Krieg in der Ukraine Blutig und langsam – doch nach der Wagner-Meuterei kommt die ukrainische Offensive jetzt voran

Ukrainische Soldaten neben einem gepanzerten Transporter.
Ukrainische Soldaten neben einem gepanzerten Transporter.
© Alex Babenko / DPA
Nach blutigen Kämpfen rücken die Ukrainer auf die russische Hauptverteidigungslinie vor. Der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj erklärte, warum es so langsam voran geht und warum Kiew jetzt dringend US-Kampfjets vom Typ F-16 benötigt.

Der Beginn der ukrainischen Bodenoffensive verlief enttäuschend. Anstatt des erwarteten "Durchbruchs" erlitten die ukrainischen Truppen schwer Verluste. Insbesondere der Einsatz von westlichen Schützenpanzern (Bradley) und schweren Kampfpanzern (Leopard 2) führte nicht zu einer Demonstration der Überlegenheit des westlichen Geräts, das Trümmerfeld der zusammengeschossenen Fahrzeuge zerstörte diesen Mythos.

Der Ukraine gelangen einige Gewinne, meist Felder in der sogenannten Grauzone und die Befreiung von einigen Siedlungen, meist so klein, dass man sie kaum ein Dorf nennen kann. Doch neben den einzelnen Erfolgen überwogen andere Nachrichten. Viele Angriffe blieben unter Verlusten liegen, häufig konnten die Russen die Ukrainer im Gegenangriff wieder vertreiben. Doch in der vergangenen Woche änderte sich das Bild. An einigen Stellen mussten die Russen dem stetigen Druck der Ukrainer nachgeben. Hier vertiefen sich die Geländegewinne und es ist nicht zu befürchten, dass Kiews Soldaten zurückgeworfen werden, es ist eher anzunehmen, dass sie die Russen weiter zurückdrängen werden. Auch wenn es sich nicht um den strahlenden Durchmarsch handelt, der zuvor gern und in bunten Farben ausgemalt worden ist, sind das hoffnungsvolle Perspektiven.

Bleibende Einrüche 

Drei Zonen sind besonders interessant. An der zerstörten Antoniwkabrücke bei Cherson setzten ukrainische Truppen über den Dnjepr und konnten einen kleinen Brückenkopf bilden. Das Gelände ist für einen Brückenkopf gut geeignet. Entlang des Ufers befindet sich eine schmal bebaute Zone, doch hin zu den von Russen kontrollierten Gebieten schließen sich Wasserflächen und sumpfige Gegenden an. Dort wurden die ukrainischen Truppen von den Russen attackiert. Aber auch Iskander-Raketen und die gefürchteten Tos-1a Raketenwerfer konnten sie nicht vertreiben.

Die Ukrainer konnten die russischen Bodentruppen, die den östlichen Teil dieser Siedlung halten, allerdings auch nicht in die Flucht schlagen. Dennoch ist das ein klarer Erfolg für Kiew, allein weil es Moskau zwingt hier und an anderen Stellen militärische Ressourcen bereitzuhalten, die an den entscheidenden Frontabschnitten fehlen.

Südlich von Mala Tokmatschka konnten die Ukrainer sich näher an die russischen Stellungen in Robotyne heranarbeiten, und sich in den Waldstücken des Naturschutzgebietes Balka Uspenivsʹka fetsetzen (Alle Namen folgen der Schreibweise auf Google Maps).

Südlich von Vremevka konnten die Ukrainer das "Örtchen" Rivnopil einnehmen. Rivnopil besteht aus einer Baumgruppe entlang einer Straße und einigen Häuschen. Dieser Ort deckte die russischen Stellungen oberhalb des Mokri Valy River. Den Russen gelang es nicht Rivnopil zurückzuerobern, die Ukrainer konnten sie weiter abdrängen. Nun versuchen sie auf das Dorf Pryjutnen und entlang des Flusses auf Staromlyniwka zu marschieren. Erobert Kiew den Ort Staromlyniwka ist die gesamte derzeitige russische Front dort vor der Hauptverteidigungslinie auf Dauer nicht zu halten.

Erfolge bei Bachmut

Und auch bei Bachmut gelangen den Ukrainern wichtige Eroberungen. Südlich der Stadt konnten sie mit einzelnen Panzern einen Kanal überqueren. Dort trennen sie nur noch wenige hundert Meter von dem Ort Klischtschijiwka. Der Ort selbst liegt in einer Senke und ist schwer zu verteidigen. Wenn die Russen aus dem höher gelegenen befestigten Waldstück vertrieben werden, besteht die Chance die Hauptstraße TO513 zu erreichen und so Bachmut an einer Flanke zu umgehen.

