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Die Untoten von Russland Die Firma, die Tote einfriert - damit sie eines Tages wieder zum Leben erweckt werden

An einem Modell erklären die Transhumanisten Alexej Samykin und Igor Trapesnikow im Büro von KrioRus
An einem Modell erklären die Transhumanisten Alexej Samykin und Igor Trapesnikow im Büro von KrioRus, wie die Toten vor der Lagerung präpariert werden. Das Wichtigste: Eine Art Frostschutzmittel ersetzt das Blut, damit das Eis die Adern nicht beschädigt
© Giuseppe Nucci
Ein Geschäftsmodell für die Ewigkeit: Die russische Firma KrioRus friert Tote ein, Mensch wie Tier. Sie sollen eines fernen Tages wieder zum Leben erweckt werden von einer fortgeschrittenen Wissenschaft.

Natürlich war es keine leichte Entscheidung, mit dem Kopf der toten Großmutter im Anhänger von Sibirien nach Moskau zu fahren. Sechs Tage dauerte der Trip. Alexej hatte eine Kühltruhe besorgt, einen Generator für die Stromversorgung der Kühltruhe und später, unterwegs, auch Trockeneis. Zwischendurch hielt ihn ein Polizist an, weil der Generator den Anhänger um 20 Zentimeter überragte. Alexej zahlte eine Strafe, der Beamte winkte ihn durch. Anstrengend war das alles. "Aber nichts zu tun", sagt Alexej, "wäre schlimmer gewesen als der Tod." Die Hoffnung gab den Ausschlag: auf die Auferstehung und das ewige Leben.

Auch der Glaube half natürlich, denn Alexej glaubt an die Wissenschaft, an ihre Allmacht und Kraft. Außerdem hing er an seiner Großmutter, die ihr Leben lang als Lehrerin im Dorf gearbeitet hatte. Seinen richtigen Namen sagt Alexej lieber nicht: Verwandte leben in Deutschland und verstehen nicht, dass er die Oma für die Ewigkeit präparieren ließ. Das russische Unternehmen KrioRus lagert Körper, Köpfe und Gehirne bei minus 196 Grad in Trockeneis – auf dass der Fortschritt sie eines Tages zu neuem Leben erwecken möge. "Ich würde mir sehr wünschen, meiner Oma später wieder zu begegnen", sagt Alexej. Natürlich war es vor allem eine Reise aus Liebe.

Alexejs Suche nach der Unsterblichkeit begann, als er noch ein Kind war. Er wuchs bei seinen Großeltern im Dorf auf – die Mutter arbeitete in Krasnojarsk, der nahen Großstadt. Sein Opa, ein Lkw-Fahrer, hatte noch im Zweiten Weltkrieg gegen Japan gekämpft. Er starb viele Jahre vor seiner Frau.

"Nur der Mensch bringt die Welt voran"

Der kleine Alexej interessierte sich für Technik, Kosmonauten und Science-Fiction-Bücher, und ganz vergessen hat er das alles nie. Mit den Jahren kam ihm eine überraschende Erkenntnis: Immer mehr Sonderbares aus all den Büchern wurde wahr. Ärzte frieren Eizellen ein, Wissenschaftler klonen Hunde. Es gibt 3-D-Drucker und Roboter, die auf dem Mars umherrollen. "Wer hätte sich das damals vorstellen können?", sagt Alexej, 51, der heute auf dem Bau arbeitet. Noch etwas fällt ihm ein: Werden Kranken und Verletzten nicht schon jetzt Herzen und Gesichter und Organe eingepflanzt? Wann lebt der erste Mensch mit fremdem Kopf? Die Frage der Unsterblichkeit scheint Alexej kein weiter Sprung mehr zu sein, nur noch eine Sache von Jahrzehnten. "Es kam mir zutiefst ungerecht vor, dass meine Oma nicht mehr davon profitieren kann." Über das Internet erfuhr er vom Unternehmen KrioRus, von Menschen, die so denken wie er.

Den Leichnam der Russin Galina Rjabinina ließen die Angehörigen aus Italien einführen
Den Leichnam der Russin Galina Rjabinina ließen die Angehörigen aus Italien einführen. Dort war die 65-Jährige an Brustkrebs gestorben. Die Hoffnung auf ein späteres Leben der Mutter erleichtere ihr den Abschied, sagt Tochter Tatjana
© Giuseppe Nucci

Das Büro von KrioRus liegt in einem alten Wohnhaus in der Moskauer Innenstadt. Am Eingang hängt nicht einmal ein Schild, denn es ist kein Ort für Neugierige oder Zufallsbesucher, auch wenn die Toten natürlich woanders lagern. Walerija Udalowa öffnet die Tür, eine schlanke Frau in kurzem Rock, die sich meist Walerija Pride nennt. "Pride" wie das englische Wort für Stolz, weil sie stolz darauf ist, ein Mensch zu sein. "Nur der Mensch bringt die Welt voran", sagt sie. Grenzen dieses Fortschritts vermag sie nicht zu erkennen – falls der Mensch sie sich nicht selbst setzt.

