Deutschland im Abwrackfieber Was gegen die Abwrackprämie spricht

  • von Sönke Wiese
Die Abwrackprämie hat Händler und Käufer in Euphorie versetzt. Aber Experten warnen: Bald kommt die Ernüchterung. stern.de erklärt die zehn größten Probleme: Welche Fallen auf die Käufer lauern, wie Autohäuser Pleite gehen, warum die Wirtschaft Schaden nimmt.

Die jüngste Nachricht in Sachen Abwrackprämie ließ Käufer und Verkäufer gleichermaßen jubeln: Der Staat zahlt die volle Höhe über 2500 Euro weiter, stellt insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung. 1,2 Millionen Anträge sind bereits bei den Behörden eingegangen, der beispiellose Nachfrage-Boom in der Autobranche hält an. Sogar Barack Obama ist aufmerksam geworden, und der US-Kongress berät zurzeit, wie man ein ähnliches Konjunkturprogramm in Amerika umsetzen kann. Die Abwrackprämie - ein deutsches Erfolgsmodell?

Autoexperten, Ökonomen und Verbraucherschützer sind skeptisch. "Da hat man nur ein kurzes Strohfeuer entfacht", sagt Ferdinand Dudenhöffer stern.de. "Am Ende bleibt nur verbrannte Erde." Der Professor für Automobilwirtschaft meint, die Händler ließen sich vom Staat blenden. "Viele Verkäufer denken zu kurzfristig." Die große Ernüchterung werde spätestens in einem Jahr kommen. "Branchenschätzungen gehen davon aus, dass 20 Prozent der Händler diese Aktion nicht überleben werden." Der Grund: Mit ihren Rabattschlachten würden sich die Autohäuser gegenseitig kanibalisieren. Als "ökonomisch unsinnig" bezeichnet auch Justus Haucap die Abwrackprämie. Er ist Vorsitzender der staatlichen Monopolkommission und kritisiert die Förderung "als Geldverschwendung auf Kosten des Steuerzahlers".

Was sind die Argumente gegen die Abwrackprämie? Wo sehen Experten die größten Probleme? stern.de erläutert die wichtigsten Kritikpunkte - links in der Spalte.

Am meisten profitiert das Ausland

Die Abwrackprämie sorgt vor allem für eine große Nachfrage bei Kleinwagen. Und in diesem Segment sind ausländische Marken traditionell stark aufgestellt: beispielsweise Renault, Peugeot (beide Frankreich), Fiat (Italien), Hyundai (Südkorea), Nissan (Japan). Große deutsche Marken wie Mercedes, BMW oder Audi profitieren kaum. So fördert der Staat indirekt besonders ausländische Hersteller. Für Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer grotesk: "Die Folge ist eine Verschiebung der Marktanteile: Hatten früher einheimische Marken 60 Prozent und Importeure 40 Prozent inne, ist es bald genau umkehrt."

Zwar stehen bei Abwrackern auch deutsche Kleinwagen hoch im Kurs - wie beispielsweise der VW Fox oder der Opel Agila. Nur werden diese Modelle überwiegend gar nicht in Deutschland gefertigt, sondern in Fabriken in Osteuropa.

Kunden fallen auf Abzocke herein

Viel zu leichtfertig lassen sich einige Verbraucher von verwirrenden Angeboten locken. Manche Händler machen zögernden Kunden die Abwrackprämie mit allen Tricks schmackhaft - selbst wenn ein Privatverkauf des alten Autos viel lukrativer wäre. Und das ist immer öfter der Fall: Gerade mit Gebrauchtwagenhändlern lassen sich zurzeit gute Geschäfte machen. Denn das Angebot für Autos im Wert von 1000 bis 3000 Euro verknappt sich so stark, dass die Preise hier steigen. Der "Alte" könnte also viel mehr wert sein, als man denkt. Tatsächlich sind viele Schrotthändler fassungslos angesichts des irrationalen Abwrackwahns: Bei ihnen kommen immer mehr Wagen in die Presse, die zum Teil tausende Euro mehr wert sind als die Prämie über 2500 Euro.

Tipp: Autobesitzer, die unsicher sind, sollten sich über den Wert ihres Gebrauchtwagens bei unabhängigen Stellen informieren. Online kann man unter www.schwacke.de recherchieren, ein Gutachten von Dekra, TÜV oder ADAC kostet ca. 100 Euro.

In einem Jahr fehlen die Käufer

Wer sich heute einen Neuwagen kauft, geht der Autobranche für die kommenden Jahre als Käufer verloren. Die Abwrackprämie befeuert lediglich einen vorgezogenen Konsum; je mehr Kunden jetzt zuschlagen, desto weniger werden es in den kommenden Jahren sein. "Die Saure-Gurken-Zeit steht erst noch bevor", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. "Natürlich freuen sich die Autohändler jetzt über die Gewinne, aber das ist kurzsichtig. Viele werden nächstes Jahr Pleite gehen." Branchenverbände schätzen, dass 20 Prozent der Händler das nächste Jahr nicht überleben.

