Öffentliche Gebäude werden weniger beheizt, Leuchtreklamen müssen ausbleiben, das Wasser in den Schwimmbädern wird kälter – Deutschland zieht in der Krise alle Register, um Energie zu sparen. So scheint es zumindest.
Doch bei aller Einsparwut – an ein heißes Eisen wagt sich die Bundesregierung nicht: an ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen.
Tempolimit würde Energie einsparen
Dabei ist die Faktenlage klar: Durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 Stundenkilometer auf den deutschen Autobahnen würden 4,3 Millionen Tonnen CO2 (Senkung um 2,7 Prozent) eingespart, so das Umweltbundesamt in einer Untersuchung. Und Greenpeace rechnete jüngst vor, dass durch ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und zwei Millionen Tonnen Diesel und Benzin pro Jahr eingespart würden, rund 3,8 Prozent des Kraftstoffabsatzes in Deutschland.
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Während man noch vor Kurzem vielerorts auf der Welt von der freien Fahrt auf deutschen Autobahnen schwärmte, ja sogar extra Bleifußreisen nach Deutschland machte, reibt man sich vor dem Hintergrund der Energiekrise nun verwundert über das Tabu Tempolimit die Augen.
Deutlich wurde dies unter anderem in der "New York Times" (NYT)-Ausgabe vom Mittwoch, in der ausführlich über diese deutsche Eigenheit berichtet wird – und in der die Diskussionen um ein Tempolimit hierzulande sogar mit der hitzig geführten Debatte über die Waffengesetze in den Vereinigten Staaten verglichen wird.
"New York Times" sieht vor allem ideologische Gründe
"Die Verhängung allgemeiner Beschränkungen für die berühmten Autobahnen des Landes wäre ein einfacher Schritt, um Energie, CO2-Emissionen zu sparen und Leben zu schützen. Aber selbst mit den Grünen an der Macht wird das Land es wohl kaum machen", heißt es in dem Artikel, der seit Veröffentlichung zehntausendfach geteilt wurde.
Von "sagenumwobenen Autobahnen" schreibt der Autor und stellt fest, es sei "sakrosankt", dass es in Deutschland kein Tempolimit gebe – eine ideologisch getriebene Entscheidung. Er schreibt, dass der Status quo vor allem an der FDP liege. Als kleinster Koalitionspartner sei die Partei das verletzlichste Regierungsmitglied. Dies bedeute, dass sie besonders vorsichtig sein muss, wenn sie ihre Positionen aufgäbe.
Politologe Wolfgang Schröder von der Uni Kassel stützt in der NYT diese Einschätzung: "Die FDP hat daraus eine Identitätsfrage gemacht", wird der Wissenschaftler zitiert. "Sie haben gesagt: 'Wir sind die Partei der Autofahrer und der Freiheit, und wir wollen keine staatliche Einmischung.'"

Sehen Sie im Video: Braucht Deutschland ein Tempolimit auf Autobahnen?
"Vorerst wird sich wahrscheinlich nichts ändern"
Die Regierungskoalition, so Schröder weiter, habe eine Art "Nichtangriffspakt" in dieser Frage vereinbart, was auch Grünen-Verkehrsexpertin Swantje Michaelsen der NYT mehr oder weniger direkt bestätigt. Ihre Partei habe sich entschieden, sich "auf die Fortschritte zu konzentrieren, die wir gemeinsam erzielen können", anstatt das spaltende Thema voranzutreiben, zitiert das Blatt die Politikerin.
Dass nach einer aktuellen "Spiegel"-Umfrage die Mehrheit der Deutschen für ein (zumindest temporäres) Tempolimit ist, und sogar der ADAC seine Lobbyarbeit dagegen eingestellt hat, sollten laut NYT sogar weitere Argumente für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen sein – doch das Fazit des Artikels lautet: "Vorerst wird sich wahrscheinlich nichts ändern."
Quellen: "New York Times" (kostenpflichtiger Inhalt), Umweltbundesamt, Greenpeace, Deutschlandfunk, "Spiegel", ADAC