Sie hatten selbst eine Fehlgeburt. Und fordern nun bessere Bedingungen für Betroffene. Dafür haben vier Frauen Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Sie wollen dagegen vorgehen, dass Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche ihr Kind verlieren, keinen Mutterschutz erhalten. Und somit selbst am Tag einer Fehlgeburt bereits wieder arbeiten müssen, wie es in einer Mitteilung dazu heißt.
Eine der vier Frauen ist Natascha Sagorski. Die PR-Managerin und Autorin ist durch ein Buch und eine Petition zu einer prominenten Stimme für mehr Aufmerksamkeit und Schutz bei Fehlgeburten geworden. Sie erzählt bei der Pressekonferenz am Mittwochmorgen von ihrer eigenen. Wie die Ärztin an ihrem Krankenbett kurz nach der Ausschabung unter Vollnarkose zu ihr gesagt habe, dass sie ja morgen wieder arbeiten könne. Und sie gedacht habe: "Das klingt so absurd. Das kann doch nicht sein."
Also sprach Sagorski mit anderen Betroffen und machte sich schlau. Sie kam zum Schluss: Betroffene sind auf ihre Ärzte angewiesen. Manche erhielten keine Krankschreibung. Das habe sie in den hunderten Gesprächen, die sie geführt habe, immer wieder gehört. Daten zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Fehlgeburten gibt es kaum. Die sind bei Krankenkassen nur vereinzelt abgelegt.
Mutterschutz erst ab der 24. Schwangerschaftswoche
Mutterschutz gilt in Deutschland bislang für Frauen, die ihr Kind ab der 24. Woche verlieren. Ab dem Zeitpunkt oder einem Gewicht von mindestens 500 Gramm spricht man von einer Totgeburt. Die Frauen haben dann ein Anrecht auf insgesamt 18 Wochen Mutterschutz. Die 24. Schwangerschaftswoche sehen Sagorski und ihre Mitstreiterinnen als willkürliche Grenze. Sie haben sich im neu gegründeten Verein "Feministische Innenpolitik" zusammengeschlossen, der die Beschwerde unterstützt.
Vertreten werden sie durch Remo Klinger, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der die aktuelle Regelung nicht nur für ungerecht, sondern auch für verfassungswidrig hält. Er erklärt, dass sich diese aus dem Personenstandsrecht und der Überlebensfähigkeit des Kindes ableite. Die psychische und physische Belastung der Mutter würden dabei außen vor gelassen.
Der Gesetzgeber habe durchaus erkannt, dass ein Kündigungsschutz bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche wegen der besonderen Situation der Frauen erforderlich und angemessen ist, so Klinger. Dennoch gewähre der Gesetzgeber diesen Frauen keinen Mutterschutz. "Im Ergebnis tritt die Situation ein, dass den Frauen zwar nicht gekündigt werden kann, wenn sie am Tag der Fehlgeburt nicht zur Arbeit gehen, sie sich aber gleichwohl arbeitsrechtswidrig verhalten, wenn sie es ohne Krankschreibung tun." Aus Sicht des Anwalts ein Widerspruch.
Er verweist auf den Schutz der Mutter, der im Grundgesetz verankert ist. In der aktuellen Regelung sieht er eine Lücke, die nicht geschlossen wurde. Daher hätten er und seine Kanzlei den Frauen empfohlen, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. Das ist bereits passiert. "Wir gehen davon aus, dass sie bearbeitet wird", so Klinger.
Er und Sagorksi betonen: Letztlich liege es an der Politik, entsprechende Gesetze zu machen. Ginge es nach ihnen, müsste man das eigentlich nicht gerichtlich regeln. Aber wenn es nicht anders gehe, dann sei das der Weg.
Die Petition für einen gestaffelten Mutterschutz nach einer Fehlgeburt
In der Politik ist das Thema inzwischen angekommen, auch wenn es nicht prioritär behandelt wird. Laut Koalitionsvertrag soll der Mutterschutz künftig bei Fehl- bzw. Totgeburt nach der 20. Schwangerschaftswoche gelten. Für den Partner oder die Partnerin soll außerdem eine zweiwöchige vergütete Freistellung kommen.
"Noch mal leben": Bewegende Portrait-Fotos zeigen Sterbende vor und nach dem Tod

57 Jahre
Geboren am 19. Januar 1947
Erstes Porträt am 15. Januar 2004
Gestorben am 4. Februar 2004
Hamburg Leuchtfeuer Hospiz
Sagorski macht sich für einen gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten stark. Nicht verpflichtend, aber jeweils als Option für die Betroffenen. Die genaue Ausgestaltung sieht sie in den Händen von Experten. Für ihr Anliegen hat sie in diesem Jahr Unterschriften gesammelt und das Ziel von 50.000 überschritten (der stern berichtete). Darauf musste der Bundestag reagieren. Es hätten sehr konstruktive Gespräche stattgefunden, sagt Sagorski. Welche Gesetze jetzt wie in Angriff genommen werden, bleibe offen. Sagorski hofft, dass bei einer Ausarbeitung Trauerbegleiter, Hebammen und Betroffene zu Wort kommen.
Die Erinnerung an ihre verlorenen Kinder ist für Eltern ein sensibles, bedeutendes Thema. Klaus Becker macht ihnen ein unbezahlbares Geschenk, in dem er Sternenkinder fotografiert. Der stern hat ihn begleitet, wie Sie hier nachlesen können.
Quellen: Feministische Innenpolitik, Familienportal