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Luftwaffenstützpunkt Saki Explosionen auf der Krim – was Kiew und Moskau zu den Vorfällen auf der Luftwaffenbasis sagen

Rauchwolke über der Krim
Das von der russischen Staatsagentur Tass veröffentlichte Foto zeigt eine Rauchwolke bei Nowofjodorowka auf der Krim
© Mulch / Tass / Action Press
Wer ist für die schweren Explosionen auf der Krim verantwortlich? Die Erklärungen für die Vorfälle auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Saki reichen von laxem Brandschutz über einen Partisanenanschlag bis hin zu einem möglichen neuen Waffensystem. Fakt ist: Die Ukraine weiß die Verwirrung zu nutzen.

Nach den gewaltigen Explosionen auf der russischen Luftwaffenbasis Saki auf der seit 2014 annektierten Halbinsel Krim rätselt die Welt über die Ursachen. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, die Explosionspilze und dunkle Rauchwolken zeigen. Die Bilder sollen nahe des Dorfes Nowofjodorowka aufgenommen worden sein, nicht weit vom Seebad Jewpatorija. Doch geben die Bilder letztlich keinen Aufschluss, was genau passiert ist. Versuch einer Rekonstruktion samt möglichen Erklärungen.

Was ist genau passiert?

Am Dienstagnachmittag ereigneten sich auf dem Gelände des Militärflugplatzes Saki nahe Nowofjodorowka mehrere zum Teil heftige Explosionen. Auf Twitter-Videos sind zwei besonders große Explosionspilze zu sehen sowie diverse kleinere Rauchwolken. Die Rede ist von bis zu zwölf Detonationen.

Nun sind Explosionen in einem Krieg nichts Ungewöhnliches. Speziell ist allerdings der Ort: Die Luftwaffenbasis befindet sich rund 220 bis 240 Kilometer vom Frontverlauf entfernt und liegt damit eigentlich außerhalb der Reichweite aller bisher bekannten ukrainischen Waffensysteme.

Auf Saki, rund 70 Kilometer nördlich von Sewastopol, hatte Russland taktische Bomber vom Typ Suchoi Su-24 und Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Suchoi Su-30 stationiert. Von der Basis aus wurden viele Angriffe auf Ziele im Süden der Ukraine geflogen. In den Twitter-Videos sind zahlreiche ausgebrannte Autos zu sehen und auch eine zerstörte Su-24.

Was sagen die Russen?

In einer ersten Erklärung von Seiten des russischen Militärs hieß es zunächst, dass niemand bei den Explosionen zu Schaden gekommen sei. Der Stützpunkt sei weder beschossen noch bombardiert worden. Ursache sei vielmehr der Brand in einem Munitionsdepot. Später korrigierte der Gouverneur der Krim-Verwaltung, Sergej Aksjonow, die Opfer-Angaben und sprach von einem Toten und neun Verletzten, darunter zwei Kinder. Von zerstörten Flugzeugen war nicht die Rede. Eine Quelle im russischen Verteidigungsministerium nannte einen Verstoß gegen Brandschutzregeln als wahrscheinlichste Ursache für die Explosionen. "Es gibt keine Anzeichen, Beweise oder gar Fakten, dass die Munition vorsätzlich zur Explosion gebracht wurde." 

Was sagen die Ukrainer?

Auffällig: Offizielle Stellen der Ukraine hielten sich mit einer Einordnung der Ereignisse zunächst zurück. Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte, es könne nichts zur Ursache sagen. Später sorgte ein Tweet von Präsidentenberater Mychajlo Podoljak für Irritationen, der einen gewissen Interpretationsspielraum ließ. "Das ist erst der Anfang", twitterte Podoljak. Die Krim habe eine Zukunft als Reiseparadies ohne russische Besetzung vor sich. Als Podoljak jedoch danach vom unabhängigen Fernsehsender Doschd gefragt wurde, ob Kiew die Verantwortung für die Ereignisse trage, antwortete er: "Natürlich nicht! Was haben wir damit zu tun?"

Allerdings ließ es sich die ukrainische Luftwaffe nicht nehmen, die möglichen russischen Verluste zu benennen. Es seien mindestens zehn Flugzeuge zerstört worden. "Nach der Explosion, die wir gesehen haben, ist klar, dass das Kontingent der Luftwaffe getroffen wurde", sagte der Sprecher des ukrainischen Luftwaffenstabs, Juri Ihnat, am Mittwoch im Fernsehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenkskyj nutzte die Ereignisse auf der Krim, um seinen Landsleuten in seiner abendlichen Videobotschaft die Heimholung der annektierten Halbinsel zu versprechen: "Die Schwarzmeerregion kann nicht sicher sein, solange die Krim besetzt ist", erklärte er. "Dieser russische Krieg gegen die Ukraine, gegen das ganze freie Europa, hat mit der Krim begonnen und muss mit der Krim enden, mit ihrer Befreiung."

