Fast hätte meine Reise nach Südamerika nicht stattgefunden. Zuhause war alles auf eine längere Abwesenheit eingestellt: die Post umgeleitet, die Wohnung vermietet, der Papierkram erledigt, das Gepäck gepackt. Ich hatte am frühen Morgen nicht verschlafen und den Zug zum Flughafen rechtzeitig erreicht. Mein Reisepass war zwar fast voll, aber noch fünf Jahre lang gültig. Mein Ticket für den Flug AA 83 mit American Airlines von Frankfurt/Main nach Chicago hatte ich auch dabei. Aber bevor die amerikanischen Fluggötter einen den Flug genießen lassen, hatte ich noch eine Sicherheitskontrolle zu überwinden.
Die meisten internationalen Fluggesellschaften verlassen sich dabei auf das gründliche Durchleuchten des Gepäcks, von dem die Fluggäste sicherheitshalber gar nichts mitbekommen. Bevor man aber bei einer amerikanischen Fluglinie an Bord gehen darf, muss man zusätzlich noch einen mündlichen Sicherheitscheck über sich ergehen lassen. Normalerweise wird man nur gefragt, wie viele Gepäckstücke man dabei hat, ob man diese selbst gepackt hat und vor allem, ob man diese seit dem Packen nicht mehr aus den Augen gelassen hat. So soll sichergestellt werden, dass die Fluggäste nichts Verbotenes an Bord bringen können, insbesondere keine Waffen und gefährliche Gegenstände. Es können aber auch ganz andere Fragen gestellt werden.
Meine Flugroute sollte mich erst mit einem Transatlantikflug nach Chicago führen. Daran sollte sich ein Inlandsflug nach Miami und schließlich ein Flug nach Santa Cruz in Bolivien anschließen, letzterer mit einer weiteren Zwischenlandung in der bolivianischen Hauptstadt La Paz. In den letzten Jahren war ich schon ein wenig herumgekommen - was natürlich in meinem Reisepass dokumentiert war. So eine Situation wie die folgende hatte ich aber noch nicht erlebt.
Ich stand am Frankfurter Flughafen in der Schlange vor dem Check-in-Schalter, als eine Angestellte der von American Airlines beauftragten Sicherheitsfirma meine Aufmerksamkeit wollte. Nach einer freundlichen Begrüßung stellte sie mir ihre erste Frage.
"Kann ich bitte Ihren Pass sehen?"
Nun, dieser höflichen Aufforderung konnte ich natürlich nicht widerstehen und reichte der Dame meinen Pass. Sie öffnete ihn an einer beliebigen Stelle, stutzte und hielt mir den Pass wieder vor die Nase.
"Für welches Land ist dieses Visum bitte?"
Oh, das ist für Libyen
"Libyen?"
Ja.
Die Dame öffnete eine andere Seite des Passes, auf der wiederum eigenartige, unbekannte Schriftzeichen in verschiedenen Farben und kleine bunte, briefmarkenähnliche Klebemarken prangten.
"Und dieses Visum?"
Ich musste mich vorbeugen um etwas erkennen zu können und sagte dann: Syrien.
Die Dame öffnete mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck eine andere Seite des Passes und hielt mir den Pass wortlos unter die Nase. Ich verstand diese Aufforderung und antwortete auf die nicht gestellte Frage: Libanon.
Langsam wunderte ich mich, warum sich die Dame nur für die bunten arabischen Stempel interessierte und nicht für die Stempel aus Ländern wie Japan, Singapur, Australien, Indonesien oder Belize - die aber zugegebenermaßen alle nicht so bunt sind.
"Was haben Sie in diesen Ländern gemacht?"
Ich habe dort Urlaub gemacht.
"Kann ich bitte Ihr Flugticket sehen?"
Ich gab ihr mein Ticket.
"Sie fliegen nach Santa Cruz?"
Ich nickte.
"Santa Cruz in Argentinien?"
Nein, Santa Cruz in Bolivien.
