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Micro-Mobility E-Scooter in den Städten: Warum es keine Roller-Müllberge geben wird

E-Scooter kommen bei den Leuten so gut an, dass sie auf das Auto verzichten. Eigentlich sollte das kein Problem sein, sondern begrüßt werden.
E-Scooter kommen bei den Leuten so gut an, dass sie auf das Auto verzichten. Eigentlich sollte das kein Problem sein, sondern begrüßt werden.
© Martin-Dm / Getty Images
E-Scooter werden keine Müllberge hinterlassen, so Alexander Kirn. Seine Firma Invers ist Weltmarktführer für Sharingtechnik und -software. Die Politik müsse sich entscheiden, wie viel autofreie Mobilität sie haben und welchen Raum sie Scootern geben will.

Herr Kirn, Sie sind der Chef von Invers. Invers kennt kein Mensch und doch sorgen Leute wie Sie dafür, dass das Sharing überhaupt funktioniert. Wie kommt es, dass eine Firma aus Siegen weltweiter Marktführer für neue Mobilitätsdienstleistungen wurde?

Wir waren sehr früh am Start. Das erste Invers-Produkt entstand 1993 – noch vor Gründung des Unternehmens. Unser Gründer, Uwe Latsch, hat zu Studienzeiten das erste automatisierte Carsharing-System erfunden. In den 1990ern haben wir bereits Kunden unterstützt, die damals Sharing-Systeme aufgebaut haben. Wir betreiben das Sharing-Geschäft nicht selbst. Wir sind eine Mobility-Tech-Company, wir entwickeln die Technologie dahinter.

Seit 1993 hat sich die Sharing-Idee verändert. Mit Anbietern wie Airbnb wurden weltweite Marken geschaffen.

In unserem Segment, der Mobilität, kam 2008 der Durchbruch mit dem ersten Free-Floating-Carsharing von Car2Go. Mit diesem Verzicht auf feste Stationen kamen eine neue Idee und Dynamik in das System. Heute betreuen wir weltweit das ganze Spektrum von Fahrzeugen über die E-Roller von Emmy bis hin zu E-Scootern.

Sharing hatte immer ein positives Image. Das hat sich radikal geändert, als chinesische Anbieter aufgetaucht sind und ihre Schrottfahrräder überall herumstanden. Nun gibt es wieder Angst vor Scooter-Müll in den Städten. Ist das berechtigt?

Nein. Ich glaube nicht, dass es "herrenlose" Scooter geben wird. Aus mehreren Gründen. Dabei geht es auch um den Preis. Ein verlassenes, vergessenes Fahrzeug wird es bei einem Auto naturgemäß nicht geben.

Richtig, niemand wird einen BMW einfach stehen lassen, damit er verrottet.

Genau, auch bei einem Elektroroller ist der Produktpreis noch sehr hoch. Und auch ein E-Scooter ist zu teuer, als dass sich der Betreiber nicht um die Geräte kümmern muss. Eine Flotte von funktionsfähigen Scootern ist seine Geschäftsgrundlage.

Sie sagen also, darum werden sich die Betreiber schon kümmern …

Das werden sie, aber nicht sie allein. Anders als bei Fahrrädern sind die E-Scooter immer vernetzt. Wir liefern nicht nur eine Software, sondern auch die Telematik. Das ist eine Box, die diese E-Scooter mit der Cloud verbindet. Um die Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten, hilft unsere Technologie. Diese Fahrzeuge sind immer sichtbar. Nicht nur für die Betreiber, auch die Kommunen und Behörden können, sofern sie die Rahmenbedingungen schaffen, Zugriff auf die Daten nehmen und feststellen, wo welche Geräte sind und was mit ihnen gemacht wird.

Nutzen Kommunen diese Möglichkeiten bereits?

Los Angeles hat den Betreibern der Dienste auferlegt, Schnittstellen bereitzustellen. Die Stadt kann also genau feststellen, wo die Sharing-Scooter gerade sind. So kann es nicht zu solchen Problemen kommen, dass ein Park vollgestellt wird. Ich glaube nicht, dass es eine Stadt voller herrenloser E-Scooter geben wird, die einfach herumliegen.

Bei einem Elektrogerät wie dem E-Scooter gibt es auch einen großen Unterschied zum Sharing-Fahrrad – die Steckdose.

Genau, um den E-Scooter muss sich der Betreiber kümmern. Das geht nicht anders. Denn meistens ist die Batterie abends leer. Über Nacht müssen Sie die Fahrzeuge einsammeln, um sie zu laden. Wenn das der Betreiber macht, dann kann er sie am nächsten Morgen auch an den Hot-Spots positionieren, die er mithilfe der Software identifizieren kann.

Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand und ein Kostenfaktor, aber so kann es nicht geschehen, dass Scooter irgendwann in abgelegenen Zonen stranden, wo sie keiner mehr abholt?

Ja, beim E-Scooter können Sie schon heute ein Rebalancing-System betreiben. Ein Auto nachts von A nach B zu fahren, ist sehr aufwändig. In Zukunft wird das mit Autonomen Fahrzeugen von allein gehen. Doch Stand heute ist das nicht so. Das lohnt sich häufig nicht. Bei den E-Scootern sieht das ganz anders aus. Die können morgens genau dort sein, wo die Kunden sind. 

Aus Städten, in denen bereits Sharing-Scooter fahren, gibt es Klagen über eine Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer durch eine Armada an Scootern.

Auch das muss nicht sein. Ob eine Stadt zu viele Scooter hat, liegt nicht allein an den Betreibern. Es ist auch keine Frage unserer Technik. Das ist eine Frage der Regulierung. Eine Kommune muss sich jetzt fragen: Wie viele E-Scooter im Sharing will ich zulassen? Überlasse ich das ganz allein den Betreibern, kann es natürlich auch zu viele geben.

