Digitale Kunst Picasso hätte auf dem iPad gemalt - wie NFT den Kunstmarkt aufrollen

Nur die Beschreibung hängt noch analog daneben: Rohan Wang steht vor dem iPad mit ihrem digitalen Kunstwerk.
Nur die Beschreibung hängt noch analog daneben: Rohan Wang steht vor dem iPad mit ihrem digitalen Kunstwerk.
© Jens Maier
Kunst in der Blockchain sind der neue Hype. Doch gerade Frauen haben Angst vor der digitalen Kunst. Dabei hat sie viele Vorteile.

„Das war einer von den Affen“, sagt Florian Adolph und nickt wohlwollend in die Richtung eines jungen Mannes, der die Begrüßung entgegnet. Was andere als Beleidigung empfinden würden, ist der Ritterschlag eines Phänomens, das für viele ein Rätsel bleibt: NFT-Kunst. Statt sich Gemälde an die Wand zu hängen, existieren die Werke irgendwo im Netz. Verrückt? Nein, aber anders. Und Affen, das lernen Neulinge schnell, sind die van Goghs der neuen Zeit. Und können ihre Besitzer reich machen. Aber der Reihe nach.

Es ist ein Maiabend in der Französischen Straße in Berlin. Als Teil der misa.art POP-UP 2022 zum Gallery Weekend werden in einem temporären Kunstraum NFT-Werke von fünf Künstlern un Künstlerinnen gezeigt. Das Besondere: Sie sind allesamt auf dem iPad Pro entstanden. Vom traditionellen Maler zum 3D-Spezialisten oder Multimedia-Talent: Für die "Created on iPad" NFT-Collection haben Florian Adolph, Evgen Copi Gorisek, Esra Gülmen, Kasimir und Ruohan Wang begonnen, mit statt mit Pinsel oder Stift dem Tablet zu arbeiten.

An den Wänden hängen deshalb keine schweren und vergoldeten Bilderrahmen, sondern luftige iPads. Die neue Kunst ist eine zum Anfassen. Wo in herkömmlichen Galerien streng auf Abstände geachtet wird, laden einige der Kunstwerke zum Ausprobieren ein. Die Bildschirme der iPads dürfen berührt werden. Einige der ausgestellten Werke sind sogar darauf ausgelegt, mit den Betrachtern zu interagieren – wie die von Künstler Adolph.

NFT-Kunst macht vielen Angst

„Viele haben Angst vor NFTs, weil sie es nicht verstehen“, sagt der gebürtige Frankfurter, der ein Pionier der digitalen Kunst ist. In seinem Fall wird es noch komplizierter, als es für viele ohnehin schon ist. Adolph macht AR-NFT-Drop. Das sind virtuelle Skulpturen, die eben nicht in einem Raum stehen, sondern als Augmented Reality betrachtet werden können. Bei den Skulpturen, die an Muscheln oder Porzellan erinnern, verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und 3D. Wer will, kann sein Kunstwerk sogar zerstören und erhält einen Scherbenhaufen. Garantiert einzigartig.

Der Frankfurter Künstler Florian Adolph zeigt stolz seine digitale Skulptur. Die kann sogar zerbrechen - zumindest digital.
Der Frankfurter Künstler Florian Adolph zeigt stolz seine digitale Skulptur. Die kann sogar zerbrechen - zumindest digital.
© Jens Maier

NFT sind anders als Bilder über dem Sofa oder Objekte auf dem Sideboard. Sie existieren auf Computern. Fast alles kann zu einem NFT werden. Ein Video, eine Audiodatei, ein Gif oder auch ein PDF. Klingt wenig exklusiv. Vor allem weil alles im Netz bislang beliebig vervielfältigt werden konnte. Doch mit der neuen Kryptotechnik werden NFT zu den einzigen Kunstwerken der Welt, die nicht gefälscht werden können. Die Dateien sind dem Urheber und dem Eigentümer zugewiesen. Die Kujaus dieser Welt haben keine Chance.

Als „Neuland“ hatte Angela Merkel das Internet einst bezeichnet. NFT dürften demnach Science Fiction sein. Unweit des Restaurant Borchardt, wo die ehemalige Kanzlerin so gerne Schnitzel isst, findet jetzt eine Lehrstunde statt. Künstler wie Adolph, Esra Gülmen, Evgen Copi Gorisek oder Ruohan Wang stehen vor iPads und erklären ihre Kunst. Nicht nur das haptische Erlebnis ist neu, sondern auch wie die Kunstwerke entstehen. Nicht analog, um dann transferiert zu werden, sondern digital.