Jetzt veränderte sich der Gesichtsausdruck der Dame und die bis dahin noch verhaltene Freundlichkeit machte einem ernsten und nachdenklichen Ausdruck Platz. Und mir dämmerte es, welche Gedanken hinter ihrer Stirn aufkamen: Der kommt aus den Terroristenländern und jetzt will er ins Kokainland! Vorsicht!
"Wo werden Sie in Santa Cruz wohnen?"
In einem Hotel.
"In welchem Hotel?"
Für einen Moment kam mir ein verwegener Gedanke: Kennt diese Dame vielleicht verschiedene Hotels im bolivianischen Santa Cruz? Ich kannte nämlich keine und antwortete: Ich weiß nicht. Aber ich habe einen Reiseführer und werde mir nach meiner Ankunft ein Hotel aussuchen.
"Kann ich den Reiseführer mal sehen?"
Ja.
Langsam kamen mir erste Zweifel, ob ich wirklich noch den Passagierstatus auf diesem Flug einnehmen würde, holte aber den Reiseführer aus den Untiefen meines Gepäcks. Dies dauerte ein Weilchen, weil das Buch gut verstaut und das Gepäck aus Sicherheitsgründen abgeschlossen war. Die Dame nahm den Reiseführer und blätterte ein wenig in dem Buch - Gott sei Dank war es in ihrer Muttersprache geschrieben.
"Und wohin fahren Sie im Anschluss an Santa Cruz?"
Ich weiß nicht, ich möchte einfach ein bisschen von Land und Leuten kennen lernen.
"Was machen Sie in Deutschland?"
Ich arbeite an einer Universität.
Und jetzt kam die beste aller Fragen für den Urlauber.
"Haben Sie ein Empfehlungsschreiben Ihrer Universität dabei?"
Nun wunderte ich mich wirklich über die Sicherheitsrelevanz all dieser Fragen. Ein Empfehlungsschreiben? Warum sollte irgendjemand mit einem Empfehlungsschreiben auf Reisen gehen? Und von wem sollte dies geschrieben sein? Von meinem Kollegen und Freund? Ich hätte so ein Papier selbst schreiben können. Die offiziellen Briefbögen der Universität hatte ich wie alle meine Kollegen in der Schublade meines Schreibtisches. Einen hoch offiziell aussehenden Stempel ebenfalls. Unterschriften sind ohnehin nie leserlich. Und wofür sollte so ein Schreiben gut sein? In den nächsten Wochen fragte ich eine ganze Reihe von Reisenden nach ihren Empfehlungsschreiben. Und wurde regelmäßig dumm angeguckt. Natürlich hatte niemand ein solches Papier dabei. Und jedes Mal, wenn ich dieses Gespräch mit American Airlines zum Besten gab, war das der Witz des Abends. Nur für mich am Flughafen war das ganze kein Witz mehr: Während ich ausgefragt wurde, checkten alle anderen Passagiere ein. Aber natürlich beantwortete ich die Frage. Wie ich fand, mit einer eleganten Wendung: Nein, aber ich habe eine Visitenkarte!
"Kann ich diese Karte mal sehen?"
Ich öffnete noch einmal mein Gepäck (Warum hatte ich das eigentlich wieder verschlossen?), suchte nach der Visitenkarte, verschloss das Gepäck wieder (hoffentlich zum letzten Mal) und reichte der Dame meine Karte. (Ob sie auf ein Abendessen nach meiner Rückkehr aus war? Ich hätte nicht nein gesagt...) Sie sah sich die Karte an und machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Jetzt hatte sie etwas Schwarz auf Weiß.
Ich habe ihr natürlich nicht erzählt, dass ich die Karte selbst entworfen, zum Drucken gegeben und auch dafür bezahlt hatte. Als ich damals eine neue Karte brauchte, musste das recht schnell gehen und selber machen war einfacher als die Bürokratie der Hochschule einzuschalten. Die Dame verabschiedete sich jetzt mit den Worten: "Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mit meinem Supervisor sprechen." Sprachs und verschwand mit Ticket, Pass, Reiseführer und Visitenkarte!
