Es wird noch voller auf den Radwegen. Scooter von Circ, Voi und Lime rollen schon durch die deutschen Straßen – nun steigt ein echtes Schwergewicht in den Wettbewerb ein. Den Wert der Verleihfirma Bird schätzt die "New York Times" auf 2,26 Milliarden Euro. Weltweit hat die Firma mit dem Sitz in Santa Monica mehrere Hunderttausend Scooter im Einsatz. In Deutschland geht Bird stärker als die Konkurrenz an den Start, weil die Firma selbstentwickelte und gebaute Scooter einsetzt. In Berlin, München, Hamburg, Frankfurt und Köln beginnt Bird mit einer kleinen Flotte, weitere Roller und Städte sollen folgen. Wir sprachen mit dem Europachef Patrick Studener
Herr Studener, "Bird" gehört zu den Pionieren der Scooter-Bewegung. Sie haben vor zwei Jahren angefangen und sind jetzt weltweit in weit über hundert Städten tätig. Nun auch in Deutschland. Wie kam es zu der stürmischen Expansion?
Ja, wir haben in Santa Monica klein angefangen. Dann haben wir gesehen, dass die Scooter nicht nur als Hobby, als Spaßgerät, gesehen werden, sondern viele Leute den Scooter jeden Tag benutzen, um zu Arbeit zu kommen. Unser Gründer Travis VanderZanden hat sich gedacht: "Wenn das bei uns schon so gut funktioniert, in Europa sind die Städte noch dichter besiedelt." Da ist das Problem mit dem Verkehr noch größer, denn L.A. ist breit und meist nicht sehr hoch bebaut.
International ist die Situation von Stadt zu Stadt sehr verschieden. Bei uns haben die Menschen, die in Städten leben, und kein Auto benutzen, meist eine Monatskarte und können den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Ein Scooter kostet extra. Warum soll man den regelmässig benutzen?
Das unterscheidet sich wirklich sehr. In Deutschland gibt es in den großen Städten einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. So etwas existiert in den USA nicht. Europäische Städte haben auch Hunderte von Kilometern an Radwegen – nicht genug, aber immerhin. Woanders gibt es das gar nicht. Hier bieten jedes Bürogebäude und jede Firma eine Möglichkeit, Räder und damit Scooter abzustellen. Das ist auch nicht selbstverständlich.
Aber Sie haben nicht mit Deutschland angefangen, als Sie die USA verlassen haben. Sondern mit Paris und Tel Aviv. Wieso?
In Tel Aviv hatten wir eine besondere Situation. Dort musste man niemand den E-Scooter erklären. Dort waren Scooter im Privatbesitz schon seit einigen Jahren beliebt. Dort ist es ganz normal, dass jemand seinen Scooter unter dem Schreibtisch liegen hat. Und Paris hat erklärt, dass die Stadt wegen der enormen Verkehrsprobleme offen für alle Konzepte ist – solange es keine Autos sind.
Aber in beiden Städten haben die Scooter-Verleiher inzwischen mächtig Gegenwind. Anwohner sind genervt und die Kommunen reagieren. Was sagen Sie zu der Kritik?
Da gibt es zwei Seiten. Die User lieben die Scooter. In jeder Stadt, in der wir angefangen haben, haben wir gemerkt, wie schnell die Leute diese Geräte angenommen haben. Freiwillig und mit Begeisterung. Das ist für eine Verkehrswende doch ganz gut.
Zugegeben – ihre Kunden lieben das Scooter-Gefühl. Aber den Ärger gibt es dennoch.
Natürlich, doch sehen Sie: Die ganze Branche ist erst zwei Jahre alt. Also gibt es unendlich viele Dinge, die wir noch verbessern können. Und an denen wir arbeiten. Ein Thema, das öfter angesprochen wird, lautet, wo soll man die Scooter korrekt abstellen? Wo stören sie nicht? In der Früh, wenn wir die aufgeladenen Geräte rausstellen und auch dann, wenn der Nutzer den Scooter abstellt. Da müssen Regeln gefunden werden. In Paris gibt es sehr viele Scooter und auch Probleme beim Parken. Nun hat die Stadt 4500 Abstellplätze zugewiesen. Die haben wir in die App einprogrammiert und stellen unsere Birds dort auch ab. Und wenn ein Kunde eine Fahrt beendet, bekommt er eine Nachricht: "Hey, zehn Meter weiter ist ein korrekter Abstellplatz!" Und dann gibt es auch eine kleine finanzielle Belohnung, wenn er den Scooter dort hinstellt.
In Deutschland werden ganz ähnliche Abmachungen zwischen Kommunen und Verleihern geschlossen.
Wir glauben nicht, dass unsere Kunden die Anwohner absichtlich behindern wollen. Am Ende der Fahrt macht der User ein Bild und diese Fotos analysieren wir auch und bei Problemen gibt es eine Rückmeldung. So gibt es einen Lerneffekt bei den Usern und dann haben wir Angestellte, die heißen bei uns "Bird-Watcher", die den ganzen Tag herumgehen und schlecht abgestellte Scooter korrekt hinstellen. Da sind wir in einer Anpassungsphase. Generell sehen wir, dass das Abstellen besser wird.