Nach Großem streben

Zu Sowjetzeiten arbeitete Udalowa, 58, studierte Physikerin, in einem Moskauer Institut, das einen Flug auf den Mars vorbereiten sollte. Schon bald fand sie sich selbst zu temperamentvoll für die Physik. Als die Perestrojka für Freiheit sorgte, sang sie in einer Rockband, handelte mit Immobilien und gründete eine PR-Firma. "Dann dachte ich: Ich kann ein gewöhnliches, langweiliges, sinnloses Leben führen", sagt sie. "Oder aber etwas Großes erreichen." Sie erinnerte sich an ihre ersten Abhandlungen über die Unsterblichkeit, die sie bereits mit 15 Jahren verfasste, am anderen Ende der Welt, in einem Kaff im Fernen Osten auf der russischen Halbinsel Kamtschatka. Udalowa entdeckte die Transhumanisten.

Kein Traum ist zu verwegen, keine Idee zu verrückt in dieser weltweiten Wissenschafts-Community. In Gedanken überwinden die Transhumanisten den Tod und heilen das Alter wie eine Krankheit. Die Besiedelung des Sonnensystems ist eines ihrer Themen – weil es auf der Erde schnell etwas eng werden kann, ist der Tod einmal besiegt. Transhumanisten entwerfen auch Ernährungskonzepte für eine überbevölkerte Erde: Ideal wäre es, würde der Mensch der Zukunft einfach nur von Luft satt.

Udalowa begegnete Danila Medwedew, einem jungen Mann, der gerade das Werk "Die Aussicht auf Unsterblichkeit" des Amerikaners Robert Ettinger ins Russische übersetzt hatte. Ettinger, Physikdozent, war schwer verletzt aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, durch eine Knochentransplantation lernte er wieder laufen. An den menschlichen Fortschritt glaubte er seither unerschütterlich. Bereits in den 1970er Jahren ließ er im ersten Kryonik-Institut der Welt in Michigan seine Mutter einfrieren, mit dem Langzeitziel der Erweckung. 2011 wurde er selbst der 106. Kunde seines Unternehmens. Medwedew und Udalowa waren sich schnell darüber einig, dass sie die Kryonik auch in Russland gründen wollten, in erster Linie für sich selbst.

Jede Form von extremer Veränderung möglich?

Außerhalb der USA ist Russland heute der einzige Ort, an dem Menschen im Trockeneis ihrer Wiederbelebung harren. Medwedew, 38, nun Co-Chef von KrioRus, findet das nicht erstaunlich: Unsterblichkeitsfantasien und Fortschrittsglaube haben lange Tradition im Land. Bereits im 19. Jahrhundert verbreitete der russische Philosoph Nikolaj Fjodorow die Theorie, dass Gott den Menschen eines Tages in die Lage bringen würde, selbst für die Auferstehung zu sorgen.

Danila Medwedew, einer der Gründer von KrioRus, vor den Behältern mit dem Trockeneis.
Danila Medwedew, einer der Gründer von KrioRus, vor den Behältern mit dem Trockeneis. Derzeit ruhen darin 65 Menschen und 15 Tiere.
© Giuseppe Nucci

Außerdem ist das Leben wohl nirgendwo so grundlegend aus den Fugen geraten wie in der ehemaligen Sowjetunion, dem größten Staat der Welt, einer Supermacht, die sich selbst in ihre Einzelteile zerlegte. Was vorher richtig war, schien auf einmal falsch. Und umgekehrt. Russen halten jede Form von extremer Veränderung seit der Perestrojka generell für möglich, meint Medwedew.

Tiere als ideale Kryo-Patienten

Den ersten Patienten brauchten Udalowa und er nicht lange zu suchen: Kaum hatten sie 2005 KrioRus gegründet, konnten sie ihre erste Kundin aus Sankt Petersburg überführen. Genauer gesagt: ihr Gehirn. Ein Enkel der Toten hatte dies ein halbes Jahr mit Trockeneis im Schlafzimmer gekühlt, in der Absicht, es in die amerikanischen Eis-Bottiche zu exportieren. Das war nun nicht mehr nötig.

