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Besuch bei Biden Merkel im Weißen Haus: Der US-Präsident übernimmt wieder die Führung der freien Welt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) und US-Präsident Joe Biden im Oval Office
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden im Oval Office
© Saul Loeb / AFP
Es ist Angela Merkels erster Besuch bei US-Präsident Joe Biden in Washington – und auch ihr letzter als Kanzlerin. Es war ein "freundschaftlicher Austausch" mit "einer persönlichen Freundin" - und erinnerte an eine Art Staffelübergabe. 

Nein, Gefühle zu zeigen, das war noch nie so richtig Angela Merkels Ding. Öffentlich emotional wurde sie höchstens einmal während der Flüchtlingskrise. Aber in eigener Sache? Da schaute sie eher spöttisch, wenn mal wieder ein Journalist sein Glück versuchte und ihr eine emotionale Frage stellte. Am Donnerstagabend, bei der Pressekonferenz im Weißen Haus, versuchte es ein amerikanischer Reporter: Wie die Bundeskanzlerin denn so zurückblicke auf ihre Treffen mit vier Präsidenten, von George W. Bush über Barack Obama und Donald Trump zu Joe Biden? Ob sie da etwas erzählen könne nach ihren 16 Jahren im Amt?

Merkel dachte gar nicht daran, etwas zu erzählen. Sie antwortete: "Wir hatten immer Pressekonferenzen, und Sie alle konnten sich immer überzeugen, wie Sie das wahrgenommen haben." Und: "Heute war es ein sehr freundschaftlicher Austausch."

Mehr hatte sie nicht mitzuteilen. Über eine Detailfrage der Handelsbeziehungen zu China sprach sie deutlich länger. 

Joe Biden wird Angela Merkel vermissen

Dies war Merkels Abschiedsbesuch. Ihr letztes Mal als Kanzlerin im Weißen Haus. Und es war, wie sie betonte, trotzdem vor allem ein Arbeitsbesuch. Es gab viel zu besprechen, von der umstrittenen Ostseepipeline Nordstream 2 über Afghanistan bis hin zum Umgang mit China. Danach, vor der Presse im East Room, war es an Joe Biden, emotional zu werden. Er werde Merkel vermissen bei den Gipfeltreffen, sagte er. "Das werde ich wirklich." Der 78 Jahre alte US-Präsident machte sich klein vor der elf Jahre jüngeren deutschen Kanzlerin, als er sagte, sie kenne sich nach ihrer langen Amtszeit im Weißen Haus wahrscheinlich besser aus als er. Die Jüngere geht nun in Rente, der Ältere steht am Beginn seiner Amtszeit. 

Nicht in allem sind sie einig, die beiden. Merkel hält an Nordstream 2 fest, Biden ist gegen die Pipeline, weil er sie als einen Erfolg für Wladimir Putin sieht – das russische Gas fließt unter dem Meer von Russland direkt nach Deutschland. Die Ukraine braucht Putin nicht mehr. Biden versteht nicht, warum Merkel da mitmacht. Sie wiederum meint, es handele sich um ein Wirtschaftsprojekt. Für ihn ist es Geopolitik. "Gute Freunde müssen nicht immer einig sein", sagte die Kanzlerin dazu. Was dann schon ein bisschen nach nahendem Ruhestand klang. Aber nur ganz kurz. 

Merkels Abschiedsbesuch, eine Staffelübergabe

Generell wirkte Angela Merkel an diesem Tag in Washington sehr entspannt. Vielleicht auch, weil nun Joe Biden in diesem Land regiert. Sie war es, die in den Trump-Jahren vieles zusammenhielt, was sonst vielleicht auseinandergebrochen wäre. Dank ihr kann Biden nun das transatlantische Bündnis wieder aufbauen. Dass Trump nicht alles kaputtmachen konnte, verdankt Biden der Kanzlerin. Er weiß das natürlich. Merkels Abschiedsbesuch in seinem Weißen Haus hatte etwas von einer Übergabe: Jetzt übernimmt wieder der US-Präsident die Führung der freien Welt. Die Rolle, die Merkel nie wollte, aber in den letzten vier Jahren versuchte auszufüllen, weil sie es als ihre Pflicht sah.  

Jetzt kann sie beruhigter abtreten, es gibt jetzt in Washington wieder einen, der die Demokratien zusammenhält. 

Erkennbar trafen sich zwei Menschen, die sich verstehen. Vom Naturell her mögen sie unterschiedlich sei: Biden ein katholischer Ire mit Hang zum Pathos, Merkel die nüchterne Preußin. Doch beide sind sie keine Exzentriker. Sie teilen ein Wertefundament. In den großen Fragen der Welt spielen sie im selben Team. "Eine persönliche Freundin" nannte Joe Biden sie, und sie nannte ihn Joe und duzte ihn. Am Ende entschuldigte sich Biden, er müsse die Pressekonferenz beenden, das Abendessen warte, und es klang, als würde er sich wirklich auf das Essen mit Merkel freuen. 

Merkel lächelte nur still. 

Merkel über ihren Ruhestand: ein Buch lesen

Vielleicht wird von ihr als Kanzlerin einmal vor allem bleiben, wie sie regierte. Ihr Stil. Regieren als Handwerk. Kein Pomp, nirgends. Vermutlich werden ihr auch im Herbst, wenn sie abtritt, nicht die Tränen kommen – so wie Gerhard Schröder damals, 2005. Merkel überblickt so viel Weltpolitik wie ansonsten tatsächlich nur Putin, sie hat unendlich viel Geschichte erlebt, so nah wie von 2005 bis 2021 vermutlich niemand sonst. Dabei wirkt sie nicht, als hätte sie sich dadurch irgendwie verändert. Höchstens hat sie ihre Routine perfektioniert. Nach wie vor referiert sie mühelos spontan die kleinsten Details der unmöglichsten Themen. Handwerk kann ja auch beeindrucken. Früher am Tag in Washington bekam Merkel die Ehrendoktorwürde der Johns-Hopkins-Universität verliehen. Dort gefragt, was sie nach ihrem Amtsende so plane, erlaubte sie sich doch tatsächlich ein persönliches Statement. Merkel sagte, sie werde im Herbst ein Buch lesen und dann vielleicht darüber einschlafen.

rw

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