Wer die Liebe finden will, darf nicht zu spät kommen. Es war 17 Uhr ausgemacht, Treffpunkt bei Hausnummer 97 der Calle de Bravo Murillo im Norden Madrids, direkt vor dem Eingang einer Tiefgarage. Doch schon um 16.30 Uhr haben sich kleine Frauengruppen auf dem Bürgersteig gebildet, bunte Farbtupfer in betongrauer Umgebung. Vor Müllcontainern plaudert eine Frau in Absatzschuhen und rosa T-Shirt mit einer Dame in blumigem Oberteil, den knallroten Lippenstift mit ihrer Haarfarbe abgestimmt. An den Ohren einer Frau mit Afro-Zöpfchen baumeln große Silberringe, eine dicke Silberkette hängt um ihren Hals, in der Luft mischen sich Damendüfte.
Es liegt an diesem warmen Sonntag aber auch etwas Anspannung in der Luft. Die Frauen, Altersschnitt 40 bis 65, sprechen leise, eine hat die Arme verschränkt, einige schauen verunsichert auf den rosa-weißen Reisebus, der vor ihnen geparkt ist. Bald werden sie in diesen Bus steigen und eine Stunde Richtung Süden fahren, nach Carranque, ein Dorf der Provinz Toledo, 665 Höhenmeter, 4760 Einwohner. Dort wollen sie essen, trinken, tanzen – und einen Mann fürs Leben finden, das ist die Hoffnung. Sie haben sich angemeldet für eine Frauenkarawane.
Seit gut zwei Jahrzehnten haben die Caravanas de Mujeres in Spanien Tradition. Das Konzept ist schnell erklärt: Frauen aus der Stadt fahren in einem Bus in Dörfer auf dem Land, um Männer zu treffen. Im Kleinen geht es den Organisatoren darum, der Landflucht entgegenzuwirken. Im Großen aber verspricht eine Karawane nicht weniger als: die Liebe. Sie ist ein Blind Date als Kollektiverfahrung. Hier brechen Frauen gemeinsam auf, um ein Abenteuer zu erleben.
"Transportamos ilusiones" steht in weißen Buchstaben auf der Flanke des Busses, was man mit "wir transportieren Träume" übersetzen könnte. Oder mit "wir transportieren Illusionen". Und so stellt sich im Großen die Frage, was am Ende der Karawane übrig bleiben wird: die echte, traumgleiche Liebe, oder die bloße Illusion derselben? Im Kleinen aber wirft eine Karawane noch andere Fragen auf. Worum es den teilnehmenden Frauen und Männern wirklich geht. Wie solch eine Veranstaltung zu einem Land wie Spanien passt, in dem die Frauenbewegung so kämpferisch ist wie kaum woanders in Europa. Und überhaupt: Wie zeitgemäß es ist, im 21. Jahrhundert Frauen in Bussen zu Männern zu fahren wie Kühe zu einem Viehmarkt.
Teil I: Der Aufbruch
Um die 50 Frauen haben sich im Bus verteilt. Es ist eine Ansammlung, die den südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar, der vor 200 Jahren von einem vereinten Südamerika träumte, wohl stolz gemacht hätte: Da ist Lucero aus Kolumbien, die sich mit Patricia aus Argentinien unterhält, durchaus mit erhöhter Lautstärke. Warum die Fensterplätze aufgeben, wenn man über den Mittelgang hinweg schreien kann? Weiter hinten füllt Yasmin aus Ecuador einen Becher mit Lambrusco, den sie in einer Plastiktasche in den Bus geschmuggelt hat, und reicht ihn weiter an Amparo aus Kolumbien. Alkohol als Starthilfe. Als der Fahrer um 17.40 Uhr den Bus anlässt, schalten auch die Frauen einen Gang hoch, der Lärmpegel kann schnell mit einer Klassenfahrt von 15-Jährigen mithalten. Und wie es sich für eine Klassenfahrt gehört, sitzen die Coolen in den hinteren Reihen.
