Putins Krieg Verheerende Verluste – darum verliert Russlands Luftwaffe so viele Maschinen über der Ukraine

Abgeschossene SU 30 in der Ukraine.
Abgeschossene SU 30 in der Ukraine.
© Twitter
Die Truppen aus Russland verlieren Panzer, Lkw – vor allem erleidet die Luftwaffe starke Verluste. Das liegt an den Fehleinschätzungen des Kremls und daran, dass Kiew die richtige Strategie wählt, um Widerstand gegen eine Übermacht zu leisten.

Allein an einem Tag der vergangenen Woche hat die russische Luftwaffe folgendes verloren: ein Kampflugzeug Su-30SM (Flanker-C), zwei Jagdbomber Su-34 (Fullback), zwei Erdkampfflugzeuge Su-25 (Frogfoot), zwei Mi-24/35 (Hind) Angriffshubschrauber, zwei Mi-8 Transporthubschrauber und eine Orlan-10 Drohne, laut Oryx auf Twitter. Hier werden nur bestätigte Verluste gezählt.

Man muss kein Stratege sein, um zu urteilen, dass die Luftoffensive des Kremls alles andere als nach Plan verläuft. Lkw und alte Panzer mag der Kreml zu Tausenden haben, einsatzfähige Flugzeuge und Piloten sind deutlich knapper. Nachdem mehr als eine Woche seit Beginn der Feindseligkeiten vergangen ist, hat die Russische Föderation nach wie vor keine echte Luftherrschaft über der Ukraine erreicht.

Woran liegt das? Die Russen haben die ukrainischen Streitkräfte komplett unterschätzt oder anders formuliert: Kiew war sehr gut auf die russische Offensive vorbereitet.

Kiew diktiert die Bedingungen

Generell ist die Luftwaffe Russlands nicht so leistungsfähig wie die US Air Force. Hier kam noch hinzu, dass Moskau keine tagelange Vorbereitungsoffensive durch Cruise-Missiles, Raketen und Bomben einplante, sondern die Bodentruppen schon nach wenigen Stunden bewegte. Das führte dazu, dass Kiew zumindest in der letzten Woche immer noch Kampfflugzeuge in den Einsatz schicken konnte. Kampfflugzeuge sind dabei sehr aufwendige und leicht zu entdeckende Systeme. Da sie eine Start- und Landebahn benötigen, sind sie schwer zu verstecken.

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Kein Close-Air-Support

Die Flüge der ukrainischen Maschinen im Tiefflug bedeuten aber auch, dass Russland nicht in der Lage ist, den Raum über der Ukraine aus der Luft wirklich zu überwachen und eigene Jäger zum Abfangen der ukrainischen Maschinen einzusetzen. Ob und inwieweit Kiew noch über Flugzeuge und Hubschrauber verfügt, kann niemand sagen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Teil der Luftstreitkräfte die ersten Schläge Russlands überstanden hat und in versteckten Hallen auf einen Einsatz wartet. Die Ukraine ist nicht der Irak, in dem die Militärbasen häufig von Ödland umgeben sind. Wenn Flugzeuge und Hubschrauber in Hallen – Fabriken, Speditionen, Logistikzentren – untergestellt wurden, sind sie für Russland nicht zu finden, bis es zu einem Einsatz kommt.

Eine eigene Luftwaffe, die zumindest gelegentlich noch einen Einsatz fliegt, besitzt für Kiew vor allem einen psychologischen Wert. Wenn ein ukrainischer Kampfbomber sich der russischen Übermacht entgegenwirft, wird das "David gegen Goliath"-Motiv sinnfällig. Kriegsentscheidend sind diese vereinzelten Einsätze nicht. Anders sieht es mit der Luftabwehr aus, denn auch sie wurde nicht ausgeschaltet.

Manpads sind nicht auszuschalten

Das ist auch gar nicht möglich. In die Ukraine wurden Tausende von schultergestützten Abwehrsystemen, sogenannte Manpads, geliefert. Die Kiewer Streitkräfte verfügen nun über einen Mix aller denkbaren Systeme. Von hochmodernen Waffen bis hin zu Überbleibseln aus dem Kalten Krieg. Wichtig ist die reine Masse dieser Kleinraketen. Die Menge reicht aus, um jede Position und jede Einheit mit ihnen zu versorgen. Auch Verluste sind zu verschmerzen. Da Manpads nur gegen Flugobjekte eingesetzt werden können, schrumpft ihr Bestand während der Kampfhandlungen auch nicht so zusammen wie bei anderer Munition. Manpads bedeuten, dass jeder Lufteinsatz in geringer Höhe für Russlands Piloten außerordentlich riskant wird. Die Reichweite und Einsatzhöhe der Systeme sind begrenzt, in der Praxis häufig noch mehr als in den reinen Leistungsdaten, aber den Bereich des Tiefflugs decken sie allemal ab.

Ukraine ist nicht Syrien

Daher funktionieren Russlands Methoden aus dem Syrien-Krieg in der Ukraine nicht. In Syrien haben die USA – wenn auch über Drittländer – die Insurgenten mit Anti-Panzer-Raketen versorgt, ihnen Luftabwehrsysteme aber vorenthalten. Der Luftraum war also für Russland und Assad relativ sicher. Bewegungen am Boden konnten von "oben" ungefährdet begleitet und geschützt werden. Der Einsatz von Fassbomben durch Assads Truppen in geringer Höhe – letztlich nichts anderes als eine improvisierte plumpe Freifallbombe – war nur möglich, weil die Aufständischen keine Manpads hatten.

