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Einmarsch in Gaza Offensive zur Unzeit

Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem die palästinensischen Organisationen ein Friedenssignal aussenden, marschiert Israel in den Gazastreifen ein - Folge einer militärischen Logik. Und Folge einer zunehmenden Spaltung der palästinensischen Hamas-Führung.

Die israelische Offensive begann in den frühen Morgenstunden mit Luftangriffen. Auf das einzige Elektrizitätswerk von Gaza seien mindestens neun Raketen abgefeuert worden, heißt es, das Kraftwerk soll dem Erdboden gleich gemacht worden sein. 65 Prozent des Gazastreifens hätten nun keinen Strom mehr, sagten Mitarbeiter des Kraftwerks, außerdem wurden drei Brücken aus der Luft angegriffen. Durch ihre Zerstörung ist der Gazastreifen nun in zwei Hälften geteilt.

Der Zeitpunkt für die erste militärische Operation seit dem israelischen Abzug aus dem Gazastreifen im Herbst 2005, mit der ein entführter Soldat befreit werden soll, hätte ungünstiger nicht liegen können. Denn erst am Tag zuvor hatten die beiden rivalisierenden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah die so genannte Häftlingserklärung unterzeichnet. Durch sie erkennen die Radikal-Islamisten erstmals eine Zwei-Staaten-Lösung an und damit das Existenzrecht Israels, wenn auch indirekt.

Zwar diskutieren Nahost-Kenner noch darüber, ob das Ja der Hamas zur "Häftlingserklärung" tatsächlich die endgültige Abkehr von ihrer israelfeindlichen Politik bedeutet, wäre der Schulterschluss zumindest ein Zeichen der Versöhnung zwischen den beiden mit einander verfeindeten Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas. Und ein Hinweis darauf, dass ein Teil der Palästinenser nun ernsthaft den Frieden mit Israel sucht.

"Das eine hat mit den anderen nichts zu tun"

Umso verwunderlicher daher, dass die Israel ausgerechnet in dieser Situation zum ersten Militärschlag seit neun Monaten ausholen. Für Christoph Moosbauer allerdings, Nahost-Experte von der Universität München, hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. "Die Befreiung gefangener oder entführter Soldaten ist eine absolute Prämisse der israelischen Militärpolitik", sagt Moosbauer zu stern.de. In einem stark militarisierten Land wie Israel sei es wichtig für die Moral der Bevölkerung, dass die Regierung alles unternehme um die Soldaten zu schützen, so Moosbauer weiter.

Ähnlich äußert sich auch Ministerpräsident Ehud Olmert: Die Militäroffensive werde in den kommenden Tagen zwar fortgesetzt, "wir haben aber nicht vor, Gaza wieder zu besetzen. Wir haben ein Ziel, und das ist, Gilad Schalit heimzubringen", so Olmert. Allerdings werde seine Regierung auch nicht vor "extremen Aktionen" zur Befreiung des 19-jährigen Soldaten zurückschrecken, der jüngst von radikalen Palästinensern entführt worden war.

Daneben scheint der Einmarsch Israels in Gaza auch eine Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss des Landes durch palästinensische Extremisten zu sein. Hunderte von Kassam-Raketen wurden mutmaßlich vom militärischen Arm der Hamas in den letzten Monaten in grenznahe Gebiete abgefeuert, dabei sind eine Reihe israelischer Zivilisten darunter auch Kinder ums Leben gekommen. Weil Reaktionen von Seiten Israels aber weitgehend ausgeblieben sind, steht Präsident Olmert in der Kritik: die Bevölkerung fühlt sich den Angriffen schutzlos ausgeliefert.

Der militärischen Aktionen der Radikal-Islamisten werden vor allem von Syrien aus geleitet. Der dort lebende Hamas-Führer Khaled Maschaal dirigiert einen Großteil der Angriffe und ist jetzt ins Visier der Israelis gerückt. Justizminister Haim Ramon kündigte jetzt an, dass Maschaal ein Ziel für eine gezielte Tötung sei. Maschaal habe die Entführung angeordnet und sei auch für den Anschlag auf den israelischen Stützpunkt verantwortlich.

Steht die Hamas vor der Spaltung?

Der politische Hamas-Flügel, der seit Anfang des Jahres die palästinensischen Autonomiegebiete regiert, will von der Entführung des Soldaten Schalit allerdings nichts gewusst haben - ein Hinweis darauf, dass es innerhalb der Bewegung deutliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Was die politische Führung weit von sich weist.

Dennoch deutet einiges darauf hin, dass bei der Organisation die rechte Hand nicht weiß, was die Linke macht. So gehen Vertraute des palästinensischen Präsidenten Mahmut Abbas davon aus, dass Khaled Maschaal persönlich grünes Licht für die Entführungsaktion gegeben hat, ohne die Hamas-Regierung in Ramallah zu konsultieren. Auch die Äußerung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Nasser Schaer lässt darauf auf ein zunehmendes Zerwürfnis schließen: "Wir fordern einen sofortigen Abbruch der Invasion und dringen darauf, dass das Leben des Soldaten geschont wird", sagte er an Israel und an die Geiselnehmer gerichtet.

Dass die Hamas vor einer Spaltung steht, hält der Nahost-Kenner Christoph Moosbauer für nicht unwahrscheinlich. "Die politische Führung in Ramallah scheint zu merken, dass eine Regierungsarbeit ohne Kompromisse kaum möglich ist." Und auch Israel käme eine Spaltung der radikalen Organisation nicht ungelegen, würde sie die Chance bieten, die zersplitterten und verfeindeten Gruppen in Palästina in nur noch zwei Lager aufzuteilen - in gemäßigt-politische und das gewaltbereit-militärische.

Olmert spricht von Kollektivbestrafung

Für die aktuelle Offensive der Israelis fehlt allerdings auch den gemäßigten Führern wie Mahmud Abbas das Verständnis. Zwar setzt sich der Palästinenserpräsident dafür ein, die Geisel wieder freizulassen, den Einmarsch im Gaza-Streifen und die Zerstörung des E-Werks aber bezeichnet er als "Bestrafung des palästinensischen Volkes". In einer Stellungnahme seines Büros heißt es, er sehe die Militäraktion als "Aggression gegen zivile Ziele und Infrastruktur, als kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Zudem appelliert er an die internationale Gemeinschaft, Israel zu einer raschen Beendigung der Offensive zu drängen.

Nach ersten Schadensberichten könnten wegen des zerstörten Kraftwerks Teile des Gazastreifens bis sechs Monate ohne Strom sein. Durch die Abriegelung sind zudem weder Lebensmittel- noch Benzinlieferungen in das Gebiet möglich. Die Regierung versetzte alle Krankenhäuser und ambulanten Rettungsdienste in Alarmbereitschaft, warnte aber davor, dass auch die medizinischen Materialien schnell knapp werden könnten.

nk mit DPA/AP/Reuters AP Reuters

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