Die Rabatte wirken wie eine Droge

In der Autobranche ist eine beispiellose Rabattschlacht entbrannt: Auf den staatlichen Zuschuss setzen viele Händler noch einen drauf, nach dem Motto: "Wir verdoppeln die Abwrackprämie." So kosten einige Neuwagen nur noch knapp 50 Prozent der unverbindlichen Preisempfehlung (siehe Fotostrecke ....

"Von diesem unvorstellbaren Rabattniveau kommt man kaum wieder herunter", glaubt Dudenhöffer. Kunden, um die monatelang mit Nachlässen von bis zu 30 Prozent geworben wird, werden sich in Zukunft nicht mit 10 Prozent begnügen. Das sei wie ein "kalter Entzug" von einer Droge. Doch an diesem Rabattniveau werden weitere Händler zugrunde gehen, die Gewinnmargen der Hersteller brechen ein.

Die Rabattschlacht erfasst auch Premiummarken

"Geiz macht geil", glaubt Dudenhöffer. "Leider hört das Geizen nicht bei Kleinstwagen wie dem Aveo von Chevrolet auf. Ab Golfklasse muss jetzt beim Preis nachgebessert werden. Die größeren Fahrzeuge kommen massiv unter Druck", sagte der Autoexperte stern.de. Und nicht nur das: Selbst bei Neueinführungen erwarten die Kunden schon Nachlässe. Inzwischen muss Volkswagen selbst für den nagelneuen Golf VI einen Rabatt gewähren.

Der Gebrauchtwagenmarkt gerät unter Druck

Die Nachfrage nach "jüngeren" Gebrauchtwagen, die mehr als 3000 Euro wert sind, ist eingebrochen. Die Konsumenten leisten sich nun lieber einen neuen Kleinwagen, um von der Abwrackprämie zu profitieren. Folge: Bei den höherklassigen Gebrauchtwagen setzt ein enormer Preisverfall ein. Das betrifft vor allem deutsche Premiummarken wie Audi, BMW und Mercedes.

Konsumenten tappen in die Schuldenfalle

Die Abwrackprämie hat bei einigen Konsumenten fast eine Hysterie ausgelöst: Obwohl sie gar nicht planten, sich einen Neuwagen anzuschaffen, schlagen nun viele zu. Wann bekommt man schon einmal so ein Geschenk vom Staat?

Problem: Viele Verbraucher übernehmen sich, kaufen den Wagen auf Raten oder nehmen einen Kredit auf. Dabei werden viele im Laufe des Jahres noch in finanzielle Schwierigkeiten kommen - wenn die Wirtschaftskrise das Land voll erfasst und die Arbeitslosigkeit zunimmt. Dann werden viele Schuldner ihre finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen können. Schuldnerberater fürchten einen massiven Anstieg von Privatinsolvenzen.

Die Abwrackprämie ist umweltpolitisch bedenklich

Die Abwrackprämie wird auch als "Umweltprämie" verkauft. Die Argumentation: Dank der Aktion verschwinden nun massenhaft alte Modelle, die einen verhältnismäßig hohen Verbrauch haben. Augenwischerei laut Dudenhöffer: Bei der Produktion der Neuwagen wird so viel Kohlenstoffdioxid ausgestoßen, dass nach seiner Schätzung die neuen Modelle ein bis zwei Liter weniger verbrauchten müssten - im Schnitt. Das sei ein utopischer Wert, tatsächlich würden viele Autos heutzutage sogar mehr Sprit brauchen, weil sie wegen Komfort- und Sicherheitseinbauten schwerer geworden seien.

Hätte man wirklich etwas für die Umwelt tun wollen, wären die fünf Milliarden Euro im öffentlichen Nahverkehr besser investiert gewesen.

Vernichtung von enormen Sachwerten

Dass nun massenhaft Wagen in die Schrottpresse kommen, die keine großen Mängel haben, ist für Autoexperte Dudenhöffer "Wahnsinn": "Man zerstört enorme Sachwerte. Dabei könnten all diese Autos doch nach Osteuropa oder Afrika exportiert werden."

Das Konjunkturprogramm ist ungerecht

Fünf Milliarden Euro lässt sich der Staat das Abwrackprogramm kosten. Rein rechnerisch zahlt dafür jeder Bundesbürger über 60 Euro - vom Säugling bis zum Greis. Aber nur ein ausgewählter Kreis von Autobesitzern kann in den Genuss der Förderung kommen.

Außerdem kritisieren Ökonomen, dass lediglich eine Branche gefördert wird - und anderen Kaufkraft entzogen wird. So erlitten beispielsweise Kaufhäuser und Supermärkte im Februar starke Umsatzeinbußen. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) sieht den Grund für das Minus in der Abwrackprämie: "Was hier stattfindet, ist eine Umverteilung des Konsums zu Lasten des Einzelhandels", sagte ein HDE-Sprecher.

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