Mit 65 Jahren "Ruhe in Frieden, lieber David!": EU-Parlamentspräsident Sassoli stirbt im Krankenhaus in Italien

David Sassoli im Dezember bei einer Rede im Europaparlament in Straßburg
David Sassoli im Dezember bei einer Rede im Europaparlament in Straßburg
© Julien Warnand / AFP
Noch am Montag hatte er zum Tod der italienischen Journalistin Silvia Tortora kondoliert. Jetzt ist David Sassoli, Präsident des EU-Parlaments und Autor, selbst gestorben – im Alter von nur 65 Jahren.

Die Nachricht kam mitten in der Nacht: Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, ist tot. Der 65 Jahre alte Italiener sei am Dienstag um 1.15 Uhr im Centro di Riferimento Oncologico in Aviano, einem Onkologie-Zentrum in der nordostitalienischen Region Friaul-Julisch Venetien, gestorben, teilte sein Sprecher Roberto Cuillo am frühen Dienstagmorgen auf Twitter mit. Sassoli befand sich dort seit mehr als zwei Wochen "wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems" in Behandlung, wie Cuillo am Montag erklärt hatte.

Von der Leyen "zutiefst betrübt" über Tod von David Sassoli 

Am frühen Morgen drückten die ersten Politiker ihr Beileid aus. "Ciao David, lebenslanger Freund", schrieb Italiens Kulturminister Dario Franceschini auf Twitter. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen twitterte: "Ich bin zutiefst betrübt über den schrecklichen Verlust eines großen Europäers und stolzen Italieners. David Sassoli war ein einfühlsamer Journalist, ein hervorragender Präsident des Europäischen Parlaments und in erster Linie ein guter Freund." Ihre Gedanken seien bei Sassolis Familie. Auf Italienisch ergänzte sie: "Ruhe in Frieden, lieber David!"

EU-Ratschef Charles Michel würdigte Sassoli, als "aufrichtigen und leidenschaftlichen Europäer". Seine menschliche Wärme, seine Großzügigkeit, seine Herzlichkeit und sein Lächeln würden bereits vermisst. Michel drückte Sassolis Familie sein Beileid aus.

Sassoli war nach Angaben von Cuillo bereits am 26. Dezember ins Krankenhaus gekommen, all seine offiziellen Termine wurden seitdem abgesagt. Im September war er bereits wegen einer Lungenentzündung behandelt worden und konnte mehrere Wochen lang nicht seinen Aufgaben als EU-Parlamentspräsident nachgehen. Zuvor war er außerdem einmal an Leukämie erkrankt.

Über sein privates Twitter-Konto hatte Sassoli noch am Montagvormittag zum Tod der italienischen Journalistin Silvia Tortora kondoliert. Am 31. Dezember lobte er die Worte des italienischen Staatsoberhauptes, Sergio Mattarella, aus dessen Neujahrsansprache.

Der Sozialdemokrat hatte den Parlamentsvorsitz seit der Europawahl 2019 inne. Seine Amtszeit lief diesen Monat zur Hälfte der Legislaturperiode gemäß einer Absprache der EU-Staats- und Regierungschefs aus. Sassoli hatte bereits angekündigt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wollte. Nach Angaben des Parlaments sollten die Abgeordneten während der Plenarsitzung in Straßburg nächste Woche Dienstag seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin bestimmen.

Durch den Verzicht der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Parlament auf einen eigenen Kandidaten wurde der Weg frei für die Wahl der Kandidatin der konservativen Europäischen Volkspartei, Roberta Metsola. Die Malteserin ist derzeit eine der Vizepräsidentinnen der EU-Volksvertretung.

Eine Art italienischer "Mister Tagesschau"

Sassoli wurde am 30. Mai 1956 in Florenz in der Toskana geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft arbeitete er als Journalist, zunächst für Zeitungen und Nachrichtenagenturen und dann für den öffentlich-rechtlichen italienischen Rundfunk. 

Er entwickelte sich schnell zum vertrauten Gesicht für Millionen Italiener, als er die Abendnachrichten im Sender Rai Uno präsentierte – eine Art italienischer "Mister Tagesschau". 2007 wurde er auch stellvertretender Direktor des Nachrichtenprogramms TG1. 2009 zog er für die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) ins EU-Parlament ein. Ab 2014 war er einer der 14 Vize-Präsidenten der EU-Abgeordnetenkammer. Neben seiner Abgeordnetenarbeit betätigte sich Sassoli weiter schriftstellerisch als Autor von Büchern und Gastbeiträgen in verschiedenen Tageszeitungen und Zeitschriften.

Sein Aufstieg zum Präsidenten des EU-Parlaments als Nachfolger seines konservativen Landsmanns Antonio Tajani kam für viele überraschend, da Italien 2019 mit dem heutigen Regierungschef in Rom, Mario Draghi, als Chef der Europäischen Zentralbank und Federica Mogherini als EU-Außenbeauftragter noch zwei weitere Spitzenposten besetzt hatte. Sassoli stellte klar, dass er seine Wahl auch als Zeichen der Unabhängigkeit des Parlamentes im Machtkampf mit den Regierungen der EU-Staaten sah. "Ich bin kein Mann des Rates", sagte er nach seiner Wahl mit Blick auf die Vertretung der Mitgliedstaaten.

Parlamentsdebatten führte der "Presidente", der sich oft in seiner Muttersprache Italienisch äußerte, mit harter Hand, jedoch ohne verbale Ausbrüche. Seine zweieinhalbjährige Amtszeit wurde durch die Corona-Pandemie geprägt. So musste er die Umstellung des Parlamentsbetriebs auf Telearbeit koordinieren. Sein Organisationstalent verschaffte ihm Respekt unter den Abgeordneten.

Als Zeichen seiner Solidarität inmitten der Krise stellte er die verwaisten Räumlichkeiten des Parlaments sowohl in Straßburg als auch in Brüssel zur Verfügung, um Mahlzeiten für bedürftige Familien zuzubereiten und ein Covid-19-Testcenter einzurichten.

Er hinterlässt zwei Kinder. "Das Datum und der Ort der Beerdigung werden in den nächsten Stunden bekannt gegeben", schrieb Sassolis Sprecher auf Twitter.

DPA · AFP
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