Ohne Waffenlieferungen aus dem Westen kann die Ukraine nicht bestehen. Das war schon zu Beginn des Krieges so, als Tausende von Panzerbekämpfungsmitteln von avancierten Systemen wie der Javelin bis hin zur soliden Panzerfaust den russischen Vormarsch stoppten (Panzerfaust 3 – so viel nutzt die Bundeswehrwaffe der ukrainischen Armee). Und heute gilt jetzt umso mehr. Ein ausgewachsenen konventioneller Bodenkrieg wie in der Ukraine nutzt das eingesetzte Material kontinuierlich ab. Von den Truppentransportern, Haubitzen, Raketenwerfern und Kampfpanzern, mit denen die ukrainischen Streitkräfte Ende Februar in den Krieg gezogen sind, ist heute der größere Teil vernichtet oder defekt. Der Bestand kann nur durch Zulieferungen aus dem Westen gehalten oder gar verbessert werden.
Gamechanger in der Ukraine
Doch neben dem Standard-Material liefert der Westen auch hochmoderne Waffen, die zum Gamechanger werden können. Angekündigt sind modernste Systeme zur Luftverteidigung, bereits im Land ist moderne Artillerie wie das Caesar-System aus Frankreich und die Mehrfachraketenwerfer M142 High Mobility Artillery Rocket Systems – Himars – aus den USA ( US-Raketenwerfer M142 HIMARS kann Putins Artillerie ausschalten). Sie sind mit Abstand das mächtigste Waffensystem aus dem Westen. Im Vergleich zu den altmodischen Mehrfachraketenwerfern aus dem Kalten Krieg und im Falle Russlands aus der UdSSR haben ihre Raketen eine weit größere Reichweite und eine Präzision, die es möglich macht, auch Punktziele anzugreifen. Im Zielgebiet können die Werfer, wenn gewünscht, auch eine große Fläche zerstören, weil sie je Starter in einer Salve ein ganzes Bündel von Raketen auf die Reise schicken können.
Im Prinzip sind die Himars-Werfer für viele Einsätze geeignet. Im Falle der Ukraine verengt sich das Spektrum, weil Kiew nur sehr wenige Werfer erhält und diese kostbaren Waffen nicht riskieren kann. Schon einer der ersten Angriffe zeigte die Fähigkeit der Waffe. Kiew verbreitete ein Video, das den Abschuss auf einem Autobahnabschnitt zeigte. Damit wurde die Fähigkeit demonstriert, sehr schnell zu einem Abschuss zu kommen und die Waffe ebenso schnell wieder zu verlagern. Vor allem aber war das Ziel interessant. Am gleichen Tag wurde ein massiver Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt bei Melitopol gemeldet, das ist etwa 80 Kilometer von der Front entfernt. Kiew kann mit diesen Waffen russische Stützpunkte weit im Hinterland angreifen. Damit soll und kann das Übergewicht der schweren russischen Artillerie überwunden werden. Und zwar nicht, indem einzelne Waffen angegriffen werden, sondern indem dem die Zufuhr der Munition unterbunden wird. Primäres Ziel sind daher Depots, aber auch Angriffe auf Eisenbahnlinien würden sich anbieten.
Angriff auf den Nachschub
Jeden Tag greift die Ukraine nun Munitionslager und Bahnhöfe an. Andriy Zagorodnyuk, ehemaliger ukrainischer Verteidigungsminister, sagte zum "Telegraph": "Es ist eine hervorragende Ausrüstung. Wir können tief an die Front vordringen. Aber die kurze Antwort lautet: Nein, es ist absolut nicht genug. Wir brauchen Dutzende von ihnen. Hätten wir mehr, würden wir ihre Ausrüstung, ihre eigenen Artillerieeinheiten und ihre eigenen Mehrfachraketenabschussrampen angreifen - und dann wären wir in der Lage, die Offensive zu stoppen und zweitens die Dynamik zurückzubringen und mit ihrem Abzug zu beginnen. Das war die Idee."
Wie wird Russland reagieren?
Ob es ausreicht, die Munitionslager anzugreifen, wird sich zeigen. Wenn auch die Angriffe in der ersten Woche Erfolge hatten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Gegner Gegenmaßnahmen ergreift. Am einfachsten wäre es, die Lager über große Flächen zu streuen. Offen ist, ob es den Russen gelingt, nicht nur die Auswirkungen der Einschläge zu begrenzen, sondern aktiv gegen die Himars vorzugehen. Schon in den letzten Wochen zeigte sich, dass die Drohnen der Ukraine deutlich an Wirksamkeit eingebüßt haben. Trafen sie in den ersten Kriegswochen auf einen vollkommen überraschten Gegner, haben die Russen ihre Front inzwischen mit einer dichten und wirksamen Luftverteidigung versehen, was zumindest den Einsatz der großen Kampfdrohnen sehr erschwert.
Gegen kleinere Drohnen wurden in den letzten Tagen tragbare elektronische Störkanonen ins Frontgebiet gebracht. Im Falle der Himars müssten die russischen Streitkräfte den Standort beim Abschuss sehr schnell ausmachen und praktisch sofort zuschlagen, weil die Werfer sehr schnell verlagern können. Die Schwachstelle der Raketenwerfer sind die Unterschlüpfe, die sie zur Tarnung nutzen. Wenn sie nicht im Einsatz sind, können Werfer und andere Waffen in jeder größeren Halle abgestellt werden. Dort sind sie vor der Entdeckung aus der Luft und aus dem All sicher, doch können sie auf dem Weg dorthin aufgespürt werden. Gefahr droht auch von pro-russischen Kollaborateuren. Denn die Hallentarnung hat den Nachteil, dass alle Anwohner das Kommen und Gehen der auffälligen Fahrzeuge bemerken werden.