Inzwischen lagern 65 Verstorbene im russischen Eis, geborgen in komplizierter Logistik und in einem Wettlauf gegen die Zeit. Für Medwedew und Udalowa gibt es gute Todesfälle und die schwierigen. Vor allem der Überraschungstod macht zu schaffen: Herzinfarkte und Schlaganfälle, ein Verkehrsunfall oder ein Mord. "Was nützt die beste Technik", fragt Medwedew, "wenn man sie nicht anwenden kann?"

Nach dem klinischen Tod muss in der Kryonik nämlich alles schnell gehen: Die Leiche braucht Kälte, denn nur die stoppt die Verwesung. In der Kälte sterben die Zellen nicht, die Neuronen im Gehirn überleben. Chirurgen ersetzen das Blut und die Flüssigkeit im Körper durch eine Art Frostschutzmittel, damit die Eiskristalle des gefrorenen Blutes die Adern nicht zerstören. Einmal kühlten Angehörige den Toten zunächst mit Tiefkühlgemüse aus dem Supermarkt, weil gerade nichts anderes greifbar war.

Als ideale Kryo-Patienten gelten Tiere, die eingeschläfert werden, wie zum Beispiel Udalowas Hund Alisa, der 2008 unheilbar an Krebs erkrankt war. Insgesamt ruhen bei KrioRus 15 tote Tiere, die meisten davon Hunde, Katzen und Vögel. Unter ihnen sogar Ausländer: Einen gefrorenen Hund holte ein KrioRus-Mitarbeiter aus Portugal ab – 5000 Kilometer mit dem Auto. Unterwegs ging der Wagen kaputt, Ersatzteile wurden per Post versandt, eineinhalb Monate dauerte die Mission.

Manchmal trägt die Neurobiologin und Transhumanistin Olga Lewitzkaja selbst den Cyber-Anzug
Manchmal trägt die Neurobiologin und Transhumanistin Olga Lewitzkaja selbst den Cyber-Anzug, den sie entwickelte, eine Art künstliches Nervensystem, das den Körper von außen steuern soll. Außerdem soll er an japanische Comicfiguren erinnern
© Giuseppe Nucci

Ein anderer Hund stammt aus Kroatien. Seine Besitzer, zwei Brüder, riefen ein halbes Jahr lang täglich bei Udalowa an, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen. Dabei lag er längst im Trockeneis. "Er schläft ganz ruhig", antwortete Udalowa dann. "Ich habe noch niemanden erlebt, der am Telefon so geschluchzt hat wie diese Brüder" , erinnert sie sich. Für eine besondere Herausforderung sorgte wegen seiner winzigen Adern ein toter Chinchilla – er gehört der Buchhalterin von KrioRus. Auf der Liste zukünftiger Patienten befindet sich nun ein Hamster.

Beerdigung entpuppt sich als Herausforderung

Natürlich würden die Kryotiker auch den Tod der Menschen am liebsten planen: Udalowa träumt davon, irgendwann die Sterbehilfe in der Schweiz an die Dienste von KrioRus zu koppeln. Pläne für ein Hospiz mit angeschlossener Kryonik unweit von Twer liegen schon in den Schubladen. Denn langsames Sterben an Krebs gilt als gute Voraussetzung, um den Tod irgendwann im Tiefkühlbottich zu überleben.

Der Tod schlich sich langsam an Alexejs Großmutter heran: Sie war 90 Jahre alt, als sie an ihrem kranken Herzen starb. Zum Schluss war sie ans Bett gefesselt. Ihre Tochter kümmerte sich um sie. Nach ihrem Tod reisten Balsamierer aus Krasnojarsk ins lokale Leichenhaus, die normalerweise Tote für den letzten Abschied herrichten. Ein Chirurg pumpte dort das Frostschutzmittel in den Körper.

Alexejs Mutter ist neben ihrem Sohn die Einzige, die weiß, dass Teile der Verstorbenen auf das ewige Leben warten, doch in Details ist auch sie nicht eingeweiht. So glaubt die Mutter, nur das Gehirn befinde sich im tiefgefrorenen Zustand bei KrioRus. Doch da es für das Gehirn keinen besseren Behälter gibt als den Kopf, entschied sich Alexej dafür, aus praktischen Gründen beides nach Moskau zu überführen.