Die Kunstwerke entstehen digital

„Ich habe mir das selbst beigebracht“, sagt Adolph über die Entstehung seiner Skulpturen am iPad. Mit welchen Programmen er dabei arbeitet, will er nicht verraten, Betriebsgeheimnis. Seine Kunst ist technikgetrieben. „Ich nutze den Lidar-Scanner im iPad Pro“, sagt der 45-Jährige. Dieser misst, wie lange Licht braucht, um von Objekten reflektiert zu werden. So kann er eine Tiefenkarte von dem Raum erstellen, in dem sich der Anwender gerade befindet. Für den Betrachter entsteht damit ein einzigartiges Augmented Reality Erlebnis. Mit dem Pinsel schwingen in einem Loft hat das kreative Arbeiten am iPad wenig gemein. Auch nicht mit der guten alten Töpferscheibe. Doch mit stumpfem Programmieren auch nicht. „Es ist ein kreativer Prozess am Computer“, sagt Adolph. „Und in meinem Kopf.“ Mit der digitalen Kunst entsteht eine neue Weise der kreativen Arbeit.

Esra Gülmen nimmt in ihren iPad-Kunstwerken direkten Bezug zum Ukraine-Krieg. Sie hat verschiedene Flaggen entworfen. Die Botschaft: kein Krieg.
Esra Gülmen nimmt in ihren iPad-Kunstwerken direkten Bezug zum Ukraine-Krieg. Sie hat verschiedene Flaggen entworfen. Die Botschaft: kein Krieg.
© Jens Maier

Die schöne neue Welt der NFT macht es vor allem Frauen schwer. „Über 70 Prozent der Kunden digitaler Kunst sind Männer“, sagt Galeristin Anna Graf von misa.art. Begriffe wie Tokens, Krypto und Blockchain scheinen auf Frauen ätzend zu wirken. Ein Problem. Erstens, weil Kunst nicht ohne Frauen auskommen kann. Zweitens, weil Männer im Moment den großen Reibach machen – zumindest auf dem Papier. Womit wir wieder bei den Affen wären.

Gelangweilte Affen machen ihre Besitzer reich

Der “Bored Apes Yacht Club” ist eine digitale Kunstsammlung, die aus 10.000 Bildern von gelangweilt dreinschauenden Affen besteht. 2021 ins Leben gerufen, erlebte sie noch im selben Jahr einen Hype. Die Preise für die Affen, die digital gehandelt werden können, gingen durch die Decke. Eminem, Jimmy Fallon, Gwyneth Paltrow und Snoop Dogg – sie alle sind Affenbesitzer. Zu Beginn kostete eines der Bildchen, die die wie ein Panini-Sammelalbum sind, kaum umgerechnet 200 Euro. Damals fanden das viele zu teuer. Doch inzwischen wird ein Affe kaum unter 300.000 Euro gehandelt. Wahnsinn.

Die Affen passen zum Zeitgeist. Kunst ist nicht objektiv messbar. Ein Gemälde, das viel kostet, ist nicht automatisch künstlerisch wertvoller als eines, das auf der Straße zu erwerben ist. Der Hype hat den analogen Markt längst erfasst. 2017 wurden 450 Millionen Dollar für das Ölgemälde „Salvator Mundi“ bezahlt. Dabei ist umstritten, ob Leonardo da Vinci tatsächlich der Urheber ist. Das teuerste Werk eines lebenden Künstlers ist eine Hasenfigur von Jeff Koons. Stolze 91 Millionen Dollar wurden dafür aufgerufen. Die Affen sind da nur die logische digitale Fortsetzung. Und vor allem: für alle offen.

Florian Adolph ist ein Fan der Affen. „Ich habe selbst einen und schätze vor allem daran, dass eine Community entstanden ist“, sagt der Künstler. Viele der Besitzer tauschen sich über Twitter oder Instagram über ihr eigenes Bild aus. Das mache für ihn auch der Unterschied zur analogen Kunst aus. „Früher war Kunst ein elitärer Club, der sich in Galerien und Museen getroffen hat“, sagt er. Heute finde das dank NFT im Internet statt.

NFT landen nicht im Depot

Dass seine eigenen Skulpturen nicht in einem Museum stehen, sondern virtuell auf einer Datenbank gespeichert sind, stört Adolph überhaupt nicht. „Die meisten Besitzer von NFT, die ich kenne, zeigen ihre Sammlung in den sozialen Medien.“ Dort seien sie mehr Menschen zugänglich, als in privaten Sammlungen oder im Museumsdepot. „Die Museen sind nachts geschlossen, das Internet nicht.“ 

Noch gibt es zu wenige Künstler, die sich mit NFT und digitaler Kunst befassen. Jahrelang wurde Digitalkunst belächelt und als qualitativ minderwertig abgetan. Jetzt erlebt sie einen Boom. Doch nicht jeder, der sich jetzt für ein digitales Kunstwerk entscheidet, wird damit reich. Es ist wie an der Börse. Über den Preis bestimmen Angebot und Nachfrage.

Picasso, einer der geschäftstüchtigen Künstler des 20. Jahrhunderts, hätte vermutlich auf dem iPad gemalt. Seine Kunst kostete schon zu Lebzeiten ein kleines Vermögen. Die Skulpturen von Adolph sind für Jedermann erschwinglich. Je 150 Euro kosten die digitalen Skulpturen. Verkauft wurden sie alle drei. Ob sie dem Besitzer Reichtum bescheren oder nur Spaß, ist offen.

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