VG-Wort Pixel

Griechenland vor der Pleite Grexit oder nicht - das muss das Volk entscheiden

Das Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel endete nur mit Floskeln. Griechenland droht weiter eine baldige Zahlungsunfähigkeit. Es hilft nur noch eins: ein Referendum in Griechenland.
Von Andreas Petzold

Heute ist mal wieder Zahltag. 756 Millionen Euro musste Griechenland an den Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington überweisen. Sie haben es wieder hinbekommen. Weil sich die Regierung eines Tricks bedient hat: Laut Nachrichtenagentur Reuters hat Griechenland auf ein Einlagenkonto beim IWF zurückgegriffen, dass fast jedes Land dort für Notfälle unterhält. Es muss jedoch innerhalb von 30 Tagen wieder aufgefüllt werden. 650 Millionen flossen von dem Konto ab. Die übrigen 106 Millionen kamen von einem Konto der griechischen Notenbank.

Dort sammeln sich seit Tagen Millionensummen an, die Kommunen, Pensionsfonds und Städte laut einem Regierungsdekret überweisen müssen. Es sind die Rücklagen der öffentlichen Haushalte. Mal 20 Millionen aus der Matrosen-Kasse, ein paar hundert aus dem grünen Fond des Umweltministeriums oder der Rentenkasse. "Wenn der Staat öffentlich erklärt, dass er in Schwierigkeiten steckt, übergeben wir die Gelder," propagierte Yiannis Boutaris, Chef des Städtetags KEDE, patriotisch und versprach, die Bürgermeister-Gehälter gleich mit zu überweisen.

Griechenland fährt auf Reserve

Das könnte bald nötig sein, denn Griechenland fährt auf Reserve. Übermorgen sind mit knapp einer Milliarde die zweiwöchentlich zu zahlenden Beamtenbezüge fällig. Und am Freitag steht die Umwälzung kurz laufender Staatsanleihen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro an, sie müssen neu auktioniert und zurückbezahlt werden. Ende des Monats fließen erneut Beamtengehälter und Pensionen ab.

Dennoch verharren Tsipras Unterhändler hinter ihren roten Linien. Kürzungen und Reformen in den Bereichen Renten, Arbeitsmarkt und bei manchen Steuerthemen lehnen sie ab. Deshalb war absehbar, dass die Sitzung der Finanzminister der Eurogruppe gestern Abend in Brüssel mit den üblichen Floskeln endete: Ja, es gäbe Fortschritte, aber man sei bei den Kernthemen noch nicht beieinander.

Dass sich die Griechen derart einmauern, hat mit Innenpolitik zu tun. Sollte Tsipras einen Deal mit der Troika, den so genannten "Institutionen", abschließen, würden seine Zugeständnisse vermutlich das Gegenteil davon sein, was er im Wahlkampf versprochen hat: nämlich einen Geldsegen von geschätzten zwölf Milliarden Euro, der vor allem in die Sozialkassen fließen sollte.

Und es geht schließlich nicht nur um den Bruch von Wahlversprechen, sondern um höhere Ziele, um die Verwirklichung einer linksradikalen Gesellschaftspolitik, die Parteichef Tsipras und seine "Syriza" gegen die Geldgeber durchsetzen möchten. Weshalb der Ministerpräsident am Sonntag in einer Kabinettssitzung klar machte, dass ein Deal "nur innerhalb unseres Mandats" (der Wähler, Anm. der Red.) gefunden werden könne. Und: "Wir wollen, dass unsere Fortschritte anerkannt werden."

Rückschritte für die Geldgeber

Damit meinte er wohl auch die Wiedereinstellung der 13.000 vor kurzem entlassenen Staatsdiener - darunter auch die berühmten Putzfrauen aus dem Finanzministerium, was jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag kosten dürfte, die Pensionslasten nicht mitgerechnet. Was für ihn ein Fortschritt ist, bedeutet für die Geldgeber ein Rückschritt. Ganz davon abgesehen, dass Yanis Varoufakis am 20. Februar postalisch versichert hatte, derartige Gesetze vorab mit dem IWF, der EZB, der EU und mit dem EFSF-Vertreter abzustimmen.

Das Ringen um Zahlen und Kommata aber scheint nebensächlich zu sein, was auch Athens Chefunterhändler mit dieser Bemerkung verrät: Alleiniger Grund für die "Verzögerungen bei den Verhandlungen zwischen Regierung und Institutionen sind die politischen Differenzen". So wird es sein. Die einen wollen am liebsten ein anderes Europa, die anderen nur ihr Geld zurück und die Griechen im Euroraum halten.

Zwei Möglichkeiten

Das Politikverständnis beider Seiten liegt so weit auseinander, dass es anscheinend nur zwei Wege gibt: Griechenland stoppt die Mai- und Juni-Zahlungen an den IWF, weil es glaubt, damit Druck auf die Verhandlungspartner aufbauen zu können. Eine verlockende Variante, auch weil die großen Ratingagenturen gerade mitgeteilt haben, dass eine ausbleibende Überweisung an den IWF nicht als Zahlungsunfähigkeit ("Default") gewertet werden würde.

So eine Trotzreaktion favorisieren viele der radikalen "Syriza"-Parlamentarier, die noch linker sind als ihre linke Partei. Ist zwar nicht unbedingt aussichtsreich, aber ganz im Sinne der Wiederherstellung von Würde und Selbstbestimmung der Hellenen. So sehen sie das.

Erinnerung an Peronismus

Variante zwei: das Referendum. Eine Einigung mit der Troika, die immer noch möglich ist, würde dem linken "Syriza"-Flügel vermutlich zu viele Konzessionen abverlangen. Folglich könnte Tsipras einen Deal im Parlament nicht durchsetzen, höchstens mit den Stimmen der Konservativen, was die Regierung zum Platzen bringen würde.

In einem Referendum könnte das Volk abstimmen, ob es bereit wäre, gegen weit reichende Reformzusagen im Euro zu bleiben. Ein "Ja" würde dann zu Neuwahlen führen, denn die Ultras in der "Syriza"-Fraktion würden dennoch ein entsprechendes Gesetz ablehnen. Sie dürften ihrer überkommenen Ideologie treu bleiben, die an den gescheiterten Peronismus der 50er Jahre erinnert.

Ein "Nein" der griechischen Bürger hätte den Abschied vom Euro mit verheerenden wirtschaftlichen Konsequenzen zur Folge. In dieser verfahrenen Lage die Wähler entscheiden zu lassen, ist in jedem Fall der bestmögliche Weg. Denn diese Weichenstellung ist für die Zukunft Griechenland so bedeutsam, dass sie nur der Souverän beschließen sollte - das Volk.

Andreas Petzold ist Herausgeber des stern. Sie können ihm auf Twitter unter @andreaspetzold folgen

Mehr zum Thema

Newsticker