Das neue TV-Programm der Privaten Mehr Harmonie, mehr Krawall

  • von Bernd Gäbler
Das Programm der großen Privatsender für die kommende Saison sagt viel darüber aus, wie sie ihr Publikum einschätzen. Während RTL auf Harmonie setzt, dreht ProSieben die Krawallschraube weiter auf. Gemein ist den Sendern die Hinwendung zum eigenen Land.

Alle großen privaten Sender - RTL und die entsprechende Sendergruppe ebenso wie ProSiebenSat1 - haben inzwischen der Presse und dem Publikum vorgestellt, mit welchen Programmen sie das Publikum ab Herbst beglücken werden. Diese Pläne sind immer aufschlussreich. Nicht nur das Eigenbild der Sender und dessen sanfte Veränderung kommt hier zum Ausdruck, sondern stets auch, wie die Sender die Gewohnheiten, Prioritäten und Bedürfnisse ihres Zielpublikums einschätzen. Am Ende entsteht eine kleine Mentalitäts-Landkarte der Deutschen. Die kommende TV-Saison ist schwer auf ein Schlagwort zu bringen, aber sie zeugt von einem hohen Kontinuitätsdenken der Macher. Das Bedürfnis nach etwas ganz Neuem, nach Brüchen zum Bisherigen, nach großen Würfen und Visionen unterstellen die Macher ihrem Publikum jedenfalls nicht.

Das heißt nicht, dass es nichts Neues geben wird. Eher soll das jetzt schon gut funktionierende noch verbessert werden. Große Risiken werden nicht gewagt. Geachtet wird aber vermehrt auf gutes Handwerk, und die richtigen "Programmfarben". Die Senderchefs stellen sich nicht dar als Propheten und Heroen, sondern als gute Verwalter und solide Detailarbeiter an Stellschrauben und an der Optimierung des Programmablaufs.

RTL: mehr Harmonie, weniger Konflikt

Nach wie vor ist das Programm überschwemmt von "Reality"-Formaten aller Art. Ob Wohnungen eingerichtet werden, Familien getauscht, Schuldner beraten oder die "Super-Nanny" elementare Erziehungs-Tipps gibt, ob "Ausreißer" oder "Ausreisende", "Vermisst" oder neuerdings wieder "Verzeih mir", das RTL schon Anfang der 90er Jahre zeigte - offenbar ist das Bedürfnis der Menschen nach Ratschlägen in allen Lebenslagen immens. Aber auch dem Vergleich des eigenen Lebens mit dem der anderen, denen es meist im Fernsehen noch schlechter geht, dienen diese Sendungen - und sie spenden Trost.

Mehr "Help-TV" gibt es zum Recht ("Christopher Posch - Ich kämpfe für Ihr Recht"; "Helena Fürst - Anwältin der Armen"). RTL sieht leichte Veränderungen heraufziehen: Goutiert werde nicht mehr in erster Linie das Vorführen der krassen Konflikte. Vielmehr wächst in der gerade der Krise entkommenen Bevölkerung der Drang nach Harmonie. Inka Bauses "Bauer sucht Frau" soll dafür ebenso stehen wie "Jugendliebe", "Helfer mit Herz" oder auch die "Restaurantschule", an der sich der bisherige "Restaurant-Tester" Christian Rach ab Ende August konstruktiv versuchen wird. Vielleicht schätzt RTL das eigene Publikum inzwischen auch als ruhiger und weniger Krawall-orientiert ein. Ein Symbol für das Ende der Werbekrise aber ist, dass das teure "Dschungelcamp" Anfang 2011 wieder auferstehen wird.

ProSieben: Immer auf die Zwölf

Der Chef der ProSiebenSat.1-Senderguppe Andreas Bartl liebt griffige Werbeformeln. Die 40 sei die neue 20, so lautet seine frische alterssoziologische Erkenntnis. Sie ist auch daraus geboren, dass Sat.1 gerne ein "Familiensender" wäre, der dann die ganz jungen Zuschauer ProSieben überlassen könnte. Den wiederholten Versuch mit "Ins Grüne" den Auflagen-Erfolg der Zeitschrift "Landlust" in die TV-Landschaft zu exportieren, nennt Bartl tatsächlich "Countrytainment". Auf der Mentalitäts-Skala den entgegengesetzten Pol zur heimlichen RTL-Tendenz zu Harmonie und Idylle besetzt ProSieben. Ob "Crazy Competition", "League of Balls", "Elton vs. Simon", das im Herbst wiederkommende "Schlag den Star", bei dem in früheren Ausgaben schon statt Stefan Raab plötzlich Stefan Effenberg am Reck hing - all das soll jeweils noch schräger, noch verrückter und vor allem: noch härter werden. Die Radikalisierung des Bisherigen als Senderkonzept? Das wirkt ein bisschen simpel.