Nördlich von Bachmut konnten sich die Ukrainer östlich von Orikhovo-Vasylivka weiter voran arbeiten. Etwas weiter südlich lagen die Ukrainer lange an einem Staubecken fest, konnten dort aber nun weiter vorrücken. Hier ist es das Ziel, den bereits angenagten russischen Frontvorsprung entlang der Autobahn M03 abzuschneiden. Die Russen stehen vor der Situation, dass zumindest perspektivisch die ganze Stadt Bachmut bedroht wird. An diesem Frontabschnitt wurden die Wagner-Söldner abgezogen, und teilweise durch Reservisten ersetzt, die diesen Kämpfen auf Dauer nicht gewachsen sind. 

Man darf aber nicht in allzu großem Jubel verfallen. Noch sind die Gewinne gering, alle Kämpfe finden in einem Vorpostengebiet statt. Dazu eine Erklärung: Zwischen den ersten Posten beider Seiten liegt eine Grauzone, in der niemand dauerhafte Stellungen hat. Diese Zone kann mehrere Kilometer breit sein, oder auch nur 1000 Meter. Dann folgen einfache Stellungen, dazwischen befestigte Strongholds und ähnliches in mehreren Linien – das Gebiet der Vorposten. In dieser Zone bewegen sich die ukrainischen Einbrüche. Erst danach kommt die erste stark befestigte Hauptverteidigungslinie der Russen. Bei Mala Tokmatschka liegen immer noch zwei bis fünf Kilometer zwischen den Spitzen der ukrainischen Verbände und dieser Linie.

Ukrainischer Oberkommandierende zur stockenden Offensive 

Sowohl der US Generalstabschef Milley wie auch der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj betonten, dass die ukrainischen Truppen jeden Tag vorankommen würden, mal ein paar hundert Meter, mal auch zwei Kilometer. Diese Äußerung will jedoch richtig verstanden werden. Sie bedeutet nicht, dass die Russen entlang der Frontlinie jeden Tag zurückgedrängt werden. Es heißt: Jeden Tag gelingen den Ukrainern an einigen Stellen der Front Vorstöße, aber keineswegs an allen Stellen und es ist auch nicht so, dass sich die Gewinne an einem Ort jeden Tag erneuern und so addieren. In Wirklichkeit geht es viel mühsamer voran.

Über die stockende Offensive sprach Saluschnyj mit der "Washington Times". In dem Interview verlangte er vor allem die Lieferung von modernen US-Kampfjets vom Typ F-16. Kiews alte Sowjet-Jets können sich nicht in Frontnähe bewegen, weil die Su-35-Kampfjets mit ihrer Reichweite von Radar und Luft-Luftraketen ins Visier nehmen. "Ich brauche keine 120 Flugzeuge. Eine sehr begrenzte Anzahl würde ausreichen. Aber sie werden gebraucht. Weil es keinen anderen Weg gibt. Weil der Feind eine andere Generation von Flugzeugen einsetzt. Es ist, als würden wir jetzt mit Pfeil und Bogen in die Offensive gehen."

Dauerproblem Artillerie 

Ein weiteres Problem ist die Unterlegenheit der Ukraine bei der Artillerie. Saluschnyj sprach davon, dass Russland jeden Tag zehnmal mehr Granaten einsetzen kann als Kiew und forderte entsprechende Lieferungen aus dem Westen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte allerdings Anfang des Jahres, dass bereits der derzeitige Munitionsverbrauch der Ukraine um ein Vielfaches höher sei als Produktionsrate der Nato-Länder. Die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte geschieht also aus den Vorräten der Magazine, die sich leeren. Dieses Problem wird sich nur lösen lassen, wenn der Westen in einer Art von partieller Kriegswirtschaft übergeht. Alle Prognosen, dass Putin Drohnen, Raketen oder Granaten ausgehen werden, haben sich bisher nicht bewarheitet. Es ist offenbar möglich, die westlichen Sanktionen zu umgehen und selbst Einwegwaffen wie die Lancet Drohnen mit Chips zu versehen. Dazu erhalten die russischen Streitkräfte im großen Maßstab "zivile" chinesische Drohnen und vor kurzem wurde erstmals iranisch Artilleriemunition in der Ukraine gesichtet.

Quelle: WaPo

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