Weitaus interessanter jedoch ist, was ein namentlich nicht genannter ranghoher Militär der "New York Times" berichtete: Ursache für die Detonationen auf der Luftwaffenbasis sei tatsächlich ein Angriff der ukrainischen Armee gewesen. Dabei sei eine von der Ukraine entwickelte neue Waffe eingesetzt worden. Zudem hätten auch Partisanen, die loyal zur Ukraine stehen, eine Rolle bei der Attacke gespielt.

Auch Selenskyjs Berater Olexij Arestowytsch sprach inoffiziell von einem Angriff mit einer neuen ukrainischen Waffe, "während die Partner uns noch keine weitreichenden Raketen schicken". Die ukrainische Rüstungsindustrie mache Fortschritte. Auch Arestowytsch erwähnte den möglichen Einsatz von Partisanen.

Was spricht für die Version eines Angriffs – und was dagegen?

Eine Einschätzung, was genau auf Saki passiert ist, fällt selbst Militärfachleuten schwer. Bei ZDF heute analysiert Militärexperte Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Auf den Videos sind mehrere Explosionen in kurzer Reihenfolge zu sehen. Es soll zwölf Detonationen innerhalb einer Minute gegeben haben." Die Explosionswolken lägen mehrere Hundert Meter auseinander. "Dass über große Entfernung fast gleichzeitig zwölf Behälter oder Bunker für Munition in Sekundenabständen hochgehen, das spricht für einen organisierten Angriff", sagt Richter.

Bundeswehrgeneral a.D Eugen Rams hingegen sagt in der "Welt": "Einen Beschuss sehe ich darin noch nicht". Rams weist darauf hin, dass die Ukraine über kein bekanntes Waffensystem dieser Reichweite verfüge. Auch an einen Sabotageakt auf der Krim mag Rams nicht glauben, schließlich stünde das Gebiet seit acht Jahren unter russischer Kontrolle.

Auch Wolfgang Richter hält Sabotage oder eine Kommandoaktion der ukrainischen Streitkräfte auf der Krim für unwahrscheinlich. Genauso wie den Einsatz von Kampfflugzeugen oder Drohnen. Ein Angriff mit zwölf Detonationen dieser Größe würde eine größere Zahl an Flugzeugen oder Drohnen erfordern. "Das wäre ein großer Luftangriff und eher unwahrscheinlich. Selbst mit Luft-Boden-Raketen müssten die Flugzeuge auf etwa 100 Kilometer an das Ziel auf der Krim heranfliegen. Das hätte die russische Flugabwehr mitbekommen", so Richter bei ZDF heute

Welche Waffensysteme kommen infrage

Die Luftwaffenbasis ist zwischen 220 und 240 Kilometer von der Front entfernt. Theoretisch verfügen die von den USA an die Ukraine gelieferten Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars über Munition dieser Reichweite. Allerdings haben die USA eine Lieferung dieses Munitionstyps bislang kategorisch ausgeschlossen, um zu vermeiden, dass die Ukraine von ihren Stellungen aus auf russisches Territorium feuert. Eine Lieferung von Himars-Raketen größerer Reichweite wäre eine völlig neue Wendung und Eskalation. Kaum vorstellbar, angesichts der Strategie der Nato, sich nicht aktiv in den Konflikt hineinziehen zu lassen.

Im Fokus der Militärexperten stehen deshalb vor allem Boden-Boden-Rakteten. Laut Militärexperte Richter arbeitet die Ukraine an einem Nachfolger ihres bekannten Totschka-Systems namens Grom-2 mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern. "Ich will nicht ausschließen, dass die Grom-2 nun im Einsatz ist", mutmaßt Richter im ZDF. Ins Spiel bringt er ebenfalls das eigentlich gegen Schiffe gerichtete Neptun-Raketensystem. "Diese Raketen haben die passende Reichweite, sind ausreichend genau und fliegen niedrig, sind also schwer zu erkennen", so Richter.

Wer hat Recht? Was ist nun tatsächlich passiert?

Letztlich lässt sich das aus den vorliegenden Angaben nicht komplett schließen. Der viel beschworene Nebel des Krieges, der oft genug von beiden Seiten auch mit widersprüchlichen Angaben verdichtet wird, sorgt derzeit noch dafür, dass das Bild der Ereignisse diffus bleibt. Die Militärexperten des US-amerikanischen Institute for the Study of War lassen sich immerhin zu der bemerkenswerten Deutung hinreißen, dass die russische Führung einen ukrainischen Angriff aus Imagegründen nicht eingestehen wolle. Denn dann würde Moskau einräumen müssen, dass seine Luftabwehr versagt habe.

Ein ähnliches Katz-und-Maus-Spiel über die Deutungshoheit hatte es zuletzt im April beim Untergang der "Moskwa" gegeben, dem Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte. Die Ukraine beanspruchte eine Versenkung der "Moskwa" durch einen Raketenangriff für sich, während Russland davon sprach, dass ein Feuer an Bord ausgebrochen sei, was letztlich zum Untergang geführt habe.

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