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Der Westen und die Ägyptenkrise Es ist beschämend!

Seit mehr als einer Woche demonstrieren die Ägypter für ihre Freiheit. Die Menschen auf dem Tahrir-Platz warten auf ein Zeichen der Solidarität. Doch der Westen versagt im Krisenmanagement.
Ein Kommentar von Andreas Petzold

Es ist grotesk, tragisch, beschämend, was die politisch Verantwortlichen des Westens zurzeit auf der Weltbühne aufführen! Weil sie unsicher sind, wie das ägyptische Drama ausgehen wird, verstecken sie sich noch immer hinter diplomatischen Floskeln. Mag sein, dass im Hintergrund klare Worte fallen. Mag sein, dass man auf diesem Weg mehr erreicht als mit verbalen Attacken. Aber die mutigen Menschen auf dem Tahrir-Platz und die Demokratien der Welt warten auf öffentliche Solidarität.

Warum sagen die Kanzlerin, Präsident Obama, der sonst so lautstarke Sarkozy, der englische Premier Cameron nicht, was der Rest der freien Welt denkt? "Mubarak muss gehen, sofort! Ohne Bedingungen!" Nicht einmal der ägyptische Botschafter wurde in Berlin einbestellt. Das Deutlichste, was Angela Merkel von sich gab, las sich so: Ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. Vielmehr müsse ein Neuanfang gefunden werden. Ein Totalausfall ist die EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton. Sie appellierte an Mubarak (!), mit "dringenden, konkreten und entscheidenden Maßnahmen" auf die Demokratiebewegung einzugehen. Ebenso gut hätte Ashton den nordkoreanischen Diktator höflichst bitten können, morgen früh die Demokratie einzuführen.

Wenn es überhaupt noch Beweise bedurfte, dass in Kairo eine lupenreine, gewalttätige und skrupellose Diktatur handelt, dann war es die staatlich gelenkte Mobilisierung des Pro-Mubarak-Mobs. Die Schergen des von Mubarak frisch eingesetzten Vizepräsidenten Suleiman, bis vor wenigen Tagen Geheimdienstchef, sorgten für ein Blutbad unter den Demonstranten. Gestern versuchte sich das Regime der lästigen internationalen Berichterstatter zu entledigen.

Andreas Petzold ist Chefredakteur des stern

Denn die Live-Fernsehbilder und Fotos und YouTube-Videos sind die Verbindung der Mubarak-Gegner mit der Welt. Diese Bilder passen nicht zur staatlich-offiziellen Behauptung, die Proteste seien von finsteren ausländischen Mächten inszeniert. Mit der Strategie "Was man nicht sieht, findet auch nicht statt" will sich der Machtapparat Zeit erkaufen. Und so machen zivile Sicherheitskräfte Jagd auf internationale Journalisten, mit Prügel, Festnahmen, Konfiszierung von Kameras und technischem Gerät. Der US-Fernsehsender ABC hat eine lange, aber immer noch unvollständige Liste der Übergriffe auf Journalisten zusammengestellt.

Auch stern-Mitarbeiter mussten gestern sicheren Unterschlupf suchen. Der Besitzer des Hotels, in dem unsere Reporter mit internationalen Kollegen übernachteten, alarmierte die Journalisten am Nachmittag: "Ihr müsst schnell verschwinden, alle Hotels in Kairo werden nach ausländischen Journalisten durchsucht." Währendessen offenbarte Mubarak in einem ABC-Interview seine absurde Sicht auf die Ereignisse: Er würde ja gerne abtreten, tue dies aber nicht, weil er dann Chaos befürchte. Vermutlich traut sich niemand ihm zu sagen, dass er das Chaos angerichtet hat - Dutzende Tote, hunderte, wenn nicht tausende Verletzte. Und immer noch funktioniert der Unterdrückungsapparat. Und der Westen verharrt in Diplomatie. Es ist beschämend.

P.S.: Am Freitagmorgen wurde der ägyptische Botschafter in Deutschland einbestellt. Offiziell nicht, um Deutschlands Position zu den Ereignissen in Ägypten zu erklären, sondern um deutlich zu machen, dass Übergriffe auf deutsche Staatsangehörige und ausländische Journalisten inakzeptabel sein.

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