Klimawandel "Zeit der Halbheiten ist vorbei"

Die Politik reagiert auf das Horrorszenario des Weltklimaberichts: Frankreich und Deutschland wollen nun eine neue Umweltorganisation bei den Vereinten Nationen durchsetzen. Die Bundesregierung setzt außerdem auf Forschung.

Angesichts des dramatischen Klimawandels wollen Deutschland und Frankreich die Gründung einer Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEO) durchsetzen. "Die Zeit für Halbheiten ist vorbei", sagte der französische Präsident Jacques Chirac am Freitag zur Eröffnung einer internationalen Umweltkonferenz in Paris. "Der Tag rückt näher, an dem der Klimawandel jeder Kontrolle entgleitet. Es ist Zeit für eine Revolution des politischen Handelns." Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sagte Chirac auf der Konferenz die Unterstützung Berlins für das UNEO-Projekt zu.

"Unilateralismus führt in die Sackgasse"

Die Umweltkonferenz mit 200 Vertretern aus 50 Staaten begann kurz nach der Veröffentlichung des UN-Klimaberichtes (IPCC), der einen Anstieg des Meeresspiegels sowie mehr Umweltkatastrophen als Folge der Erderwärmung erwartet. In dem Bericht heißt es, die Temperaturen auf der Erde würden bis zum Jahr 2100 wahrscheinlich mehr als doppelt so schnell steigen wie im 20. Jahrhundert. Der Klimawandel sei "eindeutig, vom Menschen verursacht und wird sich selbst bei einer Stabilisierung des Treibhausgasausstoßes Jahrhunderte fortsetzen".

Chirac wollte mit der Konferenz "eine Gruppe von Pionierstaaten bilden, die bereit sind, das Projekt einer UN-Umweltorganisation voranzubringen". Die UNEO soll wie die Weltgesundheitsorganisation WHO ein eigenes Budget und Analyse- und Entscheidungsbefugnisse erhalten und ein Dach für 18 Agenturen und 500 Umweltverträge bilden. "Wir brauchen ein weltweites Umweltmanagement. Es ist eine Bedingung für Frieden und ein Schlüssel für dauerhafte Entwicklung", sagte Chirac. "Unilateralismus führt in die Sackgasse."

Gabriel nannte eine Reform der internationalen Umweltpolitik "angesichts der Dimension der Aufgabe längst überfällig". Eine Stärkung des UN-Umweltprogramms (UNEP, Nairobi) reiche nicht, sagte der Vorsitzende des EU-Umweltrates. Dagegen könne eine aufgewertete UN-Umweltorganisation "die globale Umweltpolitik innerhalb der Vereinten Nationen entschlossen vorantreiben".

Umweltkompetenz der Entwicklungsländer fördern

Die UNEO soll unter den Bedingungen der Globalisierung den Umweltschutz sichern und die Umweltkompetenz der Entwicklungsländer fördern. Ihre Empfehlungen sollen in die Arbeit von Institutionen wie Weltbank oder WHO eingehen. Das Projekt wird von der EU unterstützt. Die USA und Schwellenländer wie China sehen es kritisch.

Bundesregierung plant Aktionsprogramm

Die Bundesregierung plant außerdem ein millionenschweres Aktionsprogramm zur Klimaforschung. Es soll mit 255 Millionen Euro ausgestattet sein, wie Bundesforschungsministerin Annette Schavan am Freitag in Berlin ankündigte. Gefördert werden sollen unter anderem Forschergruppen, die Lösungen für einen intelligenten Technologiewandel entwickeln.

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) mahnte "große politische Konsequenzen" an. Nötig sei eine rasche Einigung über die Klimaschutzpolitik in der EU und ein neues Ziel zur Verminderung der gefährlichen Treibhausgase um 30 Prozent weltweit bis 2020.

"Eine gellende Sirene"

Umweltorganisationen verlangten von den Industrienationen eine einschneidende Reduzierung des C02-Ausstoßes. "Wenn der letzte IPCC-Bericht ein Weckruf war, dann ist dieser eine gellende Sirene", sagte Greenpeace-Sprecherin Stephanie Tunmore. Zwar habe sich das Verständnis des Klimasystems und der Einfluss des Menschen darauf verbessert. "Die schlechte Nachricht ist, dass die Zukunft immer bedenklicher aussieht, je mehr wir wissen." Tunmore sprach von einer klaren Botschaft an die Regierungen. Das Zeitfenster, um noch etwas zu tun, schließe sich rasch.

Die Umweltorganisation Freunde der Erde verlangte, die Industriestaaten müssten nun eine Vorreiterrolle übernehmen und den Entwicklungsländern dabei helfen, nachhaltige Ökonomien aufzubauen. "Die Alarmglocken schrillen. Die Welt muss aufwachen", sagte Catherine Pearce von Friends of the Earth: "Noch ist Zeit zum Handeln, aber rasches Handeln ist jetzt gefordert."

Schluss mit dem Taktieren!

Das Taktieren und Feilschen um möglichst unverbindliche Klimaschutzvorgaben wie derzeit für die Automobilindustrie müsse aufhören, sagte der Präsident des Naturschutzbundes (Nabu), Olaf Tschimpke. Die Umweltstiftung WWF nannte den UN-Bericht eine Sturmwarnung an alle Regierungen. Diese müssten sofort handeln und Emissionen drastisch reduzieren.

Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) forderte die Politik zum Handeln auf: "Wir rasen in die Klimakatastrophe, und trotzdem dürfen Autos noch immer unbegrenzt Sprit verbrauchen und Flugzeuge steuerfrei um die Welt fliegen. Es ist unverantwortlich, dass Maßnahmen zum Klimaschutz im Verkehr konsequent nicht angegangen werden", sagte VCD-Chef Michael Gehrmann.

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