Das Herz des Reise-Entertainments ist Marina, eine füllige Frau um die 40. Sie trägt Sonnenbrillen à la Ray Charles und ein Jeanshemd, von dem sie nur die unteren Knöpfe zugemacht hat. Sie lehnt mit dem Rücken an einem Sitz, in der Hand hält sie eine blaue Soundbox. Auf Youtube hat sie das Lied "Sabía que no cambiarías" ausgesucht, das in den frühen Morgenstunden noch die Party retten wird. Im Original wechseln sich Frauen- und Männerstimme ab, Marina übernimmt beide Rollen und begleitet ihren Gesang mit ausladenden Gesten. Kaum hat sie in der Männerrolle geschworen, dass der Alkohol an allem schuld sei, drückt ihr eine Frau mit Strohhut und Kolumbientrikot einen Plastikbecher mit Tequila in die Hand. "Chúpate la plata", ruft eine andere, saug das Silber.
Lollis in Herzform werden gelutscht, Chips geknabbert, mit Olivenwasser gepritschelt. Und wenn man glaubt, es wäre jetzt laut genug, holen sie Instrumente aus ihren Handtaschen: Amparo greift zur Glocke, und Berta schabt rhythmisch mit einem Ding, das wie eine Harke aussieht, auf einem Ding, das einer Käsereibe ähnelt, und all das klingt so metallisch und rau, als würde jemand eine Harke über eine Käsereibe schaben. Nur einer versucht, die Ruhe zu bewahren: Busfahrer José, für Freunde "Josito porque soy chiquitito", weil er doch so klitzeklein sei. Stoisch lenkt er den Bus vorbei an leeren Betonstrukturen und über mehrspurige Straßen, die Hochhäuser der Madrider Peripherie haben längst Platz gemacht für weite Felder. Doch auf einmal ist es Josito zu laut, die stehenden Frauen, das ist doch gefährlich obendrein. Straßenrand, Handbremse, wenn sich alle benehmen wie 15-Jährige auf Klassenfahrt, muss einer den Lehrer spielen. Also erhebt sich der 1,55 Meter große Josito aus dem Fahrersitz, marschiert nach hinten, Zeigefinger erhoben, meine Damen, so nicht, alle hinsetzen, sonst fahre er nicht weiter. Es wirkt, zumindest für ein paar Lieder. Aber als Marina sieht, dass Josito wieder auf die Straße fokussiert ist, steht sie auf, schwingt ihre Hüfte, als würde sie ihrem Körper einen Kickstart verpassen, und singt dann ein Lied, das das Motto des Abends vorzugeben scheint: "Mir gefallen sie älter" – Männer, versteht sich.
Teil II: Die Erwartungen
Oft stehen die Frauenkarawanen in Spanien in der Kritik, insbesondere feministische Kollektive finden sie sexistisch. Sie werfen den Organisatoren vor, Frauen zu objektivieren. Ein Gedanke, der naheliegt, und den auch ich im Kopf habe; es fühlt sich falsch an, Frauen in Bussen zu Männern zu fahren. Doch zwölf Stunden Karawanen-Erfahrung werden zeigen, dass hier nichts so schwarz-weiß ist, wie es scheint.
Obwohl noch kein Mann zu sehen ist, ist die Stimmung schon im Bus so gut, dass man sich fragen muss: Liegt das daran, dass die Vorfreude auf die Männer derart beflügelt? Läuft alles gerade deswegen so rund, weil noch kein Typ den Frauen die Laune versaut hat? Oder sind die Männer am Ende sogar ein bisschen egal? Erste Umfragen suggerieren Letzteres.
