Der Rechtspopulist Geert Wilders hat die Wahl in den Niederlanden gewonnen und die Gründe für seinen Sieg sind zunächst einmal auch niederländische. Der 60 Jahre alte Wilders, seit über 25 Jahren Abgeordneter in Den Haag, führte gerade auf den letzten Metern einen außerordentlich geschickten Wahlkampf.
Er, der neben seiner blonden Mähne den Hass auf den Islam zu seinem Markenzeichen gemacht hatte, gab sich dieses Mal deutlicher gemäßigter als in vorherigen Wahlgängen. Sicher, er agitierte weiterhin gegen das Kopftuch, er würde am liebsten die Moscheen im ganzen Land verbieten, aber Wilders verzichtete dieses Mal auf allzu provokante Aktionen.
Die Konkurrenz ließ Wilders walten
Seine linken und bürgerlichen Konkurrenten wiederum schienen nach der langen Amtszeit von Premier Mark Rutte eher gelähmt, ja unterstützten sogar diese Taktik. Dilan Yeşilgöz, die Nachfolgerin von Mark Rutte an der Spitze der Regierungspartei VVD, ließ im Wahlkampf anklingen, dass sie eine Zusammenarbeit mit dem Rechtspopulisten Wilders nicht von vorneherein ausschließen wolle. Zusammen mit Wilders gemäßigten Auftritten, gerade in den entscheidenden Fernsehdebatten, verstanden die Wähler das durchaus als Zeichen: Ja, dieser Wilders, den man jahrzehntelang als Enfant terrible verteufelt hatte, ist jemand, der jetzt wählbar ist.
Noch ist unklar, ob Wilders am Ende tatsächlich eine Regierung wird bilden können, rein rechnerisch wäre auch eine breite Koalition gegen ihn möglich. Sicher ist allerdings: Sein Sieg fügt sich ein in eine Tendenz in Europa. Und bei aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen Wahlen gibt es einen Grund, der die Wähler zu den Rechten treibt: der Unmut über die Migrationspolitik.
So relativ gemäßigt Wilders sich dieses Mal in seinen Angriffen auf den Islam gab, so hart blieb er bei diesem Thema. "Asyltsunami", das war das Schlagwort, mit dem er gepunktet hat. Und eben nicht nur er punktet damit.
Le Pen, Meloni: Die Rechten werden immer stärker
In Frankreich steigt Marine Le Pens Stern seit vielen Jahren stetig, nur das französische Wahlsystem, das System der direkten Wahl des Präsidenten in einer Stichwahl, hat das Land bislang davor bewahrt, eine rechtspopulistische Präsidentin zu bekommen.
Italien wiederum erlebt diese schon. Giorgia Meloni hat die Wahl vor einem Jahr auch mit den Stimmen jener gewonnen, die es nicht mehr hinnehmen wollen, dass Tag für Tag Flüchtlingsboote an den Stränden Kalabriens, Siziliens oder auf Lampedusa anlanden.
In Finnland wiederum sind die "Wahren Finnen" Teil der Regierung, sie bescherten Premier Orpo gleich eine ganze Reihe von Skandalen. Wirtschaftsminister Junnila musste zurücktreten, weil er Sympathien für Neonazis offenbarte, Vize-Regierungschefin Purra konnte mit Blog-Einträgen in Verbindungen gebracht werden, in denen Migranten als "türkische Bettler" verunglimpft werden, die Verfasserin kündigt auch an, sie wolle "in Helsinki auf Bettler spucken."
Victor Orbán in Ungarn reagiert derzeit unangefochten wie selten zuvor. Der Rechtspopulist, der sein Land am liebsten von allen Migranten freihalten würde, von allen Menschen, die nicht in seine Definition eines abendländisch-christlichen Europas passen, muss derzeit keinen Gegner fürchten.
Europäische Abkommen sind gescheitert
Das Scheitern einer einheitlichen, sinnvollen und kohärenten Migrationspolitik in Europa ist der gemeinsame Nenner, der all diesen Rechtsauslegern ihre Erfolge ermöglicht. Italienische Wähler geben ihre Stimme mit dem Gefühl ab, der Norden Europas lasse sie mit den Flüchtlingsbooten allein – während man in den Niederlanden auf den Süden schimpft, auf Länder wie eben Italien, dort würden die Geflüchteten nur gen Norden durchgeschleust.
Das Dublin-Abkommen zur Europäischen Asylpolitik ist gescheitert. Der EU-Türkei-Deal, der von 2016 bis 2020 die Anzahl der Flüchtlinge begrenzte, die über die Türkei nach Griechenland kamen, ist gescheitert. Das jüngste Abkommen mit Tunesien, von Giorgia Meloni angeschoben, verhandelt auch von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen – es ist dabei zu scheitern. Weder sinkt die Anzahl der Geflüchteten signfikant noch achten die Tunesier die Rechte der Migranten vor Ort.
In kaum einem Politikbereich ist die Europäische Union so zerstritten wie in der Migrationspolitik, dabei wäre es gerade auf diesem Feld in einem Europa der offenen Grenzen entscheidend, eine gemeinsame, für die Bürger verständliche Politik zu formulieren.
Derzeit laufen die Verhandlungen für einen neuen EU-Migrationspakt. Belgien, das im kommenden Jahr den Ratsvorsitz übernimmt, ließ verlauten, es wolle alles daran setzen, bis zum Ende seiner Amtszeit im Juni 2024 einen neuen Pakt verabschiedet zu haben – auch, weil Belgiens Regierung selbst überfordert ist mit der stark gestiegenen Zahl der Migranten. Mehr als 1000 Gerichtsurteile musste die Regierung in Brüssel schon deswegen gegen sich kassieren. Vor kurzem setzte der belgische Staatsrat die Entscheidung der Regierung aus, keine alleinstehenden Männer mehr in staatliche Unterkünfte aufzunehmen.
Geert Wilders Wahlsieg in den Niederlanden ist in diesem Prisma nur mehr ein weiterer Etappensieg der Rechten. Sollen darauf nicht noch weitere folgen, auch und gerade in Deutschland, muss Europa, müssen die Mitgliedsstaaten und die EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg, endlich eine klare Migrationspolitik verabschieden. Eine der fairen Lastenverteilung. Eine, die klar benennt, wen man aufnehmen kann und will. Und wen nicht. Wenn bürgerliche, linke und liberale Politiker sich darauf in den kommenden Monaten nicht einigen können, werden es am Ende die ganz Rechten machen.