eine klare Enttäuschung.
Lucien Favre (Borussia Mönchengladbach)
Die Verpflichtung von Lucien Favre kam in Gladbach vielleicht etwas zu spät - aber sie führte zur wundersamen Rettung der Borussia. Jetzt sollte der nächste Schritt folgen. Und der müsste darin bestehen, eine Saison zu erleben, die jenseits der Abstiegszone verläuft. Gelingt das, und kann Favre seine taktisch beeindruckende Arbeit mit dem Kader fortsetzen, dann wären wohl alle am Niederrhein zufrieden.
Markus Babbel (Hertha BSC)
Obwohl der Kader der Hertha wesentlich besser bestückt ist als der des Mitaufsteigers FCA, wäre es fatal, wenn die Verantwortlichen in Berlin mehr vom Trainer erwarten würden als den sicheren Klassenerhalt. Dass Babbel grundsätzlich gut und nachhaltig arbeiten kann, hat er in Stuttgart unter Beweis gestellt. Die Hertha-Verantwortlichen sollten nicht den Fehler der Schwaben machen und schnell die Geduld mit ihrem talentierten Coach verlieren. Dieses Jahr reicht ein unterer Mittelfeldplatz, dann kann man über die nächsten Schritte nachdenken.
Jos Luhukay (FC Augsburg)
Angeblich darf Luhukay alle 34 Spiele verlieren und würde trotzdem nicht entlassen, so FCA-Präsident Walther Seinsch. Das ist eine zwar nett gemeinte, aber ziemlich sinnlose Aussage. Wenn die Ergebnisse so völlig egal wären, dann könnte man den Trainerposten ja gleich ganz einsparen. Tatsächlich sind die Anforderungen an Luhukay aber wirklich nicht sehr hoch. Unter Umständen könnte auch ein Abstieg zu verschmerzen sein, denn dass der Augsburger Kader nicht zwingend zu den besten 16 der Liga gehört, scheint klar. So dürfte es für den Coach darauf ankommen, die Mannschaft weiter zu entwickeln und entweder in der Liga zu halten oder mit Würde wieder in die Zweitklassigkeit zurückzukehren. Was sicher nicht geht, ist eine Hinrunde mit null Punkten.
So viel zur Ausgangslage. Nachdem sich die Arbeit der 18 Trainer etwas besser einschätzen lässt, also etwa Mitte der Hinrunde, wollen wir unsere Beurteilung erstmals detailliert darlegen.
Daniel Raecke