Also, Sie sehen Bird zumindest auf dem richtigen Weg. Eine andere Kritik entzündet sich an der geringen Lebensdauer der Scooter. Wo bleibt die Nachhaltigkeit, wenn die Geräte nach drei Monaten reif für den Sondermüll sind?
Dieses Problem wollen wir nicht nur lösen, wir haben es schon gelöst. Viele Leute greifen auf die Zahlen von vor 1,5 Jahren zurück. Die Industrie bewegt sich sehr schnell. Richtig ist, zuerst hielten die Roller nicht sehr lange. Woran lag das? Als wir angefangen haben, gab es weltweit nur zwei, drei Firmen, die Scooter in großen Stückzahlen gebaut haben. Wir haben alles getestet, was man von der Stange kaufen konnte und haben uns das Gerät Xioami genommen und es etwas für unsere Bedürfnisse adaptiert.
Das war aber ein Gerät, das ursprünglich für Privatkunden und nicht für den Verleih entwickelt wurde?
Ja, das war okay, um mit irgendetwas anzufangen. Wir haben aber schnell gesehen, dass ein Scooter, der für den Privatkunden entwickelt wurde, für den kommerziellen Verleihbetrieb nicht geeignet ist.
Da müssen wir ehrlich sein. Diese Scooter haben wirklich nur zwei, drei Monate im kommerziellen Bereich ausgehalten, vielleicht auch vier oder fünf – wenn man Glück hatte. Einzelne laufen auch nach über einem Jahr noch, aber das ist nicht die Regel. Wir müssen uns die Nachhaltigkeit ansehen und natürlich wollen wir umweltfreundlich sein.
Wir haben sehr schnell gesehen, dass wir etwas anderes als einen Scooter von der Stange brauchen und haben dann begonnen, ein eigenes Modell zu entwickeln. Den Bird Zero haben wir Ende 2018 rausgebracht, dann kam der Bird One. Diese Geräte kann man nicht vergleichen. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Birds werden ein bis zwei Jahre im Verleih sein, das ist auch betriebswirtschaftlich eine ganz andere Rechnung.

Den Bird One kann man bereits als Einzelkunde bestellen. Die Unterschiede zu anderen Modellen sind auffällig. Die Geräte sind sehr clean. Es gibt keine sichtbaren Kabel. Beim Bird Two sind nicht einmal Schrauben zu sehen. Was haben Sie gemacht?
Am auffälligsten ist sicher, dass wir kein Gelenk an der Lenkerstange mehr haben – das war ein großer Schwachpunkt. Sonst arbeiten wir an sehr vielen kleinen Dingen. Lagern, Dichtungen – eben den Sachen, von denen wir wissen, dass sie in der Praxis Ärger machen. Außerdem haben wir Serviceteams, die hart daran arbeiten, unsere Scooter sehr lange im perfekten Zustand zu halten.
Eine längere Lebensdauer der Scooter ist eine wichtige Voraussetzung, um dauerhaft mit Gewinn arbeiten zu können. Im Moment finanzieren Sie Ihre Expansion mit Risikokapital, aber irgendwann muss das Geschäft auch Geld abwerfen. Was sind die Voraussetzungen dafür?
Es ist leicht, schnell zu wachsen. Die Herausforderung ist, dabei profitabel zu sein. Die wichtige Frage dafür lautet, wie viele Fahrten muss ein Scooter an einem Tag absolvieren und nicht unbedingt, wie viele Scooter in der Stadt stehen.
Sie haben zwar auch eine App, aber anders als Airbnb agieren Sie in der Real-Economy. Ihnen gehören die Scooter, Sie bauen sie sogar, Sie müssen sie warten, laden und aufstellen. Das sind echte Kosten. Wie gehen Sie damit um?
Genau, Airbnb baut nicht die Häuser, die sie vermieten. Wichtig ist zu wissen, wie viele Scooter werden wo verwendet. Darum haben wir jeden Tag eine andere Zahl von Scootern im Einsatz. Wir haben ein eigenes Wetterteam – wenn es regnet, stellen wir weniger Scooter auf die Straße. Sogar die Regenzeiten sind wichtig. Scooter dürfen nicht sinnlos herumstehen. Das Schlimmste wäre, wenn der Scooter am Abend noch dasteht, wo wir ihn am Morgen hingestellt haben. Das optimieren wir mit unseren Daten. Wir wissen ja zu jedem Zeitpunkt, wo unsere Scooter stehen und wo die Kunden einen suchen.
Bleibt die Frage nach dem operativen Gewinn. Wie häufig muss ein Scooter unterwegs sein, damit sie glücklich sind?
Im Moment nehmen wir im weltweiten Schnitt vier Dollar pro Fahrt ein und davon ist etwa ein Dollar Profit. Mit drei bis vier Fahrten am Tag sind wir glücklich, und wir arbeiten daran, diese Zahl nach oben zu bringen. Das ist viel wichtiger als die Zahl der Scooter.