"Für mich war die Beerdigung ein großes Problem", sagt er. In Russland ist es üblich, den Sarg zum Abschied noch einmal zu öffnen. Da Großmutters Kopf bereits im Leichenhaus lagerte, entschied sich Alexej dafür, den Körper verbrennen zu lassen. Für die Verwandtschaft war schon das Affront genug. "Immerhin gibt es ein ganz normales Grab auf dem Friedhof", sagt Alexej. Auf die Fahrt nahm er auch die nötigen Dokumente mit, die den Inhalt des Anhängers als Eigentum von KrioRus auswiesen und außerdem als "wissenschaftliches Material für ein Langzeitexperiment".

13.000 Euro für einen Kopf

Die Toten lagern in Sergijew Possad, einer Kleinstadt 80 Kilometer nordöstlich von Moskau. Eigentlich ist der Ort für seine alte Klosteranlage berühmt. Bunte Holzhäuser und Bäume säumen die Straße, an der KrioRus ein Grundstück gemietet hat. Ein Hausmeister lebt dort in einer kleinen Hütte, daneben ließen Udalowa und Medwedew einen Schuppen aus Wellblech errichten.

Die Toten hängen kopfüber in großen Bottichen, die ein bisschen wie zu klein geratene Getreidesilos aussehen. So bleibt das Gehirn auch kalt, wenn Trockeneis durch die Öffnung ausweicht, so die Theorie. Über den Bottichen haben Udalowa und Medwedew die Flaggen der Länder angebracht, aus denen die Kunden stammen. Aus Deutschland wurde noch niemand in den Frost überführt.

Die Lagerung bei KrioRus ist günstiger als in den USA, doch Alexej musste trotzdem einen Kredit aufnehmen. Umgerechnet fast 13.000 Euro kostet es, den Kopf zu lagern, inklusive eventueller Erweckung. Wer den ganzen Körper einfrieren lassen will, muss 30.000 Euro bezahlen. "Der ganze Körper ist im Prinzip nicht nötig", sagt Udalowa. Das Hirn speichere Erinnerungen und alles, was die Persönlichkeit ausmache. Sie selbst allerdings möchte auch ihren Körper behalten. "Ich mag ihn", sagt sie, "und ich bin an ihn gewöhnt." Sie hofft, ihn in der Zukunft nach und nach verjüngen zu können. "Damit er bereit ist für die schöne neue Welt." Alexejs Oma, so der Plan, wird in einem neuen Körper erwachen. Wenn Tote erweckt werden können, dürfte die Konstruktion von Armen, Rumpf und Beinen nicht allzu schwierig sein.

Wer es nicht versucht ...

Mehr als 500 Menschen haben sich bei KrioRus bereits auf eine Kundenliste eintragen lassen. Was nicht heißt, dass sie auch tatsächlich Kunden werden. Oft wollen die Verwandten doch das Geld sparen und bringen den Kryo-Patienten gegen dessen Wunsch unter die Erde. Die Ehefrau eines Toten forderte von KrioRus sogar alles zurück, was der Mann vor seinem Tod an das Unternehmen überwiesen hatte. Vorher hatte sie ihn noch schnell bestatten lassen. Bei anderen ist es umgekehrt: Die Verwandten frieren ein, die Sterbenden aber hatten nichts von diesen Plänen gewusst. Für sie würde die Auferstehung zur echten Überraschung.

Lange hatte Galina Rjabinina, eine Russin aus Sankt Petersburg, gegen den Krebs gekämpft, aber dann breiteten sich doch Metastasen in der Leber aus. Sie wollte nicht vom Tod sprechen und erst recht nicht vom Leben danach. Als sie im vergangenen Sommer in Italien starb, zögerte ihre Tochter Tatjana dennoch keine Sekunde. Denn Wunder, so glaubt Tatjana, geschehen manchmal. Ihre Mutter sollte im Eis auf ein neues Leben warten.

Wochenlang besorgte Tatjana Trockeneis für das Leichenhaus, damit der Körper auch in Italien ausreichend gekühlt werden konnte. Sie stritt sich mit ihren Verwandten, wartete auf die Ausfuhrpapiere nach Russland, nahm einen Kredit auf. Dann saß sie endlich im Flugzeug. "Ich weiß nicht, ob es wirklich klappt", sagt Tatjana. "Aber es klappt sicher nicht, wenn wir es nicht versuchen." Unabhängig davon habe ihr KrioRus schon jetzt geholfen. "Es erleichtert den Abschied" , sagt sie. Weil es nun Hoffnung gibt.

Ihre Kinder fragen manchmal, wann Oma wieder aufwacht.

Dieser Artikel erschien im aktuellen stern - dort finden Sie auch weitere beeindruckende Fotos zur Geschichte.

 

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