"Eigentlich möchte ich einfach einen netten Abend haben", sagt Lucero, als ich sie nach ihren Erwartungen frage. Die Kolumbianerin, die 58 ist, aber mit ihren Afro-Zöpfchen aussieht wie 28, fährt zum ersten Mal mit: "Wenn sich mehr ergibt, warum nicht. Aber ich bin schon ziemlich selektiv." Ana aus Madrid stimmt ihr mit rauer Stimme zu: "Wir wollen Spaß haben, das ist es." Die Frauen sind Altenpflegerinnen, Kellnerinnen, Friseurinnen, haben oft mehrere Scheidungen hinter sich – und sind nicht gerade wohlhabend. "Bei einer Caravana bekomme ich für 20 Euro einen Aperitif, ein Abendessen, Getränke und kann die ganze Nacht tanzen", sagt Lucero, "in Madrid kann ich dafür maximal essen gehen." Denkt denn hier gar niemand an die Männer? Wenigstens Yasmin, 48 Jahre und aus Ecuador, glaubt an die Idee des Kuppelns, sie sucht durchaus einen Partner. Sie hat seit ihrer Scheidung vor elf Jahren vier Kinder alleine großgezogen und sagt: "Ich habe es einfach satt, am Abend alleine zu Hause zu sein."
Findet eine Frau über die Karawane eine neue Liebe – schön. Ist diese Liebe dazu noch zu einem Mann, der für die südamerikanische Gattin den Weg zu spanischen Papieren ebnen kann – umso besser. Doch an erster Stelle scheint die Gruppenerfahrung zu kommen, einen Abend mit Frauen in ähnlichen Lebenssituationen zu teilen. Die Kolumbianerin Marla wird am Ende der Nacht noch erzählen, wie einsam sie sich manchmal fühle, obwohl sie seit 13 Jahren in Madrid lebt. "Mein Job als Altenpflegerin lässt mir kaum Zeit, Menschen kennenzulernen." Die Karawane sei für sie vor allem die Chance, Freundschaften zu schließen, egal ob mit Männern oder Frauen. Für die Männer klingt das nicht besonders hoffnungsvoll.
Teil III: Get the party started
Mit jedem Kilometer, dem wir uns Carranque nähern, werden die Frauen ungeduldiger. "Mal schauen, wie die Horde so ist", sagt Berta. Doch als Josito den Bus auf den Dorfplatz lenkt, ist keine Horde zu sehen. Durch die Vorhänge blicken die Frauen auf die Bar "La Sardina", in der das Treffen stattfinden soll. Flaue Luftballons in Spanienfarben baumeln am Vordach, auf dem Platz wurden einige Tische zu zwei Tafeln zusammengestellt. Davor steht ein einzelner Mann mit Glatze, Sakko, Hemd und hochgezogenen Schultern. Schüchtern lächelt er dem Bus entgegen, die Frauen schauen skeptisch zurück. "Nichts für mich", legt sich die Kolumbianerin Eberta fest. Dennoch steigt sie aus und richtet dem Mann erst mal den Hemdkragen.
Kurz scheint niemand so recht zu wissen, was passieren soll. Ein paar Frauen setzen sich auf weiße Plastikstühle und scrollen auf ihren Handys herum, andere betreten die Bar auf der Suche nach etwas Trinkbarem. Vielleicht wollen sie sich auch vergewissern, ob es hier wirklich nur einen Mann gibt. Da, am Tresen, da sitzen noch ein paar, trinken Wein oder San- Miguel-Bier vom Fass. Einige starren auf den Fernseher, es läuft der Männersender Dmax. Für die Frauen haben sie nur schnelle Blicke übrig. Ist das alles, was vom Traum von der Liebe übrig bleibt? Nur eine Heldentat kann den Abend jetzt retten.
Da eilt ein rundlicher Mann ohne Hals und mit Walross-Schnauzer zackigen Schrittes aus der Bar, in der Hand einen Lautsprecher. Musik an, Lautstärke hoch. Der Spanier Manolo Gozalo, 62, und seine dominikanische Frau Venecia Alcantara Gomez, 66, sind die Veranstalter der Frauenkarawanen. Sie sind ein explosives Paar, immer wieder schreien sie sich an, um sich kurz danach einen Kuss zu geben. Und sie sind das lebende Beispiel dafür, dass dieses Konzept funktioniert. 1996 haben sie sich auf einer Karawane kennengelernt, erzählt Venecia, es war die dritte, die Manolo organisiert hatte. "Seitdem sind wir vereint in der Liebe", sagt sie, kippt den Kopf nach hinten und lacht laut. "Nur zum Heiraten fehlen uns die Zeit und das Geld."