Sie hatte offensichtlich Schwierigkeiten, ihren Supervisor zu finden. Denn während ich bedrückt beobachtete, wie die American Airlines Angestellten alle Check-In-Schalter außer einem schlossen, sah ich die Dame an verschiedenen Stellen im Gewühl des Flughafens auftauchen, bis sie irgendwann gar nicht mehr zu sehen war. Die AA-Mitarbeiterin am letzten Check-in-Schalter tat so, als wenn sie Papiere ordnen würde, während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie sie von mir beobachtet wurde. Diese Neugier konnte ich ja noch verstehen. Die Neugier der anderen Angestellten jedoch nicht. Wofür sollten all diese Fragen gut sein? Würde diese Dame mir wirklich den Sitzplatz im Flug nach Santa Cruz (Bolivien, nicht Argentinien) verweigern? Je länger ich zu warten hatte, desto weniger konnte ich das ganze verstehen und desto nervöser wurde ich. Ich beobachtete auch die Passagiere um mich herum, die problemlos und zügig an anderen Schaltern bei verschiedenen (nicht amerikanischen) Fluggesellschaften eincheckten. Hätte ich vielleicht doch besser nach Griechenland fliegen sollen? Was wollte ich eigentlich in Bolivien?
Es dauerte fast eine Viertelstunde (!), bis die Dame wiederkam. Aber jetzt machte sie einen sehr zufriedenen, fast glücklichen Eindruck. Sie meinte, dass sie mit ihrem Supervisor gesprochen hätte und jetzt alles in Ordnung sei. Unendlich erleichtert griff ich nach meinem Gepäck und wollte zum Schalter voreilen, so dass die dort wartende Angestellte auch endlich ihre Arbeit beenden konnte. Aber nichts da, jetzt wollte die Sicherheitsfrau erst noch ihre normalen Fragen stellen.
"Wer hat Ihr Gepäck gepackt? War das Gepäck die ganze Zeit in Ihrer Obhut? Hat Sie irgendjemand hier am Flughafen angesprochen? Hat Sie irgendjemand gebeten, etwas mitzunehmen?"
Und so weiter. Mein Kooperationswille war jetzt sehr gering und ich beschloss zu lügen, um nicht in letzter Minute noch meine Chancen auf einen Sitzplatz in der Maschine zu gefährden. Ich hatte zwar mein Gepäck am Abend vorher selbst gepackt und außer dieser Dame hatte mich auch niemand angesprochen, aber während der dreistündigen Zugfahrt zum Frankfurter Flughafen war ich einmal auf der Toilette gewesen. Und dorthin hatte ich mein verschlossenes Gepäck natürlich nicht mitgenommen. Wenn ich das jetzt zugegeben hätte, wären meine Chancen auf den Sitzplatz wohl gegen Null gesunken. Also beantwortete ich alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit.
Ich bekam mein Ticket, meinen Pass, meinen Reiseführer und sogar meine Visitenkarte (also doch kein Abendessen nach der Rückkehr) wieder zurück und konnte einchecken. Natürlich war mein vorher telefonisch reservierter Sitzplatz (am Fenster und mit viel Beinfreiheit) mittlerweile anderweitig vergeben worden und ich musste den letzten verfügbaren Sitz nehmen: In der Mitte des Flugzeuges, gleich vor der Kinoleinwand, ohne Möglichkeit die Füße unter einen Vordersitz zu stecken. Meine Ruhe würde wohl dahin sein.
Was ich daraus gelernt habe? Nun, zunächst werde ich mir vor meiner nächsten Reise mit einer US-amerikanischen Fluggesellschaft einen neuen Pass besorgen. Oder noch besser: einen zweiten Pass nur für die Amis beantragen. Und zum anderen werde ich mir Universitätsbriefpapier schnappen und eine Reihe von Empfehlungsschreiben aufsetzen: "To whom it may concern. The person presenting this letter is an honourable member of our staff. Please make sure that he will not have any check-in problems...".
Gunter Quaißer
(Anmerkung der Redaktion: Den Text hat uns stern.de-User Gunter Quaißer zugesandt und wurde nahezu unverändert veröffentlicht)