Sie sagen: Hier ist die Politik gefragt.

Ja, das ist eine Frage des politischen Willens. Wo lasse ich diese Geräte und wie schnell fahren sie, sind politische Fragen. Wir bieten mit unser Technologie Unterstützung an. Man kann sehr einfach Bereiche mit einer reduzierten Geschwindigkeit definieren. Dann kann man beispielsweise in einer Fußgängerzone nur sieben Stundenkilometer fahren.

Man könnte auch sagen, auf bestimmten Plätzen, etwa dem Petersplatz in Rom, dürfen Scooter gar nicht mit Motor fahren, also Tempo Null?

Ein Gebiet wie eine Fußgängerzone oder den Vorplatz zu einer Kathedrale können wir über die Daten des GPS definieren. Das arbeitet sehr zuverlässig. Derzeit arbeiten wir daran, Bürgersteig und Fahrradweg von der Fahrbahn der Straße zu unterscheiden, aber das funktioniert noch nicht ausreichend präzise.

Es wird sehr viel über Scooter gesprochen. Aber diese Geräte sind kein Allheilmittel für die städtische Mobilität. Die sind doch nur für sehr kleine Entfernungen zu gebrauchen.

Auf den Scooter richtet sich jetzt das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, dabei ist der Scooter nur einer von vielen Bausteinen der neuen Mobilität. In vielen Fälle ist ein Scooter das Richtige. Sie kommen aus der Bahn und wollen nicht auf den nächsten Bus für die letzten zwei Kilometer warten – dann ist ein E-Scooter sehr praktisch. Das ist ein Bereich, der bisher nicht gut bedient wurde.

Es gibt Fahrräder für die kurze Distanz. Die sind allerdings meist an Stationen gebunden und fahren meist nicht mit einem Motor.

Ja und da kommen jetzt die E-Scooter hinzu. Für einige Szenarien ist ein Elektro-Roller wie von Emmy das Richtige, für andere Bedürfnisse benötigen sie ein großes Fahrzeug. Da muss jede Stadt schauen, welchen Mix sie wirklich haben will. Damit man für jeden Fortbewegungswunsch auch das richtige Fortbewegungsmittel anbietet. Das ist letztlich das große Versprechen des Sharing.

Das Elektrofahrrad taucht in Ihrem Universum nicht auf, obwohl es im Endkonsumentenmarkt doch den größten Erfolg hat. Wieso?

Das ist eine interessante Frage. Wir glauben, dass das Thema Mikromobilität sehr stark im Kommen ist und da gehören Pedelecs natürlich dazu. Doch unsere Stärke als Firma liegt im Bereich der "dockless" Mobilität. Also Sharing ohne einen festen Standort. Die großen Fahrrad-Sharingsysteme arbeiten meist mit festen Stationen, das ist also nicht ganz unser Fokus.

Was meinen Sie, warum arbeiten die Anbieter nicht längst mit Pedelecs oder steigen da erst jetzt wie Uber in London langsam ein?

Bei den Pedelecs, so wie bei den E-Scootern auch, muss sich die Robustheit im Sharing-Einsatz noch beweisen. Wichtig ist, dass diese Fahrzeuge von vornherein für das Sharing konzipiert werden, denn der Privatnutzer geht letztendlich doch anders mit seinem Eigentum um. Die Ausgangssituation im Sharing ist also eine andere. Ein Pedelec aus dem Laden wäre hier nicht die richtige Lösung. Aber auch dieser Bereich wird langsam aber sicher kommen.

Kritiker sagen: Abwarten - mal sehen, was bleibt, wenn der erste Scooter-Rausch verflogen ist.

Wir glauben an die Sharing-Idee, sonst würden wir nicht machen, was wir machen. Es macht einfach sehr vielen Leuten großen Spaß, mit diesen Geräten zu fahren.

Wenn die E-Scooter im Stadtbild auftauchen, werden andere Leute neugierig, so etwas einmal selbst auszuprobieren. Nicht jeder wird dabeibleiben, aber doch viele. Wir sehen, wie sehr die Zahl der Fahrten zunimmt, das ist enorm. Ich denke, durch die Scooter werden die Nutzer aufgeschlossen für andere Sharing-Angebote, was in Folge natürlich dem Konzept Shared Mobility im Ganzen hilft.

Viele fürchten auch eine Unfall-Welle durch den Scooter-Boom.

Da gibt es natürlich verschiedene Faktoren. E-Scooter sind jetzt neu, daran muss man sich gewöhnen. Will man einen Helm tragen? Muss man einen Helm tragen? Was wir als Technologieanbieter tun können, ist etwa helfen, die Höchstgeschwindigkeit in bestimmten Gebieten zu regulieren. Entscheidend ist aber auch die generelle städtische Infrastruktur für die kleinen Verkehrsmittel zu optimieren.

Die ist in Deutschland nicht so ausgebaut. Darüber klagen die Fahrradfahrer, nun kommen die Scooter hinzu.

Im Bereich der Mikromobilität wird weltweit an vielen Konzepten gearbeitet, die in Zukunft auf die Straßen kommen werden, und viele davon gehen stärker auf den Faktor Sicherheit ein, als der E-Scooter. Doch wenn man wünscht, dass mehr Leute nicht mit dem eigenen Auto in die Stadt fahren, müssen die Kommunen umsteuern. Beim E-Scooter sieht man, dass die Nachfrage der Nutzer da ist. Die Menschen fahren gern mit einem kleinen Fahrzeug und verzichten dann auf’s große Auto. Nun muss sich die Politik entscheiden, wieviel Raum die Mikromobilität in den Städten bekommen soll.

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