Einschnitt Die Politik des Alleingangs schafft neue Risiken

Ein Krieg gegen den Irak hat die Welt schon verändert, bevor er wirklich begonnen hat. Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Kluft zwischen den USA und den europäischen Verbündeten noch nie so gewaltig.

Ein Krieg gegen den Irak hat die Welt schon verändert, bevor er wirklich begonnen hat. Nach dem Ende des Kalten Krieges, symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer 1989, und dem damit verbundenen Verschwinden der Sowjetunion als zweiter Weltmacht zeigen die USA unter Präsident George W. Bush nun, dass sie tun, was sie für richtig halten. Notfalls ganz alleine. «Sind die Kosten des Krieges gerechtfertigt?» fragt Stanley Hoffman, Europafachmann im Lehrkörper der Harvard University, etwas entsetzt im «Boston Globe»: Ihn beunruhigt vor allem die dramatische Entfremdung zwischen Washington und wichtigen europäischen Partnern wie Deutschland und Frankreich.

Und Klaus-Dieter Schwarz von der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Experte für Sicherheitspolitik der USA, hält es für möglich, dass die USA zwar den Krieg gegen den Irak gewinnen, jenen gegen den Terrorismus aber verlieren: «Alleingänge sind nicht dazu angetan, die internationale Kooperation zu fördern, Koalitionen zu bilden beziehungsweise die Anti-Terror- Allianz zusammenzuhalten», schreibt Schwarz in einer Analyse der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA. Zum Thema Alleingänge war Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schon im Februar eingefallen: Im Kern gehe die Frage um Krieg und Frieden darum, ob nur noch eine einzige Macht auf der Welt das Sagen habe oder ob die Welt multipolar bleibe, also nicht nur vom Gutdünken der einzigen Supermacht USA abhängig sei.

In den schlechten alten Zeiten garantierte das Abschreckungsverhältnis zwischen den Supermächten ein Gleichgewicht der Interessen. Das ist nun vorbei - und die Welt nimmt zur Kenntnis, dass sie dem Krieg näher ist als oftmals während des Kalten Krieges. Vor allem die «Schurkenstaaten» profitieren nach Ansicht von Schwarz vom Wegfall der alten Feindbilder: «Es fehlt die Disziplin der bipolaren Struktur, die im Kalten Krieg den Zugang zu Massenvernichtungswaffen verhinderte oder erschwerte. Regionale Herausforderer lassen die Risikoscheu vermissen, die das Verhalten der Supermächte im Gleichgewicht des Schreckens bestimmte.»

Europäische Kritiker halten Bush vor, eine «monopolare» Welt zu wollen, eine, in der sich alles nach den Interessen der USA zu richten hat. Schließlich hat die Regierung von Bush jr., der während des Wahlkampfes noch «Bescheidenheit» in der Außenpolitik predigte, ein Jahr nach den Terrorangriffen auf die USA vom 11. September 2001 eine neue Nationale Sicherheitsstrategie proklamiert, mit der die Karten im Poker der Machtpolitik neu gemischt wurden. Darin nehmen die USA das Recht vorbeugender Kriegführung zur Abwehr von Bedrohungen durch Terrorismus und Massenvernichtungswaffen in den Händen von «Schurkenstaaten» für sich in Anspruch. Im Klartext: «Während sich die Vereinigten Staaten ständig um Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bemühen werden, werden wir nicht zögern, notfalls allein zu handeln, um unser Recht auf Selbstverteidigung präemptiv (Anm.: also bei unmittelbar bevorstehender Gefahr eines Angriffs) gegen Terroristen auszuüben.»

«Einige der schlimmsten Ängste über George Bushs Amerika wurden bestätigt», schreibt die «New York Times». «Nämlich dass, wenn sich die Vereinten Nationen nicht fügen und die Verbündeten nicht mitmachen, Bush einfach alles alleine macht und den Abzug betätigt.» Hoffman: «Es gibt in der UN-Charta keinen Platz für die Präsidenten-Doktrin der Prävention, für vorweggenommene Selbstverteidigung.»

«Wir wollen nicht für eine (amerikanische) Außenpolitik verhaftet werden, die wir nicht mitbestimmen können», sagt ein erfahrener deutscher Diplomat in Berlin. «Kein Gegenpol, nur eine Art Widerlager» wolle Deutschland gemeinsam mit Frankreich sein. Und: Auch wenn das Ziel wohl richtig sei, dann sei es von der Bundesregierung mit unnötigen Vorfestlegungen aus Wahlkampfgründen, mit denen sich Berlin aus dem politischen Dialog katapultierte, schon sehr stümperhaft ins Werk gesetzt worden. «Aber das ist auch eine völlig neue Situation, da macht man halt Fehler.»

Politische Wissenschaftler rund um den Globus treibt nun die Frage um, ob der angeblich präemptive oder präventive Krieg gegen den Irak nicht Schule machen könnte: Warum nicht die Inder in Kaschmir, warum nicht die Chinesen in Taiwan, warum nicht die Russen in Georgien? Schwarz: «Die Souveränität der Staaten stünde zur Disposition, wenn sich der Regimewechsel als Ziel militärischer Intervention durchsetzt.» Und der Krieg könnte die Weiterverbreitung tödlicher Waffen sogar fördern: «Denn Problemstaaten dürften aus dem Präventivschlag die Lehre ziehen, dass es nur ein Mittel gibt, um die überragende Militärmacht der USA herauszufordern: Massenvernichtungswaffen.»

Dieter Ebeling