Das Flüchtlingsdrama auf der italienischen Insel Lampedusa entwickelt sich zu einer humanitären Katastrophe. Mehr als 5000 Tunesier waren in den vergangenen fünf Tagen vor der unruhigen Situation in ihrem Heimatland hierher geflohen. Laut Medienberichten befanden sich am Montag immer noch mehr als 2200 Bootsflüchtlinge auf der nur 20 Quadratkilometer großen Insel. Die ersten Flüchtlinge seien am Vormittag per Fähre nach Sizilien verlegt worden, hieß es.
"Wir können alle Immigranten in Sizilien aufnehmen", beurteilte der Präfekt von Palermo, Giuseppe Caruso, am Montag die Situation. Zur Not könnten Zeltlager errichtet werden, wie es etwa nach Naturkatastrophen wie Erdbeben üblich sei. Caruso war die Federführung im aktuellen Flüchtlingsproblem übertragen worden.
Der Strom ebbt nicht ab
Angesichts des Zustroms hatte die Regierung schon am Samstag den humanitären Notstand für Lampedusa ausgerufen. Am Sonntag genehmigte sie die Wiedereröffnung des Hauptflüchtlingslagers auf der Insel. Mit mehr als 2000 dort untergebrachten Tunesiern ist es allerdings hoffnungslos überbelegt. Offiziell finden dort lediglich 800 Menschen Platz.
Allein seit Samstag sind jedoch knapp 1600 Flüchtlinge in rund 20 Schiffen auf Lampedusa angekommen. Und es werden immer mehr: Am Montagmorgen wurde ein weiteres Boot mit Kurs auf die Insel gesichtet. Wegen der guten Witterungsverhältnisse fürchten die Behörden, dass weitere verzweifelte Flüchtlinge die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer antreten. Lampedusa liegt nur 150 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt.
Mißfelder gegen Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland
Am Montagvormittag traf die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zu einem bereits länger geplanten Besuch in Tunis ein. Im offiziellen Auftrag der 27 Mitgliedsstaaten soll sie ausloten, wie die versprochene Hilfe beim demokratischen Wandel konkret aussehen könnte. Es wurde erwartet, dass Ashton in Gesprächen mit Vertretern der Übergangsregierung auch die Flüchtlingsproblematik anspricht.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziére
Tunesien lehnt Polizisten aus Italien ab
Die tunesische Übergangsregierung schloss inzwischen den von Rom angebotenen Einsatz italienischer Beamter an der tunesischen Grenze aus. "Tunesien lehnt kategorisch jede Einmischung in seine inneren Angelegenheit ab", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur TAP einen Sprecher des Außenministeriums in Tunis. Man sei jedoch bereit, mit befreundeten Staaten zusammenzuarbeiten, um angemessene Lösungen für das Phänomen der illegalen Migration zu finden.
Der italienische Innenminister Roberto Maroni hatte zuvor angeboten, dass italienische Einsatzkräfte vor der nordafrikanischen Küste aktiv werden könnten, um den seit Tagen anhaltenden "biblischen Exodus" einzudämmen. Er äußerte sich zudem empört, dass die neue tunesische Regierung sich offenbar nicht mehr an das bilaterale Abkommen zur Begrenzung von Flüchtlingsströmen halte.
Hintergrund des Flüchtlingsstroms aus Tunesien ist der nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali vernachlässigte Grenzschutz im Land. Zahlreiche Menschen, vor allem Arbeitslose, sehen nun die Chance, in Europa ihr Glück zu suchen.
Bei der letzten großen Flüchtlingswelle aus Nordafrika nach Italien waren zwischen Juli 2008 bis Juli 2009 mehr als 20.000 Bootsflüchtlinge allein auf Lampedusa angekommen.