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Krieg in der Ukraine Kiews Attacken – diesen Sinn haben die ukrainischen Vorstöße in der Grenzregion

Mitglieder eines russischen Freiwilligen Korps, die auf Seiten der Ukraine kämpfen.
Mitglieder eines russischen Freiwilligen Korps, die auf Seiten der Ukraine kämpfen.
© Sergey Bobok / AFP
Kiew greift russische Grenzstädte mit Kommandotruppen an. Die Angriffe werden zwar schnell zurückgeschlagen, aber neben dem psychologischen Effekt haben sie auch ein militärisches Ziel.

Die Ukraine trägt den Krieg nach Russland – mit Drohnenangriffen und kleinen Vorstößen zu Land. Diese Maßnahmen haben ein psychologisches Ziel, aber auch eine militärische Bedeutung. Russland hat die Ukraine überfallen, tut aber so, als sei als sei es eine Art von Kriegsverbrechen, wenn die Kampfhandlungen auf russisches Gebiet ausgedehnt werden. Doch Putins "rote Linie" beeindrucken keinen mehr. Trotz Warnungen aus dem Kreml unterstützt der Westen Kiew mit immer neuen und leistungsfähigeren Waffen. Und die Ukraine trägt den Krieg über die Grenze. Putins Drohungen schrecken niemand mehr ab. Denn Russland hat abgesehen von der nuklearen Option keine weitere Eskalationsmöglichkeit. Das Putin-Regime mobilisiert schon jetzt aller Kräfte, um zumindest eine Niederlage abzuwenden. Moskau kann zumindest konventionell nicht "nachlegen".

Kiew kann es wagen

Schon dieser Hintergrund macht deutlich, dass die bloße Tatsache, dass die Ukraine es "wagt", derartige Angriffe durchzuführen, ein weiteres Zeichen für den aus Moskaus Sicht ungünstigen Verlauf des Krieges ist. Oder wenn man will, ein ukrainischer Sieg.

Dazu haben die Attacken eine psychologische Wirkung. Die Ukraine benötigt dringend Erfolge. Der russische Rückzug aus Cherson liegt über ein halbes Jahr zurück. Seitdem geht es für Kiew eher zurück als voran. Die Drohnenangriffe auf Moskau und die Kommandoaktionen in der Region Belgorod sollen den Verlust der Festung Bachmut in den Schlagzeilen verdrängen. Das ist dringend nötig, denn die großartig verkündete Flankenoperation, mit der Bachmut umfasst und rückerobert werden sollte, kam über Anfangserfolge nicht hinaus.

Unklare Wirkung in Russland

Ob die psychologische Kriegsführung in Russland aufgeht, ist eine offene Frage. Die Ukraine hofft, dass der Krieg im eigenen Land, dazu auch noch von einer Art "Befreiungsbewegung" durchgeführt, zu einer Abkehr vom Putin-Regime führen wird. Der Kreml dagegen wird die Attacken in die "das Mutterland ist in Gefahr"-Propaganda einbinden und versuchen das narrativ vom "Großen Vaterländischen Krieg 2.0" zu stärken und so die Bevölkerung auf größere Kriegsanstrengungen einzustimmen.

Zerstreuen der Luftabwehr

Diese Angriffe besitzen auch einen eindeutigen militärischen Nutzen. Einige Drohnenangriffe finden ihr Ziel und schaden der russischen Logistik. Bedeutender ist aber, dass die Russen nun Angriffe tief im Hinterland befürchten müssen. Sie können nicht wie in Friedenszeiten verfahren, sondern müssen sich tarnen. Ausrüstung kann nicht zentral gelagert werden, sondern muss auf viele kleine Standorte verteilt werden. Wichtiger Punkt ist, dass die Luftverteidigung immer mehr Ziele in Russland schützen muss. Logistische und militärische Ziele und die großen Städte. Das ist ein einfaches Kalkül: Jedes Luftabwehrsystem, dass die Hauptstadt schützt, fehlt an der Front und bei der Verteidigung militärischer Ziele. Aus dem gleichen Grund greifen die Russen ununterbrochen Kiew an, auch wenn ihre Drohnen größtenteils abgeschossen werden.

Putin muss das Grenzgebiet schützen

Ein ähnliches Kalkül steckt hinter den Überfällen in Grenznähe. Die Verteidigung einer Grenze funktioniert nicht so, dass Truppen direkt am Grenzzaun stehen. Dort sind ein paar Wachen, die eigentlichen Kräfte sind im Hinterland. So wehrt man eine Invasion ab, doch gegenüber der Taktik eines "Raids" oder eines "Hit and Runs" zeigen sich die Grenzen. Ein kurzer Überfall wird in der Anfangsphase immer nach Russland eindringen können, auch wenn er später zurückgeschlagen wird. Ziehen die Angreifer sich rechtzeitig zurück, bleiben die Verluste überschaubar. So erhält Kiew immer einen Sieg für die PR-Verwertung und das Putin Regime kommt zusehends unter Druck, weil es die Dörfer und Städtchen in Grenznähe nicht wirksam schützen kann. Moskau kann kaum abschätzen, ob es bei Gruppen in der Größe einer Kompanie bleibt, oder ob die Ukraine in Zukunft größere Einheiten einsetzt. Und im Hintergrund muss Russland abschätzen, ob die lang erwartete Gegenoffensive Kiews womöglich gar nicht versuchen wird, ukrainisches Gebiet zu befreien. Zumindest theoretisch wäre es eine verlockende Möglichkeit, die neu aufgestellten Angriffsbrigaden nicht gegen ein gestaffeltes Verteidigungssystem anrennen zu lassen, dass von der russischen Armee verteidigt wird. Sondern, dass Kiew versuchen könnte, eine kaum vereidigte Region in Russland zu besetzen und dem Krieg so ein ganz anderes Gepräge zu verleihen.

Schwächung der operativen Reserve

Ob das realistisch ist, ist eine andere Frage. Doch auf das russische Militär wird der Druck zunehmen, diese Überfälle schon im Keim zu unterbinden. Und hier besteht die Hoffnung, dass Moskau einen Teil seiner operativen Reserve verlagert. Truppen, die sich derzeit hinter der Front befinden, um einen ukrainischen Durchbruch zu begegnen. Würde ein Teil dieser Einheiten Richtung Belgorod abgezogen, ständen sie in der Ukraine nicht mehr zu Verfügung. Russische Blogger schätzen die russische Reserve auf etwa 150.000 Mann. Ein gewaltiges Gegengewicht gegenüber den ukrainischen Angriffsverbänden.

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