Problem der Landflucht in Spanien
Um die Idee hinter den Caravanas zu erzählen, muss Manolo weit ausholen, er stützt sich schon mal mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab: "1985 haben Männer im Dorf Plan eine Zeitungsanzeige aufgegeben, weil es dort an Frauen fehlte", sagt er. Die Sätze kommen aus ihm raus, als würde er einen Rosenkranz herunterbeten. Er erzählt die Geschichte nicht zum ersten Mal. Sie geht so weiter: Die Männer hatten den amerikanischen Film "Westward the Women" gesehen, in dem kalifornische Siedler das Problem frauenloser Dörfer mittels Karawanen lösten. Sie gaben in der Lokalzeitung diese Anzeige auf: "Frauen zwischen 20 und 40 gesucht zum Zwecke der Heirat in ein Pyrenäen-Dorf." Es kamen tatsächlich Frauen und mit ihnen Journalisten aus der ganzen Welt.
"Ich stamme selber aus einem Dorf, Fuentesaúco de Fuentidueña," erzählt Manolo. "Jahre nach dieser Annonce dachte ich mir, ich könnte auch bei uns eine Frauenkarawane gut gebrauchen." Die Landflucht ist in Spanien ein großes Problem. Mehr als die Hälfte der rund 8131 spanischen Gemeinden haben weniger als 1000 Einwohner, etwa 1300 Dörfer sogar weniger als 100. Insbesondere Frauen haben die Dörfer verlassen, und ohne Frauen stirbt ein Dorf aus. Manolo und Venecia wollen gegensteuern. Sie haben schon 600 Caravanas in die Provinzen Kastilien und León, Kastilien–La Mancha, Extremadura und Andalusien organisiert. Mehr als 150 Paare haben sie so zusammengeführt. "40 Prozent davon haben sich auch schon getrennt", gibt Manolo zu, aber was soll’s. Kurz zu träumen ist besser, als gar nicht zu träumen.
Über 23 Jahre hinweg haben Manolo und Venecia viel Zuspruch bekommen, aber auch viel Kritik. Manolo ist geübt darin, sie abzuwehren. Was er von dem Vorwurf halte, die Karawanen seien sexistisch, frage ich. "Ach, das sind die Feministinnen", sagt Manolo, "die glauben, dass wir die Frauen als Köder benutzen." Er konzentriert sich lieber auf die positiven Aspekte: "Hätten wir die Karawane nicht hierher gebracht, wäre die Bar heute leer." Wäre es aber nicht eine Möglichkeit, auch Männerkarawanen zu organisieren? "Es ist nun mal so, dass es in den Dörfern eher an Frauen mangelt", sagt Manolo. Außerdem habe er das schon versucht. Nur meldeten sich zu wenige Männer an. Venecia nickt: "Uns geht es vor allem darum, Menschen in Liebe und Freundschaft zusammenzubringen, egal ob Mann mit Frau oder Frau mit Frau." Doch eines stört die beiden: Bloß einige wenige Männer nehmen an der heutigen Karawane teil. Sie bezahlen dafür 40 Euro, doppelt so viel wie die Frauen. "Die Besitzer der Location müssen sich um die Werbung vor Ort kümmern", sagt Manolo. Ob Schuldzuweisungen jetzt weiterhelfen?
