Beide Länder sind ein Kräfte- und Sicherheitsgewinn für das Militärbündnis, sie bringen netto weit mehr Stärke und Sicherheit hinein, als dass sie Unsicherheit mit sich bringen. Selbstverständlich ist so etwas nicht. Häufig streben Länder in Bündnisse, die eher eine Belastung als einen Zugewinn darstellen. Derzeit "blockiert" die Türkei den Beitritt, doch das ist nur ein politisches Manöver, mit dem Erdogan den Preis für seine Zustimmung nach oben treibt. Beide Länder sind nicht unmittelbar von Moskau bedroht. Zwar gibt es in der Geschichte Finnlands eine Zeit als Teil des Zarenreiches – aber durch Sprache, Kultur und Ethnie unterscheiden sich die Finnen von den Russen. Sie fallen nicht unter Putins "Brudervolk Ideologie" wie die Ukraine oder Weißrussland.
Der Schutz des Waldes
Auch abgesehen von der schlechten Performance der russischen Streitkräfte in der Ukraine schützt die Natur die nördlichen Staaten. Zwischen Russland und Finnland gibt es zwar eine lange Grenze – doch Karelien ist für eine Invasion denkbar ungeeignet. Es gibt in der dünn besiedelten Gegend nur wenige Hauptverkehrsstraßen, die Region ist komplett bewaldet und von Flüssen, Seen und Sümpfen durchzogen. Sie eignet sich perfekt für die Verteidigung.
Im sogenannten Winterkrieg und im Zweiten Weltkrieg, in den Finnland als Verbündeter Nazi-Deutschlands teilnahm, zeigte sich, dass die Finnen Meister im Waldkrieg sind. Einer sehr spezifischen Form des Kampfes, für den die finnischen Streitkräfte auch heute trainieren. Die baltischen Staaten mögen wehrhaft sein, aber durch ihre kleine Größe mangelt es ihnen schlicht am Raum, um erfolgreich einen Abwehrkampf zu führen, sie müssten die Russen quasi direkt hinter dem Grenzzaun stoppen. Finnland hingegen hat genügend Raum für eine elastische Verteidigung.
Ostsee ist für Putin verloren
Landmasse und Seegebiet beider Staaten beschneiden Russlands Zugänge zum Nordmeer und zur Ostsee enorm. Aus russischer Sicht besteht die gesamte Küste der Ostsee nun aus "Feindstaaten". Die russische Marine hätte kaum eine Chance aus dem Raum Leningrad und der Enklave Kaliningrad auszubrechen. Die schwedische Insel Gotland sperrt das kleine Meer in der Mitte ab.
Auch Vorstellungen Russlands, man könne die See- und Luftwege zu den baltischen Staaten beliebig abschneiden, sind passé. Die Ostsee wird mit diesem Beitritt zum Nato-Meer und Nato-Luftraum. Ähnlich, aber nicht so dramatisch stellt sich die Lage im Norden da. Hier hat bislang Norwegen den Zugang Russlands zur offenen See bewacht. Finnland reicht nicht bis zur Küste, aber nahe an den Hafen Murmansk und seine Verbindungen heran.
Die Zugehörigkeit auf dem Papier ist nicht weiter bedrohlich, solange Putin keinen Krieg mit Nato-Staaten beginnt. Doch früher oder später können der Mitgliedschaft militärische Einrichtungen folgen. Elektronische Horchposten und Frühwarnsysteme, Raketenstellungen, Flughäfen und weitere Basen. Und die würden die bislang freien und neutralen Räume auch faktisch zu Sperrzonen für Russlands Militär machen.
Kleine Staaten starkes Militär
Beide Staaten sind nicht gerade bevölkerungsreich. Finnland hat in etwa 5,5 Millionen Einwohner, Schweden etwa 10,5. Das limitiert die Größe des Militärs. Die schwedischen Streitkräfte verfügen über etwa 15.000 Soldaten, davon etwa die Hälfte beim Heer. Hier kommt aber die sogenannten Heimwehr von 21.000 Soldaten noch dazu. Schweden besitzt 120 Kampfpanzer Stridsvagn 122 - eine verbesserte Variante des Leopard 2A5 und 509 moderne Schützenpanzer vom Typ CV-90. Die mobile 155 mm Haubitzen vom Typ Archer gehört zu den modernsten Systemen der Welt. Dazu kommen 96 Jets des Typs Saab JAS-39 Gripen. Weiterhin hat Schweden eine kampfkräftige Marine für den Küstenschutz und die Truppen sind sehr gut mit tragbaren Panzerabwehrwaffen ausgestattet.
