Sakrale Musik ertönte in der Innenstadt von Perpignan, wo die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen am Donnerstag ihren Wahlkampf beschloss. Es ist die größte Stadt in der Hand der Rechtspopulisten. Le Pens Ex-Lebenspartner Louis Aliot ist hier Bürgermeister, die Stadt bereitet sich gerade auf eine Karfreitagsprozession vor, daher die Musik. In der Kongresshalle hingegen dröhnten Dorffest-Hits. Le Pen war sichtlich in Siegerlaune.
"Niemals war der Wechsel greifbarer als jetzt", rief sie den Anhängern ihrer Partei Rassemblement National zu, die Frankreich-Fahnen schwenkten und "Marine – Präsidentin" skandierten. "Echte Patrioten enthalten sich nicht der Stimme", betonte sie und beschwor ihre Anhänger, am Sonntag zur Wahl zu gehen. "Gewinnt die Kontrolle zurück", mahnte sie.
Sie wolle das Volk und seinen Willen ins Zentrum ihrer Politik rücken, sagte Le Pen bei ihrem letzten Auftritt vor dem ersten Wahlgang am Sonntag. Brüssel und Berlin sollten weniger Macht in Frankreich ausüben. Franzosen sollten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt Vorrang vor Ausländern erhalten. "Die Franzosen sind die Herren bei sich", sagte Le Pen und stellte eine restriktive Migrationspolitik und das Abschieben straffällig gewordener Ausländer in Aussicht.
Le Pen schließt in Umfragen zu Macron auf
Umfragen sehen Le Pen als Hauptherausforderin von Staatschef Emmanuel Macron, der für eine zweite Amtszeit kandidiert. Der Abstand zwischen beiden schrumpfte nach jüngsten Daten zusehends. Während der amtierende Präsident am Donnerstag in einer Umfrage von Ipsos-Sopra Steria leicht auf 26,5 Prozent fiel, legte die Rechte Le Pen auf 23 Prozent zu. Auf Rang drei liegt der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon mit 16,5 Prozent.
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Den gleichen Trend wies am Donnerstag eine Ifop-Umfrage aus, die Macron ebenfalls mit leichten Verlusten bei 26,5 Prozent und Le Pen mit Zugewinnen bei 24 Prozent sah. Mélenchon blieb in dieser Umfrage stabil bei 17,5 Prozent.
Nach dem ersten Wahlgang kommt es – sollte Sonntag niemand eine absolute Mehrheit erringen – am 24. April zur Stichwahl. Gewählt wird auf fünf Jahre. Der Sieger – oder die Siegerin – kann Frankreich bis ins Jahr 2027 regieren. Aber wie aussagekräftig sind die aktuellen Umfragewerte? Groß ist die Sorge vor einer Welle an Nichtwählern, was das Ergebnis stark beeinträchtigen könnte. Einerseits zeigen Umfragen seit Monaten eine große Wahlmüdigkeit. Andererseits ist die Bereitschaft zur Wahl radikaler Kandidaten mit 46 Prozent so hoch wie noch nie seit 1965, als Frankreich zum ersten Mal den Präsidenten direkt wählte. Davon scheint Le Pen zu profitieren.
Entscheidet die Wahlbeteiligung?
Die Wahlbeteiligung könnte umso mehr Bedeutung bekommen, weil einige Linke mittlerweile ein erhebliches Problem damit haben dürften, dem Ex-Sozialisten Macron ihre Stimmen zu geben. Denn während der frühere Wirtschaftsminister als "Präsident der Mitte" einst linke und rechte Positionen vereinen wollte, steht er aktuell doch mit konservativen Themen da.
Le Pen warf Macron in Perpignan vor, das Land heruntergewirtschaftet zu haben. Frankreich drohe aus den Geschichtsbüchern zu verschwinden und zu einem Land zu werden, das nicht mehr selber entscheiden könne sondern gehorchen müsse. Wie auch Macron legte Le Pen einen Schwerpunkt auf die Kaufkraftprobleme der Franzosen infolge des Ukraine-Kriegs. Sie versprach Erleichterungen für Benzin, Energiekosten sowie Grundprodukte des täglichen Bedarfs. Tatsächlich ist das Thema in ihrem Wahlkampf präsenter gewesen als die traditionelle Angstmache des Rassemblement National mit Einwanderung und Kriminalität.
Macron profitierte zunächst vom Ukraine-Krieg
Anfang März hatte der Ukraine-Krieg Macron noch um die fünf Punkte Zuwachs in den Umfragen beschert. Meinungsforscher erkannten darin einen Reflex des "Scharens um die Fahne" in unsicheren Zeiten. Die Wahl schien schon gelaufen. Wozu also Wahlkampf machen? Macrons Strategie bestand darin, den Staatsmann zu geben. Nach jedem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gab es plötzlich ausgiebige "briefings" seiner sonst so pressescheuen Berater.
Während Macron von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen eilte und sich von den Alltagssorgen der Franzosen immer weiter entfernte, zog Le Pen durch das Land und lächelte für unzählige Selfie-Fotos. Immer wieder versprach sie, etwas gegen die steigenden Preise zu tun.
"Wahl ist noch nicht gelaufen"
Auch die beiden letzten Wahlkampfauftritte der beiden bestplatzierten Kandidaten unterschieden sich erheblich. Macron ließ in der Paris Défense Arena am vergangenen Samstag vor etwa 30.000 Menschen Feuerfontänen aufsprühen und hielt eine mehr als zwei Stunden dauernde Rede, in der er viele internationale Themen anschnitt.
Bei Le Pen in Perpignan waren zehn Mal weniger Anhänger, aber sie gab sich volksnah und siegessicher. Und sie ließ genüsslich die Pfiffe und Buhrufe des Publikums zu, wann immer sie Macron erwähnte.
Eines verbindet beide Politiker bis zuletzt: die große Sorge, dass ausgerechnet die eigenen Anhänger an den Wahlsonntagen zu Hause bleiben könnten. Darum mahnten beide: "Die Wahl ist noch nicht gelaufen".