Teil IV: Die Party
Während Manolos Erzählungen ist trotzdem so etwas wie eine Party entstanden. Jaime, der marokkanische Barbesitzer, versorgt die Frauen mit Sangria, während Kellner laufend Tapas auf den Tresen stellen. Der Betonplatz vor der Bar ist zur Tanzfläche geworden. Es ist ein Klischee, aber hier bestätigt es sich: Latinas haben Rhythmus im Blut. Nancy aus Ecuador, sie hat einen kurzen Haarschnitt und ein verführerisches Lächeln, nimmt mich an der Hand und zerrt mich auf die Tanzfläche, schüchtern und hüftsteif schwanke ich nach rechts, nach links, und werde sogleich angelogen: "Das ist doch gut", sagt sie, und schon spielt ein anderes Lied, "La Camisa Negra", und Janet aus Kolumbien nimmt sich meiner an, und so tanzt hier eine Profitänzerin mit einem Besen, so muss es von außen aussehen. Aber das Motto war ja: Hauptsache Spaß haben.
Gerade noch das Herz des Bus-Entertainments, ist Marina nun das Herz der Party. Die ganze Nacht wird es eine Sicherheit geben: Marina, breitbeinig auf einem grünen Plastikstuhl mit San-Miguel-Logo am DJ-Pult sitzend, eine kolumbianische Flagge um den Hals. Sie wird rauchen, Whisky-Cola trinken und über Youtube kolumbianische Musik auflegen, immer schön in Tinnitus-Entfernung zum Lautsprecher. "So höre ich die anderen nicht", sagt sie. Dafür überblickt man von hier die Tanzfläche. Hauptsächlich tanzen Frauen mit Frauen. Noch ein paar Männer sind gekommen, aber die Auswahl ist an Traurigkeit kaum zu überbieten. Der Mann in Sakko und Hemd, der bei der Ankunft gewartet hatte, sitzt einsam vor der Bar, zwei Frauen haben ihm den Rücken zugekehrt. Er will seinen Namen nicht verraten, also nenne ich ihn Miguel. "Ich hatte mir mehr erhofft", sagt er und zieht die Mundwinkel nach unten. Miguel ist kein Neuling: Vor einem Jahr, erzählt er, habe er bei einer anderen Karawane seine spätere Freundin kennengelernt. Dann sei die Liebe geendet – er seufzt – und er hatte so gehofft, heute eine neue zu finden. Im Schmerz kann es schwer sein zu erkennen, ob man schon offen für Neues ist. Vielleicht steht ihm aber auch seine Schüchternheit im Weg. Es wirkt schon ein bisschen seltsam, wenn mich ein 45-Jähriger zweimal fragt: "Jetzt im Ernst: Wenn ich jemanden küsse, heißt das, dass ich mit dieser Person zusammen bin?" Ich habe keine befriedigende Antwort für Miguel und trete lieber den Rückzug an.
In einer Ecke der Bar sitzt ein weiterer Teilnehmer mit zwei Kumpeln. "José Antonio", stellt er sich vor, und reicht mir die Hand. Er hat kein Problem damit, seinen Namen zu verraten, dafür aber sein Alter: "Ich bin 71, aber schreib doch, dass ich 51 bin", sagt er. Bitteschön: Der 51-jährige José Antonio ist auch unzufrieden mit dem Abend, die Damen sind ihm zu alt. Er könne es sich leisten, sagt er, in Madrid stünden die jungen Frauen für ihn Schlange. Als Beweis zückt er sein Handy, um mir die Fotos zu präsentieren. José Antonio, das ist alles so falsch, möchte ich sagen. Aber für einen Grundkurs in Feminismus ist es mir zu spät, ich gehe wieder nach draußen. Und hier treffe ich endlich einen Mann, der Spaß hat: Busfahrer Josito.
Der schüttelt inmitten einer Traube von Frauen seine Hüften und sieht dabei aus wie ein sehr kleiner Elvis, und zu Bill Haleys "Shake, Rattle and Roll" gerät er derart in Fahrt, dass erst ein Stromausfall seinen Groove unterbricht: "Ich bin seit elf Jahren Fahrer bei den Caravanas. Alles, was ich auf der Tanzfläche zeige, habe ich hier gelernt."