Das kleinere Finnland hat ein wesentlich stärkeres Militär. Die Gesamtstärke liegt bei 23.000 Mann. In Finnland ist das Militär tief in der Bevölkerung verankert, ähnlich wie die Schweiz. Durch die bisherige strikte Neutralität wurden die Streitkräfte dieser Staaten auch nicht in die zweifelhaften militärischen "Interventionen" des Westens hineingezogen. Sie dienten zumindest bislang allein der Landesverteidigung.
Krieg der Reservisten
Die Größe der Streitkräfte wird in Finnland durch die Reservisten enorm vergrößert. Im Verteidigungsfall kann Finnland eine halbe Million von ihnen mobilisieren. Bei ihnen handelt es sich nicht nur um Personen in irgendwelchen Listen. Finnland hält für die Reserveeinheiten die notwendige Ausrüstung bereit und in Schuss. Spötter sagen, dass sich das Reservematerial in Finnland in einem besseren Zustand befindet als die Ausstattung der regulären Truppen in vielen Nato-Ländern.
Zusammen mit dem Terrain, welches den Verteidiger begünstigt, ist es kaum vorstellbar, einen erfolgreichen Bodenkrieg gegen Finnland zu führen. Die enorme Mannstärke der Reservisten würde einen Angriff von vornherein verbieten, solange nicht Heere wie im Zweiten Weltkrieg aufgestellt werden, würde ein Angreifer nicht einmal an einzelnen Abschnitten eine überlegene Truppenstärke herstellen.
Obwohl Kampfpanzer nicht im Fokus stehen, hat das kleine Finnland 100 aktive Leopard 2A6 und 100 eingelagerte Leopard 2A4. Die Luftstreitkräfte verfügen über 62 McDonnell Douglas F/A-18 Hornet, sie werden ab 2026 durch 64 Lockheed Martin F-35 ersetzt. Spätestens dann hat Finnland eine weit schlagkräftigere Luftwaffe als Deutschland. Die Artillerie kann die Stärke Finnlands zu illustrieren: Helsinki hat 740 Geschütze, 72 selbstfahrende Haubitzen und über 1200 Mörser im Dienst.
Den Militärs beider Länder wird ein guter Ausbildungsstand in der Truppe bescheinigt. Dass schwedische Soldaten an großen Kriegen teilnahmen, liegt lange zurück. Die finnischen Soldaten gelten seit dem Zweiten Weltkrieg als zäh und kampfkräftig und dabei ähnlich den Truppen der Roten Armee auch als bereit, unter sehr schwierigen, wenn nicht aussichtslosen Bedingungen weiter zu kämpfen.
Länder ohne vergiftete Mitgift
Fazit: Schweden und Finnland sind ein großer Gewinn für die Allianz. Beide Länder sind wehrhaft und könnten gemeinsam mit Norwegen Skandinavien gegen Putin am Boden verteidigen. Schon auf mittlere Sicht wird die Präsenz der Nato auf ihrem Territorium dazu führen, dass Russlands Möglichkeiten im Ostseeraum militärische Macht zu entfalten, drastisch sinken.
Der Beitritt Finnlands und Schwedens erhöht die Sicherheit der baltischen Staaten und von Polen damit dramatisch. Gleichzeitig werden Machtprojektionen im Nordatlantik und in Teilen der Arktis für Russland schwieriger. Hinzu kommt, dass der Sicherheitsgewinn durch die skandinavischen Staaten nicht politisch belastet oder gar vergiftet ist. Beide Staaten haben keinen Streit oder erheben Gebietsansprüche an ihre Nachbarn. Also ganz anders etwa als die Türkei, von deren geopolitischen Lage die Nato profitiert, dafür aber auch in den Streit zwischen Türkei und Griechenland hineingezogen wird und sowohl mit der sehr eigenwilligen Expansionspolitik Erdogans wie mit dem Krieg gegen die Kurden leben muss.