In der Summe ergebe dies, so die Verantwortlichen, "a new level of entertainment". Letztlich basieren diese "Action-Shows" alle auf demselben Prinzip: eine krähende Domina-Moderatorin (wahlweise Sonya Kraus, Charlotte Engelhardt oder Johanna Klum) peitscht ein paar Kandidaten an, erzeugt möglichst viel künstlichen Druck und wir schauen zu, wie viel davon sie ertragen. Die bisher ausgestrahlten Folgen von "Solitary", "League of Balls" usw. kamen aus der Konserve und waren längst aufgezeichnet. Sie wirkten besonders unecht. Das neue Level des Entertainment war unterirdisch. Sehnlichst wird das Ende der Sommerpause für Brainpool und Stefan Raab erwartet, die dann wieder das ProSieben-Programm prägen werden, inklusive neuer Folgen von allerlei Live-Wettkämpfen von Stefan Raab und dem "Bundesvision Songcontest".

Das Star-Prinzip

Schon daran, aber auch an Peter Zwegat und Kathrin Saalfranks RTL-Präsenz ist zu sehen, dass das Fernsehen nach wie vor vom Star-Prinzip lebt. So denken weder RTL noch Günther Jauch daran, das Unterhaltungs-Engagement zu drosseln, seit klar ist, dass dieser 2011 ins seriöse ARD-Talkfach wechselt. Im Gegenteil: "Wer wird Millionär" bleibt mit kleinerer Kandidatenrunde zu Beginn als permanentes Quotenärgernis für die ARD weiterhin bestehen; "Alt gegen jung - das Duell der Generationen" wird Jauch darüber hinaus moderieren und "5 gegen Jauch" mit Oliver Pocher als Gastgeber zusätzlich auch selbst produzieren. Hape Kerkeling, dessen Zukunft schon ausschließlich beim ZDF gemutmaßt wurde, beglückt RTL mit einer Weihnachtshow und einem "Uschi Blum Special". Trotz der üblichen Comedy-Stars von Mario Barth bis Cindy aus Marzahn, dem ewigen Dieter Bohlen mit wieder einmal ausgewechselter Jury bei "DSDS" wird es bei RTL etwas eng mit unterhaltsamen Hausgewächsen. Folglich darf Daniel Hartwich das BBC-Format "101 Ways to leave a Game Show" ausprobieren und Nazan Eckes irgendwie überall mitspielen.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Sat.1 dagegen hat das Problem, dass die eigenen Stars nicht zünden. Vor allem Johannes B. Kerner kommt nicht aus dem Quark und ist für eine breite Öffentlichkeit zunächst einmal verschwunden. Neben den täglichen Talk-Mühen soll er die Show "Deutschland gegen Holland" mit anderen Gegner-Ländern fortführen, eine weitere Primetime-Show und den Jahresrückblick moderieren. Oliver Pochers in die Bedeutungslosigkeit abgerutschte "Late Show" wird auf 23.15 Uhr geschoben; dafür darf er nun zusätzlich mit "Lieber Onkel Olli" Kinderträume erfüllen, während Kai Pflaume familienkompatibel einen "Bastelkönig" suchen wird. Ob das wirklich zünden wird? Da ist ProSieben jedenfalls froh, dass Heidi Klum irgendwie weiter angebliche "Top-Models" sucht und eine "Popstars"-Jury unverwüstlich die nächste Mädchenband castet.

Vorsichtig wird alles etwas deutscher


Bei Film und Serien haben die Sender weitgehend ihre jeweilige Profilierung herausgebildet. Die "Simpsons", "Grey's Anatomy" und Mystery-Serien gehören zu ProSieben; "Monk", allerlei CSI, "Dr. House" und "Cobra 11" laufen auf RTL. Zu den Serien brauchen die Sender einzelne Highlights. Sat.1 benennt sie schon wie seit Jahren: "Die Wanderhure" mit Alexandra Neldel und "Die Frau des Schläfers" mit Yvonne Catterfeld lassen arge Klischees befürchten. Hinzu kommt die Verfilmung der 247 Tage Haft es Marco Weiss in der Türkei. Da setzt RTL bei eigenproduzierter Fiction schon auf größeres Volumen. "Hindenburg" wird ein Zweiteiler und angeblich die bisher teuerste RTL-Eigenproduktion überhaupt. Nur ein Großereignis der deutschen Nationalgeschichte scheint heute noch für eine aufwändige Eigenproduktion geeignet zu sein. Bei den Serien aber gibt es auch unter der Hand kleine Verschiebungen. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der neuen Sat.1-Führung. Mit "Danni Lowinski" und "Der letzte Bulle" gab es tatsächlich Erfolge für charmante deutsche Serien. Für "Doctor's Diary" gilt dies analog für RTL. Da auch "Ladykracher", "Pastewka", "Schillerstraße" (alle Sat.1 ) und "Stromberg" (Pro Sieben) weitergeführt werden, darf man dies als sanfte Hinwendung zum Eigenen, zum deutschen Stoff deuten.

Fazit


Revolutionen bringt der deutsche Fernsehherbst auf keinen Fall, aber kleine Veränderungen: Vorsichtig sagen die Programmentwickler der Krise adieu, präsentieren die wenigen Stars noch häufiger, aber ahnen bereits, dass für Serien und Filme bevorsteht, was in allerlei "Help-", "Coaching-" oder "Reality-Formaten" schon fast ausgereizt zu sein scheint: die Hinwendung zum Alltag und zum eigenen Land.

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