Stellen Sie sich vor, es gibt einen G20-Gipfel, und keiner geht hin. So weit ist es zwar längst noch nicht. Aber zwei der mächtigsten Staatschefs werden am Wochenende nicht dabei sein, wenn die Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer im indischen Neu Delhi zu ihrem jährlichen Gipfel zusammenkommt. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte schon im vergangenen Jahr nur wenige Monate nach seinem Befehl zum Einmarsch in die Ukraine beim Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali gefehlt.
Neben ihm bleibt diesmal auch sein engster Verbündeter im Kreis der G20, Chinas Präsident Xi Jinping, dem Gipfel fern. Die Veranstaltung bekommt dadurch deutliche Schlagseite nach Westen. Substanzielle Ergebnisse werden so deutlich schwieriger – nicht nur beim Hauptstreitthema Ukraine-Krieg.
G20-Gipfel in Indien: Hauptstreitthema Ukraine-Krieg
Beim letzten Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali feierte es der Westen noch als Erfolg, dass das von Außenminister Sergej Lawrow vertretene Russland weitgehend isoliert blieb. Damals hatte sich Moskau offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, dass in die Abschlusserklärung der Satz aufgenommen wurde: "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste." Russlands Position wurde damals mit den Worten abgebildet: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen."
Auf solche Formulierungen wollen China und Russland sich jetzt nicht mehr einlassen. Die westlichen Staaten wollen ihrerseits nicht hinter die Erklärung von Bali zurückfallen. In den als äußerst schwierig beschriebenen Verhandlungen vor dem Gipfel in Indien geht es nun um einen neuen Ansatz. In deutschen Regierungskreisen heißt es, man wolle ein Bekenntnis zur "territorialen Integrität aller Staaten" im Abschlussdokument verankern. Mit anderen Worten: Kein Land hat das Recht, die Grenzen eines anderen zu verletzten. In westlicher Lesart wäre das eine verklausulierte Verurteilung des russischen Angriffskriegs.
Klimaschutz wegen Krieg ins Hintertreffen geraten
Der russische Krieg gegen die Ukraine wird nicht das einzige Streitthema in Neu Delhi sein. Vor allem die EU hat sich in den vergangenen Jahren darum bemüht, die G20-Gruppe auch zu einem internationalen Antreiber für mehr Klimaschutz zu machen. Nun räumen Verhandlungsteilnehmer allerdings ein, dass die langwierigen und zähen Diskussionen über den Ukraine-Krieg ganz klar zulasten anderer Themen gehen.
So muss derzeit in den Verhandlungen darum gekämpft werden, bisherige Ziele aufrechtzuerhalten. Dabei geht es beispielsweise darum, ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen und schrittweise den Ausstieg aus einer klimaschädlichen Stromerzeugung mit Kohle zu realisieren.
Zuwachs aus Afrika
Die Afrikanische Union (AU) ist auf Einladung des indischen Regierungschefs Narendra Modi offiziell den G20 beigetreten. "Unter allgemeiner Zustimmung bitte ich den Vorsitzenden der Afrikanischen Union seinen Sitz als permanentes G20-Mitglied einzunehmen", sagte Modi zu Beginn des Gipfels in Neu Delhi am Samstag. Anschließend umarmte er den derzeitigen AU-Vorsitzenden und Präsidenten der Komoren, Azali Assoumani, bevor dieser seinen Platz zwischen den Staats- und Regierungschefs einnahm.
"Indien hat den Vorschlag gemacht, der Afrikanischen Union permanente Mitgliedschaft in den G20 zu geben", sagte Modi. "Ich glaube, dass wir die Zustimmung aller dafür haben", fuhr er fort.
Die Erweiterung der G20 ist ein diplomatischer Sieg für Modi, der den Gipfel nutzt, um sich vor den Wahlen in Indien kommendes Jahr als internationaler Staatsmann zu präsentieren.
Die zehn wichtigsten Dinge rund um den G20-Gipfel in Neu Delhi in Bildern.