In der Ukraine sieht es anders aus: Für die russischen Truppen am Boden gibt es keinen Schutz und keine Feuerunterstützung von oben, ohne dass die russischen Hubschrauber und Kampfbomber extrem gefährdet sind. Aus Syrien haben die Russen die Methode übernommen, Konvois am Boden durch Kampfhubschrauber abzusichern. Wenn der Konvoi aus einer gedeckten Stellung – einem Hinterhalt – überfallen wird, kann die starke Feuerkraft ihrer Raketen und Maschinenwaffen die Einheit des Gegners komplett vernichten. So die Idee. Doch nun werden die Hubschrauber, die über dem Konvoi kreisen, zum besten Ziel für die ukrainischen Soldaten.

Auch Kampfbomber und Erdkampflugzeuge werden bei ihren Einsätzen limitiert. Russland setzt meist "dumme" Bomben ein. Waffen, die nicht selbstständig das Ziel finden und daher aus großer Entfernung eingesetzt werden können. Um eine Bombe, die einfach nur fällt, einigermaßen genau ins Ziel zu bringen, muss der Pilot einen geraden Anflug wagen. Dazu muss die Waffe möglichst nahe am Ziel und in geringer Höhe ausgeklinkt werden. So gerät die Maschine unweigerlich in den Wirkungsbereich der Manpads.

Die russische Luftwaffe vermeidet daher extreme Tiefflüge und versucht die Ungenauigkeit des Anflugs durch stärkere Vernichtungswirkung auszugleichen, etwa durch schwere 500-Kilogramm-Bomben. Anstatt der Luftwaffe wird verstärkt Artillerie eingesetzt. Sie hat aber das Problem einer begrenzten Reichweite und kann keine Ziele weit hinter der Front treffen. Anders als die Luftwaffe operiert sie innerhalb der Ukraine, dorthin muss auch die Munition geschafft werden, von Konvois, die wiederum leicht überfallen werden können.

Der Luftraum unter 2000 bis 3000 Meter ist also ein gefährlicher Ort für die russischen Piloten, aber sie können auch nicht einfach in größere Höhen ausweichen, denn auch hier konnte Russland keine 100-prozentige Luftherrschaft erreichen. Die Ukraine hat noch Luftabwehrsysteme im Einsatz, deren Raketen auf Fahrzeugen montiert sind und die Ziele in großer Höhe erreichen können. Die Aufnahmen eines Abschusses einer russischen Maschine am Sonntagabend deuten auf eine BUK hin.

Guerilla-Taktik der Luftabwehr 

Wie ist das möglich, eigentlich sind Luftabwehrsysteme die primären Ziele der russischen Streitkräfte? Vermutlich entzieht Kiew diese Systeme dem russischen Zugriff. Ein Panzer mit Luftabwehrraketen ist leicht auszumachen, solange er im Einsatz ist. Erst recht eine Batterie mit großen Radaranlagen. Ein Radar, mit dem der Luftraum überwacht wird, wird angemessen und auch aus der Luft ist so ein Ziel gut auszumachen. Zumal die Raketen eine gewisse freie Fläche benötigen, um starten zu können. Wenn diese Systeme versuchen, den Luftraum dauerhaft zu sperren, sind sie ein einfaches Ziel. Ganz anders sieht es aus, wenn Kiew sie in einer Überfalltaktik einsetzt.

Der Luftabwehrpanzer wird irgendwo versteckt. Dafür reicht eine Halle mit Lkw-Einfahrt oder eine Scheune. Und nur im Falle eines russischen Anflugs fährt er aus seinem Versteck heraus und schaltet nur für wenige Minuten die Elektronik an. Mit dieser Methode können die ukrainischen Streitkräfte nicht den Luftraum über dem Land sperren oder kontrollieren, aber sie können mit gezielten Einsätzen immer wieder Abschüsse erzielen. Besonders effektiv wäre diese Methode, wenn die Besatzung ihre Informationen über russische Jets nicht allein von den eigenen Bodentruppen bekäme, sondern wenn Länder mit Luftüberwachungsflugzeugen in der Nähe der ukrainischen Grenzen derartige Daten im Geheimen weiterleiten.

Bedrohung für Russland auch in eroberten Zonen 

Die Gefahr durch Manpads und versteckte Luftabwehrbatterien kann von Russland kaum beseitigt werden. Selbst in den eroberten Zonen werden Manpads und Panzerabwehrraketen zurückbleiben. Die Stärke der russischen Truppen reicht bei Weitem nicht aus, das Land in der Fläche wirklich zu kontrollieren und jede Hütte zu durchsuchen. Die Invasionstruppen dürften sich daher bald einem Guerillakrieg neuer Art entgegensehen. Denn mit Manpads und Panzerabwehrraketen können kleine Trupps sehr effektiv zuschlagen. Es reichen zwei Mann in einem alten Pkw und für einen Abschuss müssen sie wegen der Reichweite der Waffen nicht einmal in die unmittelbare Nähe der russischen Truppen kommen.

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