Dass das heute schwierig werden könnte mit dem Traum von der Liebe, ist den meisten Frauen mittlerweile klar. Janet hat es immerhin versucht, saß kurz mit einem Mann – wenig Haar, viel Bauch – zusammen. Hat es gefunkt? "Geht so", antwortet sie, und konzentriert sich wieder aufs Tanzen. Allmählich schwinden auch meine Bedenken. Nichts erinnert an einen Viehmarkt. Ich bin umringt von selbstbestimmten Frauen, die Spaß haben.
Um kurz vor zwei Uhr müssen alle im Lokal weiter tanzen. Marina weigert sich noch, ihr DJ-Pult zu verlassen. Die zwei Kellner, die sie in die Bar tragen, deuten an, dass das an zu viel Whisky-Cola liegen könnte. Sie bockt, will erstmals keine Musik mehr auflegen. Erst als ihr jemand ihren grünen Plastikhocker bringt, macht sie weiter. Miguel und José Antonio sind schon abgehauen, nur ein paar Männer stehen noch rum. Auch die Frauen wirken müde, sie sitzen um die Tanzfläche, manche strecken ihre Füße von sich, manche haben die Köpfe in den Händen versenkt. Doch am verzweifeltsten wirkt Organisator Manolo. Er lehnt am Tresen, leerer Blick, unter dem Walross-Schnauzer hängen die Mundwinkel: "Es fehlt an Atmosphäre", sagt er, "und es fehlen die Männer." Er schüttelt den Kopf. "Viele Frauen werden enttäuscht sein." Dass die Frauen nach neun Stunden einfach müde sein könnten, scheint ihm eine zu simple Erklärung zu sein. Im Traum von der Liebe hat Müdigkeit keinen Platz.
Teil V: Das Ende
Die Nacht braucht wieder einen Helden. Dieses Mal ist es Marina, die zu ihrem Klassiker greift. Sie lässt sich ein Mikro reichen, legt das Lied auf, das sie schon im Bus aufgeführt hat, und singt Playback. Mit der freien Hand schwenkt sie ihren Whisky-Cola. Die Frauen beginnen zu klatschen, Glocke und Käsereibe kommen wieder zum Vorschein. Die Rettung gelingt aber nur vorübergehend, denn wenn Frauen Spaß haben, gibt es mindestens einen Mann, der etwas dagegen hat. Den endgültigen Downer verursacht ein Betrunkener, der die Polizei ruft, weil er sich zwischen so vielen Südamerikanerinnen "in seiner Ehre als Spanier" verletzt fühle, man habe ihm "Spanier raus" gesagt. Dem Barkeeper, der noch versucht, ihn zu beruhigen, plärrt er "der Marokkaner muss nach Hause" entgegen. "Alkohol ist schlecht, deswegen trinke ich so wenig", kommentiert Marina, die den Whisky-Cola in ihrer Hand durch eine Feierabendkippe ersetzt hat.
Ich will wissen, ob sie enttäuscht ist, dass heute nicht so viele Männer anwesend waren. "Liebe findet man erst, wenn man sie nicht sucht", sagt sie. Den Abend habe sie aber richtig genossen, Musik und Tanzen, das sei genau ihr Ding. Für manche hat die Abwesenheit der Männer sogar etwas Positives: Um sechs in der Früh wird Marla aus Kolumbien zugeben, dass sie ein mulmiges Gefühl hatte, als sie in den Bus nach Carranque stieg. "Das war mein erstes Mal bei einer Karawane, und ich habe mich gefragt, wie es sich anfühlen würde", sagt sie. Die Tatsache, dass es so wenige Männer gab, habe sie dann leicht enttäuscht, aber auch ein bisschen beruhigt.
Um 4.30 Uhr sammelt Busfahrer Josito die Frauen ein. Es bedarf etwas Überzeugungsarbeit, Marina hat gerade einen frischen Whisky-Cola bestellt. 30 Minuten später fahren alle zurück nach Madrid, zur Calle de Bravo Murillo. Manche von ihnen werden von dort noch eine Stunde U-Bahn vor sich haben, zurück in ihren Alltag. Ohne neue Liebe. Aber das war ja auch gar nicht so wichtig.