Derzeit gibt es - zumindest gefühlt - Hunderte von Scootern-Verleihern und es werden immer mehr. Ihre Einschätzung: Wird das so bleiben?
Auch das ist eine Übergangsphase. Nicht jedes Start-up wird in eine Gewinnphase kommen. Wir glauben, dass nur die größeren Firmen, die eigene Scooter entwickeln, auf Dauer überleben werden. Kleinere Firmen, die Scooter von der Stange kaufen, werden es schwer haben. Wir sind nicht nur im App-Business, sondern auch im Hardware-Business. Einen Hardware-Zyklus kann nicht jedes kleine Start-up nachmachen.
Hier spielt auch die Menge an Daten und die Fähigkeit, sie zu analysieren und zu nutzen, den größeren Firmen in die Hand.
Das nehmen wir an. Entscheidend ist auch der Service. Nicht nur für den User, sondern auch für die Kommunen. Die Städte wollen, dass Sharing Mobility funktioniert. Sie wollen keine Müllberge und kein Parkchaos. Ich glaube, die Städte werden auf Dauer nur noch Partnerschaften mit den "guten" Firmen eingehen.
Mit dem Einzelverkauf von Scootern wollen Sie auch eine andere Erwerbsquelle neben dem Verleih erschließen. Wie man lesen konnte, machen Sie beim Scooter nicht halt. Was kommt noch?
Der E-Scooter löst nicht alle Verkehrsprobleme – er ist eine gute Lösung für die letzte Meile oder auch für ein Stückchen mehr. Wir haben daher eine Firma gekauft, die E-Bikes und E-Motorroller herstellt. Wir werden unseren Usern auch den Cruiser anbieten.
Der Cruiser ist ein Zweisitzer, elektrisch betrieben – und er erinnert an eine moderne Version der alten Mini-Motorräder – er sieht ein wenig so aus, wie die Donkey und die Dax von Honda.
Der Cruiser ist auch für Fahrten von zehn Meilen das Richtige, dafür wäre ein Scooter nicht so ideal. Je nach Land gilt er rechtlich noch als E-Bike oder als Elektro-Moped.
Kritiker wenden ein, wegen des Scooters wird niemand sein Auto zu Hause lassen, die Kritiker sagen, es steigen nur Fußgänger auf den E-Scooter um. Was sagen Sie dazu?
Wenn jemand 1,5 bis zwei Kilometer von der S-Bahn entfernt wohnt, dann fährt er nicht mit dem Auto zur Bahn und fährt dann noch zehn Kilometer mit der Bahn. Er fährt gleich die ganze Strecke mit dem Auto und darum ist die letzte Meile so wichtig. Außerdem ist der Verleih eine besondere Situation. Jemand, der jeden Tag von der Wohnung ins Büro fährt und dann die gleiche Strecke wieder zurück, wird meist ein eigenes Verkehrsmittel benutzen – ob das nun ein Auto, ein Rad oder ein E-Scooter ist. Ein Verleih-Scooter ist für eine andere Situation gedacht. Sie kommen morgens ins Büro, haben dann aber Termine und finden sich am Feierabend irgendwo wieder. Und um von dort zur Bahn zu kommen, da leihen Sie sich einen Bird.
Die Mikromobilität entwickelt sich. Die Scooter sind ein Teil. Elektroräder ein anderes und es wird noch sehr viel mehr an neuen Fortbewegungsmitteln kommen, die allesamt kleiner sind als ein Auto. Kommt die Infrastruktur noch mit?
Auch hier sind wir in einer Übergangsphase. Die Scooter haben sich enorm schnell weltweit verbreitet. Sehen Sie nur, wie schnell in Deutschland entsprechende Gesetze erlassen wurden. Auch mit einer Menge Sachverstand.
Das sind Gesetze. Was ist mit der realen Situation auf den Straßen?
Ich habe noch keine Stadt kennengelernt, die nicht einen Plan hat, um langfristig die Zahl der Autos deutlich zu reduzieren. Und versuchen wird, für das Auto andere Optionen der Mobilität hineinzubringen.
Im Moment stehen 40 bis 60 Prozent der öffentlichen Fläche den Autos zur Verfügung. Der ganzen Fläche, nicht nur der Straßen. Die Städte sehen auch, dass der Straßenraum neu verteilt werden muss. Amsterdam wird jedes Jahr 1500 Parkplätze aus dem Bestand nehmen. Tel Aviv und Paris wollen alle paar Hundert Meter einen Parkplatz für Shared Mobility hinstellen. Das wird passieren.
Hinzu kommt die Mentalität. Ich werde häufig gefragt, warum es in Amsterdam und Kopenhagen so sicher ist, mit dem Rad zu fahren, obwohl sehr viele Räder unterwegs sind. Ein Punkt ist die Infrastruktur, ein anderer die Mentalität. In diesen Städten denken die Autofahrer nicht mehr, dass die Straße nur für sie da ist. Da wäre in anderen Ländern noch etwas zu tun. In Deutschland denken noch sehr viele Autofahrer, dass die Fahrbahn ihnen allein gehört.
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