Grasende Wiederkäuer auf saftigen Wiesen, jahrhundertealte Bauernkaten und Mägde in adretter Tracht. Bis vor kurzem war die Welt noch in Ordnung in Molfsee. Einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein, der, wenn überhaupt, Schlagzeilen wegen seines idyllischen Freilichtmuseums machte. Doch es geht ein Gespenst um in der beschaulichen Gemeinde. Genauer gesagt: Es fährt. Dutzende dunkle Kleinwagen touren seit Anfang Juli kamerabestückt durch Deutschland. Heerscharen an Helfern fotografieren 360-Grad-Panorama-Ansichten für den Straßenkartendienst Google Street View. Tapfer stemmen sich die resoluten 4856 Molfseer gegen die Vorboten der Globalisierung, gegen den Suchmaschinengiganten aus San Francisco.
"Wir lehnen das ab. Nicht alles, was aus Amerika kommt, wollen wir auch bei uns haben", sagt Roman Hoppe, Bürgermeister der streitbaren Kommune. "Wir wollen nicht im Internet sein."
Die Molfseer wenden sich gegen den Google-Dienst Street View, der unter anderem in 40 Städten in den USA und für die Strecke der Tour de France in Frankreich bereits online ist. Die Vision des Projekts: Die Städte sollen nicht mehr nur aus der Vogelperspektive, sondern auch in 3-D via Internet abrufbar sein, weltweit. Die Fotos werden von fahrenden Autos aus gemacht, auf deren Dächern Digitalkameras installiert sind.
"Die Gemeindevertreter sind sich einig"
Angst vor dem Ausleuchten des Privatlebens fährt mit. Auch weil diese Befürchtungen in den Medien ausgeschlachtet werden. "Was, wenn am Ende Kriminelle im Internet suchen, wo das große Geld steckt?" hieß es unlängst in einem Bericht in den Tagesthemen. Gar von einem "heimlichen Fotoshooting" war die Rede. Kein Wunder, dass die Molfseer nächste Woche den IT-Gigant in die Schranken weisen wollen. "Ob CDU, SPD, FDP oder Freie Wähler, alle 22 Gemeindevertreter sind sich einig", sagt Hoppe. "Wir werden eine Resolution verfassen." Eine Waffe gegen die "Datenkrake" Google glauben die Kommunalpolitiker auch schon gefunden zu haben: die deutsche Straßenverkehrsordnung.
"Wir haben uns das Gesetzeswerk vorgenommen und entdeckt: Google braucht eine Sondernutzungserlaubnis, wenn es zu kommerziellen Zwecken Straßenzüge ablichtet. Und die werden wir einfach verweigern", erklärt der Bürgermeister trotzig. Auch SPD und FDP im schleswig-holsteinischen Landtag teilen die Bedenken gegen das Street-View-Projekt des Suchmaschinen-Anbieters. "Wir haben beantragt, das Thema auf die Tagesordnung der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am Mittwoch zu setzen", raunte der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki am Montag vielsagend in die Mikrofone der Journalisten in Kiel. Die Erfassung und Veröffentlichung der Daten sei bedenklich.
Unklare Rechtslage
Tillo Guber, Professor für Verwaltungsrecht aus München, dämpft im stern.de-Interview den Aktionismus der Nordlichter: ""Die Rechtslage ist zurzeit unklar." Datenschutzrechtlich sei gegen das Fotografieren öffentlicher Straßen nichts auszusetzen. Zudem habe eine Sondernutzungserlaubnis rechtlich nichts mit der Straßenverkehrsordnung zu tun, sondern mit den Straßengesetzen. Sein Resümee: "Google kann das Ganze recht gelassen sehen."
Die Datenschützer sind sich nicht einig. Street View verstößt nach Ansicht von Landesdatenschützer Thilo Weichert gegen das Bundesdatenschutzgesetz. "Auch wenn die Daten aus dem allgemein zugänglichen Bereich heraus erfasst werden, so überwiegen gegenüber den Veröffentlichungsinteressen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen". Der oberste Datenschutzbeauftragte von Hamburg, Hartmut Lubomierski, allerdings gibt Entwarnung. "Ich kann in diesem Fall die Entrüstung über Google nicht verstehen." Jeder könne doch heute schon jeden Platz, jedes Gebäude der Welt fotografieren und die Fotos anschließend ins Netz stellen. Das ist nicht verboten. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wesentlich schlimmer seien aus seiner Sicht dauerhafte Videokameras oder Webcams.
Der größte Schönheitsfehler des Molfseer Aufbäumens gegen die Globalisierung: Google will die 4856-Seelen-Gemeinde in der Nähe von Kiel gar nicht fotografieren. Sie sei schlicht zu unbedeutend.
Google interessiert sich nicht für Schleswig-Holstein
"Es gibt keine und gab nie Pläne, überhaupt in Schleswig-Holstein aktiv zu werden", sagt Konzernsprecher Kay Oberbeck. "Es gibt dort einfach keine Städte in der Größenordnung, die für uns interessant ist. Wir wollen spektakuläre Aufnahmen, die auch weltweit genutzt werden." Der Widerstand gegen das Datensammeln, der mit latenten Ängsten gegen die neue Technik spielt, beunruhigt Google jedoch nachhaltig. "Ob Amerika, Australien, Frankreich, Italien oder England, nirgendwo gab es eine solche Aufregung um Street View wie in Deutschland" sagt Oberbeck.
Als der Dienst im vergangenen Sommer in den USA gestartet wurde, gab es auch dort einige Debatten um den Datenschutz. Der Stein des Anstoßes: Peinliche Aufnahmen von Männer vor Pornobuchhandlungen, Studentinnen, die sich oben-ohne im Park sonnten, oder ältere Damen, die sich um die Persönlichkeitsrechte ihrer Katze sorgten. Google reagierte auf diese Beschwerden und macht seitdem alle Gesichter und alle Autokennzeichen unkenntlich. Zudem könne jeder sein Haus, Garten oder sich selber aus den Fotos löschen lassen, wenn er das möchte."Allen Beschwerden werde Folge geleistet", sagt Oberbeck.
Doch der Technikskeptiszimus sitzt tief in der deutschen Provinz. "Der Bund muss eingreifen. Wir lehnen das ab und lassen uns nicht auf den Hof linsen", protestiert Bürgermeister Hoppe unbeirrt. "Die Software Google Earth, mit der ich mein Haus aus der Vogelperspektive sehen kann, ist schon unheimlich genug. Wenigstens schützen mich da noch meine Bäume."
Heidelberg hat eigene Probleme
Eine komplett andere Sichtweise auf Street View hat Heidelberg. Die ehrwürdige Universitätsstadt ist pikiert - weil sie auf der Google-Weltbühne nicht stattfinden soll.
"Für die Wahrnehmung Heidelbergs im Ausland ist es sehr wichtig, dass wir von den Informationsströmen nicht abgetrennt werden", empört sich der Tourismusverband der Stadt und fordert: "Wir wollen dabei sein". Auch die Stadtverwaltung hat bereits Kontakt mit Google aufgenommen. Schließlich sei das wesentlich uninteressantere und weltweit weniger bekannte Mannheim ja auch mit von der Partie, heißt es dort hinter vorgehaltener Hand.